News 07. 11. 2003

Wochenende im Zeichen des Gedenkens "65 Jahre November-Pogrome"

Die Nationalsozialisten nannten sie "Reichskristallnacht", heute spricht die Geschichtswissenschaft von den "November-Pogromen". In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 - also vor 65 Jahren - machten die Nazis in einer im ganzen Staatsgebiet abgestimmten Aktion Jagd auf Juden, ermordeten sie oder brachten sie ins Konzentrationslager, zerstörten ihre Häuser, Wohnungen und Geschäfte.

Das Gedenken anlässlich dieses bedrückenden Jahrestages beschränkt sich nicht auf die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) allein: auch die christlichen Kirchen gedenken an diesem Wochenenden der Greueltaten. Verschiedenste Gruppierungen haben zudem für Sonntag zu einer Kundgebung unter dem Titel "Niemals vergessen" aufgerufen.

Partezettel

Entlang der Seitenstettengasse, in der sich der Stadttempel befindet, sollen jüdische und nicht-jüdische Kinder und Jugendliche Partezettel mit den Namen der 65.000 österreichischen jüdischen Holocaust-Opfer niederlegen. Auf jede Parte soll nach jüdischer Tradition mit einem "Stein des Erinnerns" gelegt werden. An den Hausmauern werden zudem 50 Mahnmale mit Fotografien von Opfern aufgestellt.

Ökumenischer Gottesdienst

Um 19 Uhr halten Kardinal Franz König und Pastor Helmut Nausner von der evangelisch-methodistischen Kirche in der Ruprechtskirche einen ökumenischen Gottesdienst ab. Ebenfalls abends gestaltet die Zionistische Föderation in Österreich im Gemeindezentrum der IKG einen Gedenkabend. Ein entsprechender jüdischer Gedenk-Gottesdienst wird bereits heute, Freitag, Abend im Stadttempel abgehalten.

Gedenkstein

Ganz im Zeichen der Ökumene steht auch ein Festakt kurz nach dem Jahrestag, am kommenden Dienstag: um 11 Uhr wird am Tor IV des Zentralfriedhofes, also dem Jüdischen Friedhof, ein Gedenkstein enthüllt. Dieser wird jenen Personen gewidmet, die nach den "Nürnberger Rassengesetzen" als Jüdinnen und Juden galten, aber nicht der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten. Die Mehrzahl von ihnen waren Christen, ein Teil war konfessionslos. An der Zeremonie teilnehmen werden neben Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, der gemeinsam mit dem evangelischen Bischof Herweig Sturm Psalm 10 lesen wird, auch Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn und der Zeitgeschichtler Gerald Stourzh.

"Reichskristallnacht"

In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938, die noch immer unter dem Nazi-Ausdruck "Reichskristallnacht" bekannt ist, wurden im gesamten Deutschen Reich, dem damals auch Österreich angehörte, Synagogen in Brand gesteckt, etwa 7.000 jüdische Geschäfte zerstört und jüdische Wohnungen verwüstet. Nach offiziellen Angaben wurden 91 Personen getötet. 20.000 Juden wurden verhaftet, viele von ihnen sofort in Konzentrationslager deportiert.

42 Synagogen in Wien zerstört

In Wien wurden 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brände zerstört. 27 Juden wurden getötet und 88 schwer verletzt. 6.547 Juden wurden in Wien verhaftet. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. 4.083 jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Hunderte Juden begingen Selbstmord. Im übrigen Österreich kam es zu etwa 1.250 Verhaftungen. 3.700 Juden wurden sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert.

NS-Propaganda

Die NSDAP-Propaganda versuchte, das Pogrom als "spontane" Antwort der Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst von Rath auszugeben. Dieser war am 7. November 1938 in Paris von einem 17-jährigen Juden namens Herschel Grynszpan niedergeschossen worden und starb später. Grynszpan hatte ursprünglich ein Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris geplant. Damit wollte er gegen die von der Reichsregierung verfügte Abschiebung Tausender polnischstämmiger Juden nach Polen protestieren, die auch seinen Vater betroffen hatte. Statt des Botschafters trafen seine Schüsse jedoch den jungen Botschaftssekretär Rath.

 

 

 
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