Historiker würdigt Friedensbemühungen
von Kaiser Karl I.
Ein differenziertes Bild des
letzten österreichischen Kaisers, Karl I., der am kommenden Sonntag selig
gesprochen wird, zeichnet der Historiker Wolfdieter Bihl. Karl I. hätte
sich ernsthaft um Frieden bemüht; den Einsatz von Giftgas habe der Kaiser
"letztlich zugelassen"; so Bihl. Für den Linzer Historiker Roman
Sandgruber hat Karl I. "fast alles zum falschen Zeitpunkt
gemacht".
Wenn
man den Willen für das Werk nehme, müssten die Friedensbemühungen des
letzten österreichischen Kaisers, Karl I., anerkannt werden, betonte
Wolfdieter Bihl, Geschichtsprofessor an der Universität Wien am Mittwoch in
einem Gespräch mit der APA. "Der Kaiser hatte die letzte Entscheidung
und hat es zu verantworten in gewissem Sinn", meinte Bihl zu Vorwürfen,
die Karl in Zusammenhang mit einem Giftgasangriff in Italien bei der 12.
Isonzo-Schlacht im Oktober 1917 bringen. Der Kaiser sei nicht nur formell
Oberbefehlshaber der k.u.k.-Streitkräfte, sondern auch aktiver
Armeekommandant gewesen. Allerdings habe der Habsburger den Einsatz von
Giftgas weder empfohlen noch gefördert.
Lange überlegt – dann
zugelassen
Im
Zusammenhang mit der Isonzo-Schlacht sprach Bihl von "Notwehr".
Zuvor sei der italienischen Seite beinahe ein Durchbruch geglückt, der den
wichtigen Hafen Triest gefährdete und einen Vorstoß bis nach Laibach befürchten
ließ. Unter diesem "schweren Eindruck 'Es geht um die Monarchie'"
habe der Kaiser lange überlegt, den Einsatz des Giftgases letztlich aber
zugelassen. "Niemand kann ihm den Vorwurf machen, gegen das Völkerrecht
verstoßen zu haben", sagte Bihl. Giftgas sei erst nach dem Ersten
Weltkrieg - 1925 durch die Haager Konvention - verboten worden. Zudem hätten
alle Kriegsteilnehmer diese grausame Waffe eingesetzt.
Nicht nur die "bösen
Deutschen" sind schuld
Zum
Argument mancher Befürworter der Seligsprechung, der Gifteinsatz wäre von
Gaswerferbataillons erfolgt, die unter dem Kommando des Bündnispartners
Deutschland gestanden waren, meinte Bihl: "So einfach kann man es sich
nicht machen". Denn auch die österreichisch-ungarischen Truppen hätten
- von der deutschen Armee in der Gaskriegsführung unterwiesen - die Waffe
eingesetzt. Es sei "müßig", zu sagen, "die bösen Deutschen
sind schuld", stellte Bihl im APA-Gespräch fest.
Friedensbemühungen
Zu
den zahlreichen Friedensbemühungen Karls betonte der Historiker: "Wenn
es jemand versucht hat, dann er." Karl I. habe einen "allgemeinen
Verständigungsfrieden" und keinen Sonder- oder Siegfrieden gewollt.
Diese Bestrebungen seien an Umständen gescheitert, die teilweise nicht in
der Hand des letzten Habsburger-Regenten lagen.
"Fast bigottische Gläubigkeit"
Zu
den Versuchen Karls, nach dem Krieg wieder auf den ungarischen Thron zu
gelangen, meinte Bihl, der Kaiser habe 1921 auf Wunsch Papst Benedikts XV.
gehandelt, der die Errichtung eines kommunistischen Regimes in Ungarn befürchtete.
In seiner "fast bigottischen Gläubigkeit - man könnte sagen
naiv" habe sich Karl an seinen Krönungseid von 1916 gebunden gefühlt.
Als er aber gemerkt habe, dass es ein Blutvergießen geben könnte, habe er
sein Vorhaben abgebrochen. "Jeder, der erobern will, wäre sofort nach
Budapest", so Bihl, "Karl hat (auf seiner Fahrt dorthin) aber
ununterbrochen Feldmessen lesen lassen".
Verschwörungstheorien
Noch
im Exil auf der Atlantik-Insel Madeira habe der Monarch den Standpunkt
vertreten, dass ihn das Volk ja nicht verjagt habe. Seine Entmachtung
brachte er demnach mit Verschwörungstheorien in Verbindung, zum Beispiel
einer Konspiration der Freimaurer, und baute sich eine Scheinwelt rund um
diese Vorstellungen auf.
Sozialpolitik
Bihl
strich hervor, dass Karl I. lediglich zwei Jahre (1916-1918) regierte.
Eindeutig positiv sei die unter seiner Regentschaft erlassene
Sozialgesetzgebung zu beurteilen. "Er hat die Sozialpolitik selbst
entworfen und beantragt", sagte Bihl. Mitten im Krieg habe er den
ersten Sozialminister ernannt, sich um die Versorgung von
Kriegshinterbliebenen gekümmert und Maßnahmen zum Schutz von Mietern
getroffen.
Propaganda
Gerüchte,
der Kaiser sei ein Trinker gewesen und habe außereheliche Verhältnisse
gehabt, stufte der Geschichtsprofessor als Propaganda der deutschen
Heeresleitung ein, die den "Schwächling" Karl diskreditieren
sollte. Zeugen seien bestochen worden; General Erich Ludendorff habe sogar
österreichische Zeitungen "gekauft", die dann negativ über Karl
und seine Gemahlin Kaiserin Zita berichteten.
Sandgruber: Fast alles zum
falschen Zeitpunkt
Wenig
Vorbildwirkung bescheinigt dem Wirken Kaiser Karls der Linzer
Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber in der Mittwoch-Ausgabe der
"Oberösterreichischen Nachrichten" (OÖN). Wenn hervorgehoben
werde, dass Kaiser Karl einzelne in der Armee übliche Formen der Körperstrafen
1917 verbieten ließ, bleibe unerwähnt, dass das Verbot "nur einige
Monate hielt". Und wenn gesagt werde, dass er den Einsatz von Giftgas
verboten habe, müsse hinzugefügt werden, dass es "trotzdem
eingesetzt" wurde. Sandgruber über den letzten österreichischen
Kaiser wörtlich: "Fast alles, was er tat, kam zum falschen
Zeitpunkt".
"Kaum
zeitgemäß"
Die
Signale dieser Seligsprechung seien "kaum zeitgemäß". Von der
Religiosität des Kaisers werde wenig Vorbildwirkung ausgehen. Die
politische Indienstnahme werde zudem den Europa-Gedanken nicht fördern,
insbesondere dort nicht, wo eine große Skepsis gegen die Habsburger bestehe
- wie in der Tschechischen Republik. Was - so Sandgruber - bleibe, sei das
Interesse der Habsburger, "nach 800 Jahren Geschichte als
erzkatholisches Erzhaus dies endlich auch kirchenamtlich bestätigt zu
erhalten".
Rauchensteiner gegen Fixierung
auf Giftgaseinsatz
Der
Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner wies Kritik an Kaiser Karl zurück,
die sich zu sehr auf den Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg fixiere.
Karl sei dafür zwar moralisch letztverantwortlich, aber Flammenwerfer oder
tagelanges Trommelfeuer seien auch nicht humaner gewesen als der Einsatz von
Giftgas. Zugleich betonte Rauchensteiner, dass Karl durchaus Möglichkeiten
gehabt hätte, den Krieg vorzeitig zu beenden.
Weitere Informationen zum Thema:
- 28. 09. 2004: Seligsprechung
Karls I.: Krenn konzelebriert nicht, Schönborn schon
- 24. 09. 2004: Papst
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- Seligsprechung
von Kaiser Karl I.: Ein mehr als 50-jähriger Prozess
- Hintergrund:
Der lange Weg zur Ehre der Altäre
Link:
Seligsprechungs-Homepage
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