News 05. 01. 2005

Historiker: "Pius XII. verweigerte Rückgabe jüdischer Kinder nicht"

Der italienische Historiker Matteo Luigi Napolitano hat Zeitungsberichte als falsch zurückgewiesen, wonach Papst Pius XII. nach dem Zweiten Weltkrieg die Rückgabe geretteter jüdischer Kinder an ihre Familien verboten habe.

In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "Il Giornale" sagte Napolitano laut "Kathpress", der Heilige Stuhl habe seinerzeit lediglich bei getauften jüdischen Kindern, die keine überlebenden Familienangehörige hatten, zur Vorsicht gegenüber den Wünschen jüdischer Verbände geraten, die diese Kinder zu sich nehmen und nach Palästina umsiedeln wollten. Anlass für diese Richtlinie des damaligen Oberhauptes der römisch-katholischen Kirche sei eine Anfrage der Oberrabbiner von Palästina und von Paris gewesen, die die Übergabe solcher Waisenkinder aus katholischer Institutionen an jüdische Organisationen erbeten hatten, sagte Napolitano. Anders habe man aber in jenen Fällen reagiert, in denen es noch überlebende Familienmitglieder gab. Der Historiker erinnerte diesbezüglich an den Fall "Finaly", bei dem 1953 in Frankreich zwei getaufte jüdische Kinder durch kirchliche Vermittlung an eine Tante zurückgegeben wurden. Napolitano lehrt Kirchengeschichte an der Universität Urbino und hat ein Buch über die Rolle Pius XII. im Zweiten Weltkrieg verfasst.

Zeitung: Pius gegen Rückgabe geretteter Kinder

Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" hatte am 28. Dezember unter Berufung auf Forschungen des französischen Historikers Etienne Fouilloux berichtet, Pius XII. habe die Rückgabe der teils getauften, jüdischen Kinder verhindern wollen, damit diese weiterhin christlich erzogen würden. Dabei habe es sich um Kinder gehandelt, die die katholische Kirche in Frankreich vor den Nationalsozialisten versteckt hielt.

Berufung auf Vatikan-Dokument

Pius habe im 1946 eine entsprechende Anweisung an den damaligen Nuntius in Frankreich, den späteren Papst Johannes XXIII., schicken lassen, so der Zeitungsbericht. Dieser habe sich der Aufforderung des Vatikans allerdings widersetzt. Das Blatt zitierte ein Vatikan-Dokument, das angeblich in Archiven der französischen Kirche entdeckt worden sei: "Getaufte Kinder dürfen nicht Institutionen übergeben werden, die keine christliche Erziehung gewährleisten können", soll es dort heißen.

Ein umstrittener Papst

Papst Pius XII. steht bereits seit Jahrzehnten wegen seines "Schweigens" zur Judenverfolgung durch das Nazi-Regime unter Beschuss. Er habe sich öffentlich nicht oder nicht genügend gegen die Verbrechen gestellt, so die Kritik von Historikern. Dagegen vertritt die Kirchenführung die Haltung, offener Widerstand des Vatikan hätte die Nazis lediglich zu noch grausameren Verbrechen provoziert. Die Kirche habe vielen Juden im Stillen geholfen.

 

 

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