Wochenende
im Zeichen des Gedenkens "65 Jahre November-Pogrome"
Die
Nationalsozialisten nannten sie "Reichskristallnacht", heute
spricht die Geschichtswissenschaft von den "November-Pogromen". In
der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 - also vor 65 Jahren - machten die
Nazis in einer im ganzen Staatsgebiet abgestimmten Aktion Jagd auf Juden,
ermordeten sie oder brachten sie ins Konzentrationslager, zerstörten ihre Häuser,
Wohnungen und Geschäfte.
Das
Gedenken anlässlich dieses bedrückenden Jahrestages beschränkt sich nicht
auf die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) allein: auch die christlichen
Kirchen gedenken an diesem Wochenenden der Greueltaten. Verschiedenste
Gruppierungen haben zudem für Sonntag zu einer Kundgebung unter dem Titel
"Niemals vergessen" aufgerufen.
Partezettel
Entlang
der Seitenstettengasse, in der sich der Stadttempel befindet, sollen jüdische
und nicht-jüdische Kinder und Jugendliche Partezettel mit den Namen der
65.000 österreichischen jüdischen Holocaust-Opfer niederlegen. Auf jede
Parte soll nach jüdischer Tradition mit einem "Stein des
Erinnerns" gelegt werden. An den Hausmauern werden zudem 50 Mahnmale
mit Fotografien von Opfern aufgestellt.
Ökumenischer
Gottesdienst
Um
19 Uhr halten Kardinal Franz König und Pastor Helmut Nausner von der
evangelisch-methodistischen Kirche in der Ruprechtskirche einen ökumenischen
Gottesdienst ab. Ebenfalls abends gestaltet die Zionistische Föderation in
Österreich im Gemeindezentrum der IKG einen Gedenkabend. Ein entsprechender
jüdischer Gedenk-Gottesdienst wird bereits heute, Freitag, Abend im
Stadttempel abgehalten.
Gedenkstein
Ganz
im Zeichen der Ökumene steht auch ein Festakt kurz nach dem Jahrestag, am
kommenden Dienstag: um 11 Uhr wird am Tor IV des Zentralfriedhofes, also dem
Jüdischen Friedhof, ein Gedenkstein enthüllt. Dieser wird jenen Personen
gewidmet, die nach den "Nürnberger Rassengesetzen" als Jüdinnen
und Juden galten, aber nicht der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten.
Die Mehrzahl von ihnen waren Christen, ein Teil war konfessionslos. An der
Zeremonie teilnehmen werden neben Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, der
gemeinsam mit dem evangelischen Bischof Herweig Sturm Psalm 10 lesen wird,
auch Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn und der Zeitgeschichtler
Gerald Stourzh.
"Reichskristallnacht"
In
der Nacht vom 9. auf 10. November 1938, die noch immer unter dem
Nazi-Ausdruck "Reichskristallnacht" bekannt ist, wurden im
gesamten Deutschen Reich, dem damals auch Österreich angehörte, Synagogen
in Brand gesteckt, etwa 7.000 jüdische Geschäfte zerstört und jüdische
Wohnungen verwüstet. Nach offiziellen Angaben wurden 91 Personen getötet.
20.000 Juden wurden verhaftet, viele von ihnen sofort in Konzentrationslager
deportiert.
42
Synagogen in Wien zerstört
In
Wien wurden 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brände zerstört. 27
Juden wurden getötet und 88 schwer verletzt. 6.547 Juden wurden in Wien
verhaftet. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört.
4.083 jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Hunderte Juden begingen
Selbstmord. Im übrigen Österreich kam es zu etwa 1.250 Verhaftungen. 3.700
Juden wurden sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert.
NS-Propaganda
Die
NSDAP-Propaganda versuchte, das Pogrom als "spontane" Antwort der
Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst von Rath auszugeben.
Dieser war am 7. November 1938 in Paris von einem 17-jährigen Juden namens
Herschel Grynszpan niedergeschossen worden und starb später. Grynszpan
hatte ursprünglich ein Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris
geplant. Damit wollte er gegen die von der Reichsregierung verfügte
Abschiebung Tausender polnischstämmiger Juden nach Polen protestieren, die
auch seinen Vater betroffen hatte. Statt des Botschafters trafen seine Schüsse
jedoch den jungen Botschaftssekretär Rath.
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