Kaschmir-Konflikt: Explosives Erbe der religiösen
Spaltung Indiens
Nach dem Ende der
britischen Kolonialherrschaft blieb ein geeintes Indien eine unrealisierbare
Vision. Realität wurde die Spaltung in einen Hindu- und einen Moslemstaat.
Mehrere Kriege zwischen Indien und Pakistan waren die Folge. Jetzt droht ein
weiterer um die Grenzregion Kaschmir. Doch mittlerweile stehen einander zwei
Atommächte gegenüber. Von Paul Zabloudil/APA
Das Ende der britischen Herrschaft über
Indien vor fast 55 Jahren war für die Väter der Unabhängigkeitsbewegung
Triumph
und Tragödie zugleich: Verbunden mit
der Befreiung war eine von blutigen Konflikten begleitete Teilung des
Subkontinents in einen Hindu- und einen Moslem-Staat – Indien und
Pakistan, dessen Ostteil sich wiederum 1971 als Bangladesch
unanhängig machte.
Konfrontation zweier Atommächte
Millionen Menschen wurden im Zuge der
Teilung getötet oder vertrieben. Schmerzvolles Erbe dieser Trennung ist
unter anderem der Kaschmir-Konflikt, der nun wieder zu einem regelrechten
Krieg zu eskalieren droht. Beide Staaten sind mittlerweile hochgerüstet und
verfügen sogar über Atomwaffen. Experten versichern allerdings, dass die
Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung relativ gering ist.
Geeintes Indien nach europäischen Vorbild
Die indischen Unabhängigkeitskämpfer
waren mehrheitlich von der britischen Kultur geprägt und beeinflusst. Ihnen
schwebte ein Staat nach dem Muster der europäischen Aufklärung vor. Indien
sollte eine weltlich, demokratisch und republikanisch ausgerichtete Nation
mit einer zentralistisch gelenkten Wirtschaft werden. Die religiösen und
ethnischen Gegensätze sollten ebenso in den Hintergrund treten wie die
Ungleichheiten durch das Kastensystem. Doch schon bald kollidierten diese
Ideale mit der Wirklichkeit.
Weder sprachlich noch religiös eine Einheit
Indien ist in sich mindestens ebenso
vielfältig wie Europa. Die sprachliche Vielfalt zeigt sich schon allein
darin, dass Indien nach wie vor auf englisch – auf die Sprache der
ehemaligen Kolonialherren – zur Verständigung angewiesen ist. Auch religiös
herrscht in Indien eine unglaubliche Vielfalt. Der Begriff “Hinduismus”
gaukelt die Einheit nur vor – er wurde von den Europäern als
Sammelbegriff erfunden. Zwischen den beiden großen Blöcken der Hindus und
Muslime droht die kleine christliche Minderheit unter die Räder zu kommen.
Muslime drängten auf eigenen Staat
Als sich während des Zweiten
Weltkriegs das nahende Ende der britischen Herrschaft über Indien
abzeichnete, drängte der Führer der Moslem-Liga, Mohamad Ali Jinnah, auf
eine Teilung des Landes nach der Unabhängigkeit. Grundlage seiner Forderung
war seine Zwei-Nationen-Theorie, nach der die Muslime keine Minderheit in
Indien sind, sondern eine eigene Nation, die Anspruch auf einen autonomen
Staat hat.
Briten unterstützen Teilung
Lord Louis Mountbatten, der letzte
britische Vizekönig, setzte sich angesichts blutiger Auseinandersetzungen
zwischen Hindus und Muslimen im Sinne Jinnahs für eine rasche Lösung ein.
Auch die Führung des indischen Nationalkongresses stimmte gegen den Willen
Mahatma Gandhis den Teilungsplänen zu. Diese wurden am 11.Juni 1947 vom
britischen Parlament im "Independence of India Act" gebilligt.
Gandhi wurde zum Opfer des Hindu-Fanatismus
Am 15. August 1947 wurden die Dominien
Indien und Pakistan geschaffen. Weil er sich angeblich zu nachgiebig gegenüber
den Moslems gezeigt hatte, wurde Gandhi am 30.Jänner 1948 von einen
Hindu-Fanatiker erschossen. Die Trennung hatte er nicht verhindern können:
So entstand der multi-ethnische und multireligiöse Koloss Indien – mit
mittlerweile mehr als einer Milliarde Einwohnern – und an der kargen
Westgrenze der Staat Pakistan.
Doppelte Kolonialherrschaft
In Pakistan bedauert im Gegensatz zu
Indien kaum jemand die Teilung, die zu mehreren Kriegen zwischen den beiden
Staaten geführt hatte. "Die Muslime haben unter einer doppelten
Kolonialherrschaft gelitten, von Briten und Hindus", berichten
offizielle Vertreter des Landes. So habe es in den Eisenbahnstationen
getrennte Wasserstellen für Moslems und Hindus gegeben. "Ein Muslim
konnte einen Aufruhr erzeugen, wenn er einen Hindu-Wasserhahn auch nur berührte."
Kaschmir: Volksabstimmung verweigert
Der Konflikt um Kaschmir ist im Grund
genauso als wie die Teilung Indiens. Gegen den Willen der muslimischen
Mehrheitsbevölkerung hatte der letzte Maharadscha von Kaschmir, Hari Singh,
1947 den Beitritt seines Fürstentums zur Indischen Union verfügt. Eine von
der UNO verlangte Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Kaschmirs lehnte
Indien ab und führte mehrere Kriege mit Pakistan um das heute geteilte
Gebiet.
Unruhen in Gujarat
Die noch in Indien lebenden Muslime
sehen sich außerdem von regierenden radikalen Hindu-Partei Bharatiya Janata
(BJP) bedroht. Fanatikern unter ihren Anhängern sind für blutige Übergriffe
auf Moslems verantwortlich, zuletzt im westindischen Unionsstaat Gujarat, wo
radikale Hindus in Vergeltungsaktionen Muslime bei lebendigem Leib
verbrannten.
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