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News 29. 09. 2004

Historiker würdigt Friedensbemühungen von Kaiser Karl I.

Ein differenziertes Bild des letzten österreichischen Kaisers, Karl I., der am kommenden Sonntag selig gesprochen wird, zeichnet der Historiker Wolfdieter Bihl. Karl I. hätte sich ernsthaft um Frieden bemüht; den Einsatz von Giftgas habe der Kaiser "letztlich zugelassen"; so Bihl. Für den Linzer Historiker Roman Sandgruber hat Karl I. "fast alles zum falschen Zeitpunkt gemacht".

Wenn man den Willen für das Werk nehme, müssten die Friedensbemühungen des letzten österreichischen Kaisers, Karl I., anerkannt werden, betonte Wolfdieter Bihl, Geschichtsprofessor an der Universität Wien am Mittwoch in einem Gespräch mit der APA. "Der Kaiser hatte die letzte Entscheidung und hat es zu verantworten in gewissem Sinn", meinte Bihl zu Vorwürfen, die Karl in Zusammenhang mit einem Giftgasangriff in Italien bei der 12. Isonzo-Schlacht im Oktober 1917 bringen. Der Kaiser sei nicht nur formell Oberbefehlshaber der k.u.k.-Streitkräfte, sondern auch aktiver Armeekommandant gewesen. Allerdings habe der Habsburger den Einsatz von Giftgas weder empfohlen noch gefördert.

Lange überlegt – dann zugelassen

Im Zusammenhang mit der Isonzo-Schlacht sprach Bihl von "Notwehr". Zuvor sei der italienischen Seite beinahe ein Durchbruch geglückt, der den wichtigen Hafen Triest gefährdete und einen Vorstoß bis nach Laibach befürchten ließ. Unter diesem "schweren Eindruck 'Es geht um die Monarchie'" habe der Kaiser lange überlegt, den Einsatz des Giftgases letztlich aber zugelassen. "Niemand kann ihm den Vorwurf machen, gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben", sagte Bihl. Giftgas sei erst nach dem Ersten Weltkrieg - 1925 durch die Haager Konvention - verboten worden. Zudem hätten alle Kriegsteilnehmer diese grausame Waffe eingesetzt.

Nicht nur die "bösen Deutschen" sind schuld

Zum Argument mancher Befürworter der Seligsprechung, der Gifteinsatz wäre von Gaswerferbataillons erfolgt, die unter dem Kommando des Bündnispartners Deutschland gestanden waren, meinte Bihl: "So einfach kann man es sich nicht machen". Denn auch die österreichisch-ungarischen Truppen hätten - von der deutschen Armee in der Gaskriegsführung unterwiesen - die Waffe eingesetzt. Es sei "müßig", zu sagen, "die bösen Deutschen sind schuld", stellte Bihl im APA-Gespräch fest.

Friedensbemühungen

Zu den zahlreichen Friedensbemühungen Karls betonte der Historiker: "Wenn es jemand versucht hat, dann er." Karl I. habe einen "allgemeinen Verständigungsfrieden" und keinen Sonder- oder Siegfrieden gewollt. Diese Bestrebungen seien an Umständen gescheitert, die teilweise nicht in der Hand des letzten Habsburger-Regenten lagen.

"Fast bigottische Gläubigkeit"

Zu den Versuchen Karls, nach dem Krieg wieder auf den ungarischen Thron zu gelangen, meinte Bihl, der Kaiser habe 1921 auf Wunsch Papst Benedikts XV. gehandelt, der die Errichtung eines kommunistischen Regimes in Ungarn befürchtete. In seiner "fast bigottischen Gläubigkeit - man könnte sagen naiv" habe sich Karl an seinen Krönungseid von 1916 gebunden gefühlt. Als er aber gemerkt habe, dass es ein Blutvergießen geben könnte, habe er sein Vorhaben abgebrochen. "Jeder, der erobern will, wäre sofort nach Budapest", so Bihl, "Karl hat (auf seiner Fahrt dorthin) aber ununterbrochen Feldmessen lesen lassen".

Verschwörungstheorien

Noch im Exil auf der Atlantik-Insel Madeira habe der Monarch den Standpunkt vertreten, dass ihn das Volk ja nicht verjagt habe. Seine Entmachtung brachte er demnach mit Verschwörungstheorien in Verbindung, zum Beispiel einer Konspiration der Freimaurer, und baute sich eine Scheinwelt rund um diese Vorstellungen auf.

Sozialpolitik

Bihl strich hervor, dass Karl I. lediglich zwei Jahre (1916-1918) regierte. Eindeutig positiv sei die unter seiner Regentschaft erlassene Sozialgesetzgebung zu beurteilen. "Er hat die Sozialpolitik selbst entworfen und beantragt", sagte Bihl. Mitten im Krieg habe er den ersten Sozialminister ernannt, sich um die Versorgung von Kriegshinterbliebenen gekümmert und Maßnahmen zum Schutz von Mietern getroffen.

Propaganda

Gerüchte, der Kaiser sei ein Trinker gewesen und habe außereheliche Verhältnisse gehabt, stufte der Geschichtsprofessor als Propaganda der deutschen Heeresleitung ein, die den "Schwächling" Karl diskreditieren sollte. Zeugen seien bestochen worden; General Erich Ludendorff habe sogar österreichische Zeitungen "gekauft", die dann negativ über Karl und seine Gemahlin Kaiserin Zita berichteten.

Sandgruber: Fast alles zum falschen Zeitpunkt

Wenig Vorbildwirkung bescheinigt dem Wirken Kaiser Karls der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber in der Mittwoch-Ausgabe der "Oberösterreichischen Nachrichten" (OÖN). Wenn hervorgehoben werde, dass Kaiser Karl einzelne in der Armee übliche Formen der Körperstrafen 1917 verbieten ließ, bleibe unerwähnt, dass das Verbot "nur einige Monate hielt". Und wenn gesagt werde, dass er den Einsatz von Giftgas verboten habe, müsse hinzugefügt werden, dass es "trotzdem eingesetzt" wurde. Sandgruber über den letzten österreichischen Kaiser wörtlich: "Fast alles, was er tat, kam zum falschen Zeitpunkt".

"Kaum zeitgemäß"

Die Signale dieser Seligsprechung seien "kaum zeitgemäß". Von der Religiosität des Kaisers werde wenig Vorbildwirkung ausgehen. Die politische Indienstnahme werde zudem den Europa-Gedanken nicht fördern, insbesondere dort nicht, wo eine große Skepsis gegen die Habsburger bestehe - wie in der Tschechischen Republik. Was - so Sandgruber - bleibe, sei das Interesse der Habsburger, "nach 800 Jahren Geschichte als erzkatholisches Erzhaus dies endlich auch kirchenamtlich bestätigt zu erhalten".

Rauchensteiner gegen Fixierung auf Giftgaseinsatz

Der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner wies Kritik an Kaiser Karl zurück, die sich zu sehr auf den Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg fixiere. Karl sei dafür zwar moralisch letztverantwortlich, aber Flammenwerfer oder tagelanges Trommelfeuer seien auch nicht humaner gewesen als der Einsatz von Giftgas. Zugleich betonte Rauchensteiner, dass Karl durchaus Möglichkeiten gehabt hätte, den Krieg vorzeitig zu beenden.

 

 

 

Weitere Informationen zum Thema:

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- Seligsprechung von Kaiser Karl I.: Ein mehr als 50-jähriger Prozess

- Hintergrund: Der lange Weg zur Ehre der Altäre

 

Link:

Seligsprechungs-Homepage

 

 

 

 
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