News 24. 05. 2002

Kaschmir-Konflikt: Explosives Erbe der religiösen Spaltung Indiens

Nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft blieb ein geeintes Indien eine unrealisierbare Vision. Realität wurde die Spaltung in einen Hindu- und einen Moslemstaat. Mehrere Kriege zwischen Indien und Pakistan waren die Folge. Jetzt droht ein weiterer um die Grenzregion Kaschmir. Doch mittlerweile stehen einander zwei Atommächte gegenüber. Von Paul Zabloudil/APA

Das Ende der britischen Herrschaft über Indien vor fast 55 Jahren war für die Väter der Unabhängigkeitsbewegung Triumph

und Tragödie zugleich: Verbunden mit der Befreiung war eine von blutigen Konflikten begleitete Teilung des Subkontinents in einen Hindu- und einen Moslem-Staat – Indien und Pakistan, dessen Ostteil sich wiederum 1971 als Bangladesch  unanhängig machte.

Konfrontation zweier Atommächte

Millionen Menschen wurden im Zuge der Teilung getötet oder vertrieben. Schmerzvolles Erbe dieser Trennung ist unter anderem der Kaschmir-Konflikt, der nun wieder zu einem regelrechten Krieg zu eskalieren droht. Beide Staaten sind mittlerweile hochgerüstet und verfügen sogar über Atomwaffen. Experten versichern allerdings, dass die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung relativ gering ist.

Geeintes Indien nach europäischen Vorbild

Die indischen Unabhängigkeitskämpfer waren mehrheitlich von der britischen Kultur geprägt und beeinflusst. Ihnen schwebte ein Staat nach dem Muster der europäischen Aufklärung vor. Indien sollte eine weltlich, demokratisch und republikanisch ausgerichtete Nation mit einer zentralistisch gelenkten Wirtschaft werden. Die religiösen und ethnischen Gegensätze sollten ebenso in den Hintergrund treten wie die Ungleichheiten durch das Kastensystem. Doch schon bald kollidierten diese Ideale mit der Wirklichkeit.

Weder sprachlich noch religiös eine Einheit

Indien ist in sich mindestens ebenso vielfältig wie Europa. Die sprachliche Vielfalt zeigt sich schon allein darin, dass Indien nach wie vor auf englisch – auf die Sprache der ehemaligen Kolonialherren – zur Verständigung angewiesen ist. Auch religiös herrscht in Indien eine unglaubliche Vielfalt. Der Begriff “Hinduismus” gaukelt die Einheit nur vor – er wurde von den Europäern als Sammelbegriff erfunden. Zwischen den beiden großen Blöcken der Hindus und Muslime droht die kleine christliche Minderheit unter die Räder zu kommen.

Muslime drängten auf eigenen Staat

Als sich während des Zweiten Weltkriegs das nahende Ende der britischen Herrschaft über Indien abzeichnete, drängte der Führer der Moslem-Liga, Mohamad Ali Jinnah, auf eine Teilung des Landes nach der Unabhängigkeit. Grundlage seiner Forderung war seine Zwei-Nationen-Theorie, nach der die Muslime keine Minderheit in Indien sind, sondern eine eigene Nation, die Anspruch auf einen autonomen Staat hat.

Briten unterstützen Teilung

Lord Louis Mountbatten, der letzte britische Vizekönig, setzte sich angesichts blutiger Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen im Sinne Jinnahs für eine rasche Lösung ein. Auch die Führung des indischen Nationalkongresses stimmte gegen den Willen Mahatma Gandhis den Teilungsplänen zu. Diese wurden am 11.Juni 1947 vom britischen Parlament im "Independence of India Act" gebilligt.

Gandhi wurde zum Opfer des Hindu-Fanatismus

Am 15. August 1947 wurden die Dominien Indien und Pakistan geschaffen. Weil er sich angeblich zu nachgiebig gegenüber den Moslems gezeigt hatte, wurde Gandhi am 30.Jänner 1948 von einen Hindu-Fanatiker erschossen. Die Trennung hatte er nicht verhindern können: So entstand der multi-ethnische und multireligiöse Koloss Indien – mit mittlerweile mehr als einer Milliarde Einwohnern – und an der kargen Westgrenze der Staat Pakistan.

Doppelte Kolonialherrschaft

In Pakistan bedauert im Gegensatz zu Indien kaum jemand die Teilung, die zu mehreren Kriegen zwischen den beiden Staaten geführt hatte. "Die Muslime haben unter einer doppelten Kolonialherrschaft gelitten, von Briten und Hindus", berichten offizielle Vertreter des Landes. So habe es in den Eisenbahnstationen getrennte Wasserstellen für Moslems und Hindus gegeben. "Ein Muslim konnte einen Aufruhr erzeugen, wenn er einen Hindu-Wasserhahn auch nur berührte."

Kaschmir: Volksabstimmung verweigert

Der Konflikt um Kaschmir ist im Grund genauso als wie die Teilung Indiens. Gegen den Willen der muslimischen Mehrheitsbevölkerung hatte der letzte Maharadscha von Kaschmir, Hari Singh, 1947 den Beitritt seines Fürstentums zur Indischen Union verfügt. Eine von der UNO verlangte Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Kaschmirs lehnte Indien ab und führte mehrere Kriege mit Pakistan um das heute geteilte Gebiet.

Unruhen in Gujarat

Die noch in Indien lebenden Muslime sehen sich außerdem von regierenden radikalen Hindu-Partei Bharatiya Janata (BJP) bedroht. Fanatikern unter ihren Anhängern sind für blutige Übergriffe auf Moslems verantwortlich, zuletzt im westindischen Unionsstaat Gujarat, wo radikale Hindus in Vergeltungsaktionen Muslime bei lebendigem Leib verbrannten.

 

 

 

 

 
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