News 26. 01. 2004

Friedliches Miteinander - Muslime, Hindus, Christen und Sikhs in Delhi

Tödliche Konflikte zwischen Muslimen und Hindus erschüttern immer wieder Indien. Doch in Indiens größter Moschee sind betende Hindus nichts ungewöhnliches. Priya Esselborn berichtet aus dem Chandni-Chowk-Viertel in Alt-Delhi, wo die verschiedensten Religionen auf engem Raum friedlich miteinander auskommen.

Andächtig lauscht Jitendra Kumar dem Gesang des Muezzins. Der 25-jährige Hindu lehnt an einer Säule im prächtigen Innenhof der Jama-Masjid-Moschee in Delhi. Dort, wo mehr als 25.000 Gläubige Platz finden können, sind derzeit nur etwa 100 Muslime in ihr Gebet vertieft. Keiner nimmt von dem jungen Mann Notiz, der sich mit unterschlagenen Beinen hinsetzt, die Augen schließt und mit seiner Andacht beginnt.

Hindus in der Mischee

In Indiens größter Moschee sind betende Hindus nichts Ungewöhnliches. Dabei erschüttern das Land mit dem muslimischen Staatspräsidenten A.P.J. Abdul Kalam und dem hinduistischen Ministerpräsidenten Atal Behari Vajpayee immer wieder religiöse Unruhen, vor allem zwischen Hindus und Muslimen. 2002 starben im westindischen Bundesstaat Gujarat mehr als 1000 Menschen, 2000 Tote gab es 1993 in Bombay, Hunderttausende von Opfern forderte die Teilung Indiens und Pakistans 1947.

120 Millionen Minderheit

Die rund 120 Millionen Muslime stellen die größte religiöse Minderheit, sie sehen sich etwa 800 Millionen Hindus gegenüber. Daneben gibt es Christen, Sikhs, Buddhisten und Jainas. Ein Viertel in Alt Delhi, dem ehemaligen muslimischen Teil der indischen Hauptstadt, erzählt aber eine ganz andere Geschichte. Seit Jahrhunderten leben die Religionsgemeinschaften hier in friedlicher Koexistenz. So befindet sich im Chandni-Chowk-Viertel nur wenige hundert Meter von der 1644 erbauten Jama-Masjid-Moschee der imposante Sisganj-Gurdwara, ein Gotteshaus der Sikhs. Schräg gegenüber ist die 1814 errichtete Zentrale Baptistenkirche, wenige Häuser weiter steht im Menschengetümmel der Basare ein Tempel der Jainas, einer kleinen unabhängigen Religionsgemeinschaft.

Gläubige anderer Religionen willkommen

Jitendra Kumar kommt seit Jahren ein Mal in der Woche zur Jama- Masjid-Moschee, weil das Beten dort auch ihm als Hindu Glück bringen soll. "Die Atmosphäre in der Moschee ist wundervoll. Wann immer ich hierher gekommen bin, haben sich meine Wünsche erfüllt", sagt der Hindu und verrät: "Im Moment bitte ich um mehr Erfolg in meinem Beruf als Fahrer." Auch im Sisganj-Gurdwara, den täglich 50.000 Menschen besuchen, sind Gläubige anderer Religionen willkommen. Die vornehmlich im Nordwesten Indiens beheimateten Sikhs, die ihre Religion als Synthese zwischen Hinduismus und Islam ansehen, bieten jedem eine Mahlzeit und einen Schlafplatz an, solange er gewisse Regeln einhält. Der Gast muss Schuhe und Strümpfe ausziehen, Hände und Füße waschen und sein Haupt bedecken; alkoholische Getränke sind verboten. "Unter Gläubigen aller Religionen gibt es gute und schlechte Menschen", sagt Ranjit Singh, oberster Priester im Gurdwara. Man dürfe aus einzelnen Konflikten nicht auf einen generellen Streit zwischen den Religionsgemeinschaften schließen.

Muslimischen, hinduistischen und christlichen "Brüder"

Als 1984 die indische Ministerpräsidenten Indira Gandhi von ihrem Sikh-Leibwächter ermordet wurde und ein Hindu-Mob den Gurdwara in Brand setzen wollte, sei er zwar zornig gewesen. "Aber nicht, weil sie Hindus waren. Mir taten diese dummen Menschen einfach nur leid." Das alltägliche Zusammenleben funktioniere hervorragend. Seine muslimischen, hinduistischen und christlichen "Brüder" treffe er regelmäßig. Maulana Nawabuddin, Imam in der Jama-Masjid-Moschee, sieht die Ausschreitungen zwischen Hindus, Muslimen oder Christen politisch motiviert. "Diese Unruhen wurden meist von einer dritten Person angefacht. Die einfachen Leute gerieten dann zwischen die Fronten", sagt der 46-Jährige. "Es stimmt, dass wir nicht in den Tempel oder die Kirche zum Beten gehen. Aber wir haben kein Recht, andere Religionen zu beleidigen. Doch genauso, wie es unsere Pflicht ist, andere Glaubensgemeinschaften zu achten, wollen wir auch geachtet werden." Er betont: "Nur wenn wir die Religion eines Menschenrespektieren, respektieren wir auch den Menschen selbst."

Von Priya Esselborn (dpa)

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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