Friedensnobelpreis:
Johannes Paul II. oder Vaclav Havel?
Spannung herrscht vor
Bekanntgabe des Preisträgers am Freitag. Wer neuer Friedensnobelpreisträger
wird, ist völlig offen.
Kofi Annan
und die UNO erhielten ihn vor zwei, Ex-US-Präsident Jimmy Carter im vorigen
Jahr. An diesem Freitag gibt das Nobel-Komitee in Oslo den Namen des
Friedensnobelpreisträgers 2003 bekannt. Trotz der Rekordzahl von 165
Nominierungen ist völlig offen, wer die weltweit bedeutendste politische
Auszeichnung in Empfang nehmen darf. Unter Experten gelten der frühere
tschechische Präsident Vaclav Havel und Papst Johannes Paul II. als heiße
Favoriten. Außenseiterchancen auf die mit umgerechnet 1,11 Millionen Euro
dotierte Auszeichnung werden den Regierungskritikern Oswaldo Payá aus Kuba
und Hashem Aghajari aus dem Iran eingeräumt.
Bessere Chancen aufgrund
schlechter Gesundheit
Die fünf
Mitglieder des Auswahlkomitees haben es in diesem Jahr besonders schwer, erläutert
der Leiter des Osloer Instituts für Friedensforschung, Stein Toennesson.
Keiner der politischen und geistigen Führer der Welt habe sich so
hervorgetan, dass seine Auszeichnung unumgänglich sei. Beste Chancen habe
Johannes Paul II. wegen seiner offenen Ablehnung des Irak-Krieges, meint
Toennesson. Damit habe er verhindert, dass aus der US-Intervention im Irak
ein "Kreuzzug" werde, der den Graben zwischen Christenheit und
Islam vertiefe. Auch sein angeschlagener Gesundheitszustand spräche für
das bereits mehrfach nominierte Kirchenoberhaupt. Posthum kann der Preis
seit 1974 nicht mehr vergeben werden.
"Ungeschriebenes" Gesetz: keine weltliche Ehrung für Päpste
Während man in Rom mit ganz besonderer Spannung die Entscheidung der
Osloer Jury abwartet, stellen manche die grundsätzliche Frage, ob der Papst
eine solch exponierte säkulare Ehrung überhaupt annehmen kann. Bislang
galt es als ungeschriebenes Gesetz in der Politik der Päpste, keine
weltlichen Auszeichnungen zu akzeptieren. Insbesondere nicht solche, die
irgendwie parteiisch wirken oder den Verdacht einer Instrumentalisierung
einschließen könnten. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte der damals
favorisierte Papst Pius XII. in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg den
Preis von vorne herein abgelehnt. Nun
ist Johannes Paul II. gerade in den vergangenen Jahren mehrfach von dieser
Linie abgewichen. Zur Überraschung mancher hat der polnische Papst im
vergangenen Jahr die Ehrenbürger- würde der Stadt Rom - seiner
Bischofsstadt - angenommen. Außerdem stimmte er der juristischen
Ehrendoktorwürde der staatlichen römischen Sapienza-Universität zu. In
beiden Fällen war die Annahme sicher eine Reverenz gegenüber seiner
zweiten Heimat und deren Gastfreundschaft. Im übrigen hat der Papst als
Wissenschaftler und Theologie wiederholt Ehrendoktorate polnischer
Universitäten angenommen - was sich freilich dem Verdacht der einseitigen
Vereinnahmung entzieht.
„Havel ist Mann des
Jahrhunderts“
Sehr gute
Aussichten auf den mit beachtlichem Renommee verbundenen Friedenspreis hat
nach Einschätzung des US-Experten Irwin Abrams Tschechiens Ex-Präsident
Havel. "Das ist der Mann des Jahrhunderts, niemand, der nur etwas in
den vergangenen ein, zwei Jahren geleistet hat. Havel
inspiriert", sagt Abrams. Ähnlich
hatten es zuvor bereits zahlreiche Preiskomitees in aller Welt gesehen: Für
seine Rolle in der tschechischen Dissidentenbewegung und während der
"Samtenen Revolution" von 1989 wurde Havel mehrfach geehrt,
zuletzt erhielt er den indischen Gandhi-Friedenspreis.
Pro und Contra für
brasilianischen Präsidenten
Ebenfalls
ganz gut im Rennen liegt der brasilianische Präsident Luiz Inácio "Lula"
da Silva. Bei seinem Versuch, die sozialen Ungleichheiten seines Kontinentes
zu überwinden, könne Lula Unterstützung "gut gebrauchen", meint
Experte Toennesson. Gegen den einstigen Gewerkschafter an der Spitze des größten
südamerikanischen Landes spräche allerdings, dass er vor allem durch seine
Wirtschafts- und Sozialpolitik Hoffnungen wecke und weniger durch konkretes
Friedensengagement.
Auch kubanischer
Regierungskritiker und iranischer Dissident haben Chancen
Ein
deutliches politisches Signal wäre die Auszeichnung des kubanischen
Regierungskritikers Payá, nachdem Revolutionsführer Fidel Castro in diesem
Jahr wieder auf einen harten Kurs gegen seine politischen Gegner
umgeschwenkt war und mehrere von ihnen ins Gefängnis werfen ließ. Zur Förderung
von Demokratisierungsbestrebungen im Iran könnten sich die
Nobelkomitee-Mitglieder auch dazu entschließen, den Dissidenten Hashem
Aghajari zu ehren. Beide Kandidaten haben den Vorteil, dass ihre Würdigung
in den USA wohlwollend aufgenommen würde. Die Preisentscheidungen der
beiden Vorjahre waren weithin als Kritik an der unilateralen Politik von
US-Präsident George W. Bush aufgefasst worden.
Friedensnobelpreis 2003
kann auch in der Schublade bleiben
Theoretisch
könnte sich das Komitee 102 Jahre nach der ersten Preisverleihung mangels
geeigneter Kandidaten aber auch dazu durchringen, den Friedensnobelpreis
2003 in der Schublade zu lassen. Diese Entscheidung gilt allerdings als
unwahrscheinlich.
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