Friedliches Miteinander - Muslime,
Hindus, Christen und Sikhs in Delhi
Tödliche Konflikte zwischen
Muslimen und Hindus erschüttern immer wieder Indien. Doch in Indiens größter
Moschee sind betende Hindus nichts ungewöhnliches. Priya Esselborn
berichtet aus dem Chandni-Chowk-Viertel in Alt-Delhi, wo die verschiedensten
Religionen auf engem Raum friedlich miteinander auskommen.
Andächtig
lauscht Jitendra Kumar dem Gesang des Muezzins. Der 25-jährige Hindu lehnt
an einer Säule im prächtigen Innenhof der Jama-Masjid-Moschee in Delhi.
Dort, wo mehr als 25.000 Gläubige Platz finden können, sind derzeit nur
etwa 100 Muslime in ihr Gebet vertieft. Keiner nimmt von dem jungen Mann
Notiz, der sich mit unterschlagenen Beinen hinsetzt, die Augen schließt und
mit seiner Andacht beginnt.
Hindus in der Mischee
In Indiens größter
Moschee sind betende Hindus nichts Ungewöhnliches. Dabei erschüttern das
Land mit dem muslimischen Staatspräsidenten A.P.J. Abdul Kalam und dem
hinduistischen Ministerpräsidenten Atal Behari Vajpayee immer wieder religiöse
Unruhen, vor allem zwischen Hindus und Muslimen. 2002 starben im
westindischen Bundesstaat Gujarat mehr als 1000 Menschen, 2000 Tote gab es
1993 in Bombay, Hunderttausende von Opfern forderte die Teilung Indiens und
Pakistans 1947.
120 Millionen Minderheit
Die rund 120
Millionen Muslime stellen die größte religiöse Minderheit, sie sehen sich
etwa 800 Millionen Hindus gegenüber. Daneben gibt es Christen, Sikhs,
Buddhisten und Jainas. Ein Viertel in Alt Delhi, dem ehemaligen muslimischen
Teil der indischen Hauptstadt, erzählt aber eine ganz andere Geschichte.
Seit Jahrhunderten leben die Religionsgemeinschaften hier in friedlicher
Koexistenz. So befindet sich im Chandni-Chowk-Viertel nur wenige hundert
Meter von der 1644 erbauten Jama-Masjid-Moschee der imposante
Sisganj-Gurdwara, ein Gotteshaus der Sikhs. Schräg gegenüber ist die 1814
errichtete Zentrale Baptistenkirche, wenige Häuser weiter steht im
Menschengetümmel der Basare ein Tempel der Jainas, einer kleinen unabhängigen
Religionsgemeinschaft.
Gläubige anderer Religionen
willkommen
Jitendra Kumar
kommt seit Jahren ein Mal in der Woche zur Jama- Masjid-Moschee, weil das
Beten dort auch ihm als Hindu Glück bringen soll. "Die Atmosphäre in
der Moschee ist wundervoll. Wann immer ich hierher gekommen bin, haben sich
meine Wünsche erfüllt", sagt der Hindu und verrät: "Im Moment
bitte ich um mehr Erfolg in meinem Beruf als Fahrer." Auch im
Sisganj-Gurdwara, den täglich 50.000 Menschen besuchen, sind Gläubige
anderer Religionen willkommen. Die vornehmlich im Nordwesten Indiens
beheimateten Sikhs, die ihre Religion als Synthese zwischen Hinduismus und
Islam ansehen, bieten jedem eine Mahlzeit und einen Schlafplatz an, solange
er gewisse Regeln einhält. Der Gast muss Schuhe und Strümpfe ausziehen, Hände
und Füße waschen und sein Haupt bedecken; alkoholische Getränke sind
verboten. "Unter Gläubigen aller Religionen gibt es gute und schlechte
Menschen", sagt Ranjit Singh, oberster Priester im Gurdwara. Man dürfe
aus einzelnen Konflikten nicht auf einen generellen Streit zwischen den
Religionsgemeinschaften schließen.
Muslimischen, hinduistischen und
christlichen "Brüder"
Als 1984 die
indische Ministerpräsidenten Indira Gandhi von ihrem Sikh-Leibwächter
ermordet wurde und ein Hindu-Mob den Gurdwara in Brand setzen wollte, sei er
zwar zornig gewesen. "Aber nicht, weil sie Hindus waren. Mir taten
diese dummen Menschen einfach nur leid." Das alltägliche Zusammenleben
funktioniere hervorragend. Seine muslimischen, hinduistischen und
christlichen "Brüder" treffe er regelmäßig. Maulana Nawabuddin,
Imam in der Jama-Masjid-Moschee, sieht die Ausschreitungen zwischen Hindus,
Muslimen oder Christen politisch motiviert. "Diese Unruhen wurden meist
von einer dritten Person angefacht. Die einfachen Leute gerieten dann
zwischen die Fronten", sagt der 46-Jährige. "Es stimmt, dass wir
nicht in den Tempel oder die Kirche zum Beten gehen. Aber wir haben kein
Recht, andere Religionen zu beleidigen. Doch genauso, wie es unsere Pflicht
ist, andere Glaubensgemeinschaften zu achten, wollen wir auch geachtet
werden." Er betont: "Nur wenn wir die Religion eines
Menschenrespektieren, respektieren wir auch den Menschen selbst."
Von Priya
Esselborn (dpa)
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