Die Kirche und der Widerstand gegen das
NS-Regime
Der Kirchenhistoriker Liebmann erinnert
an das Rosenkranzfest 1938, aber auch an den beschämenden Umgang mit
katholischen KZ-Überlebenden. Über die Rolle des Kardinals Innitzer sprach
Diözesanarchivarin Fenzl: Er sei „nie ein Antisemit gewesen“.
Als "zündenden
Funken" für den katholisch-kirchlichen Widerstand gegen das NS-Regime
bezeichnete der Grazer Kirchenhistoriker em. Prof. Maximilian Liebmann bei
der Tagung "Widerstand in Österreich 1938-1945" im Parlament das
Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938 im Wiener Stephansdom. Das Fest mit der
Predigt Kardinal Theodor Innitzers, die in der Feststellung "Christus
ist unser Führer" gipfelte, sei zu einer eindrucksvollen
Widerstandskundgebung geworden. Tags darauf sei das Wiener Erzbischöfliche
Palais von den Nationalsozialisten verwüstet worden.
Kirche und KZ-Überlebende
Zugleich trat Liebmann
für eine profunde Aufarbeitung des Umgangs der Kirche mit Priestern ein,
die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den KZs zurückgekehrt waren. Der
Historiker merkte im Hinblick auf das Verhalten nach 1945 an: "Man
wollte die 'Ehemaligen', ob Täter oder nicht, für die Kirche zurückgewinnen.
Da schien die Rückschau bzw. die historisch korrekte Aufarbeitung der
NS-Zeit durch entsprechende Gedenkveranstaltungen offensichtlich mehr
hinderlich als förderlich". Liebmann wörtlich: "Analogien zum
Verhalten der politischen Parteien drängen sich hier unwillkürlich
auf".
„Patriotische Glaubenszeugen“
Der Historiker verwies
auch auf den Linzer Diözesanbischof Maximilian Aichern, der im
"Gedenkjahr" 1988 festhielt, dass die Kirche mit ihren Märtyrern
zur Zeit des Nationalsozialismus nicht zurechtgekommen sei. Diese
Feststellung habe nach wie vor Gültigkeit, so Prof. Liebmann: "Wie
kommt es, dass kaum Dankgottesdienste für das Ende des NS-Regimes, sondern
beinahe nur für die Beendigung des Krieges gefeiert wurden? Warum hat die
Kirche Österreichs ihrer patriotrischen Glaubenszeugen in Kerkerhaft nicht
gedacht? Warum hat kein Bischof versucht, einen seiner inhaftierten
Geistlichen zu besuchen?"
Symposium als ein „Weckruf“
Die Bischöfe hätten
zwar in einem gemeinsamen Hirtenbrief vom Oktober 1945 jene Christen gewürdigt,
die um des Glaubens Willen leiden mussten, konkrete Taten seien aber
ausgeblieben. Als die Grazer Katholisch-Theologische Fakultät im Sommer des
Jahres 2000 den letzten noch lebenden Priester, der das KZ erdulden musste,
mit dem Goldenen Ehrenring für seine Widerstandstätigkeit auszeichnete,
habe der 90-jährige mit tränenerstickter Stimme gesagt: "Dass das
noch jemand anerkennt, dass das noch gewürdigt wird, daran habe ich nicht
mehr gedacht". "Nachholen" sei gefragt, dafür könne das
Symposion im Parlament ein "Weckruf" sein.
Hunderte Priester betroffen
Liebmann erinnerte an
die Forschungen seiner Kollegin em. Prof. Erika Weinzierl, wonach von 1938
bis 1945 insgesamt 724 österreichische Priester im Gefängnis waren. Von
ihnen seien sieben gestorben. 110 kamen in KZs, 20 davon haben nicht überlebt.
15 wurden zum Tod verurteilt und hingerichtet. Mehr als 300 Priester waren
landesverwiesen, über 1.500 Priester wurde Predigt- und Unterrichtsverbot
verhängt.
Widerstand „von unten“
Weder aus dem
nationalsozialistischen Kirchenkampf noch aus ihrer Ablehnung von Ideologie
und Zielsetzung des Nationalsozialismus hätten die Bischöfe die Folgerung
gezogen, dass der Katholik zum aktiven Widerstand gegen das NS-Regime
berechtigt oder gar verpflichtet sei. Zu sehr wurde Hitler als
"legitime Obrigkeit" angesehen, der man zu gehorchen habe. Wer
dennoch Widerstand leistete, habe dies weitestgehend ohne Ermutigung durch
die kirchliche Obrigkeit, sondern vielmehr aus persönlicher Verantwortung
heraus getan. Liebmann: "Der aktive Widerstand kam von unten, von
einzelnen Christen oder Gemeinschaften, und die Zahl der Opfer in Österreich
war beträchtlich". Auf der anderen Seite müsse aber auch betont
werden, so Liebmann weiter, dass die Bischöfe sich niemals in der Öffentlichkeit
von Priestern oder Laien lossagten, die aus christlichen und patriotischen
Gründen verfolgt, inhaftiert oder hingerichtet wurden.
Nationalsozialistische Kirchenpolitik
Liebmann erinnerte auch
daran, dass die nationalsozialistische Kirchenpolitik in Österreich willkürlicher
und rücksichtloser war als in Deutschland. Hitler hatte Österreich zur
"konkordatsfreien Zone" erklärt, während für Deutschland das
Reichskonkordat immerhin noch eine gewisse Barriere im Kirchenkampf
darstellte. So sei etwa das Gnadengesuch, das der Apostolische Nuntius in
Berlin, Erzbischof Cesare Orsenigo, für Schwester Restituta Kafka
einreichte, gar nicht erst angenommen worden, weil seine Zuständigkeit für
Österreich nicht anerkannt wurde.
Innitzer „kein Antisemit“
Die Rolle Kardinal
Theodor Innitzers während des NS-Zeit stellte die Wiener Diözesanarchivarin
Annemarie Fenzl in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Es gelte, ein
einseitiges Bild des Kardinals zurecht zu rücken. Ganz im Gegenteil sei
Innitzer anders als zahlreiche andere Christlichsoziale seiner Zeit nie ein
Antisemit gewesen.
Entscheidung des Gewissens
Als Erzbischof von Wien
habe er von Anfang an eine entschieden judenfreundliche Haltung eingenommen.
Aber auch schon als Rektor der Universität Wien habe Innitzer jüdische
Studenten Ende der zwanziger Jahre gegen deutschnationale und
nationalsozialistische Ausschreitungen in Schutz genommen. Insgesamt stehe
Innitzer in der Spannung zwischen seiner Position als Repräsentant der
Institution, die einen Ausgleich mit den Herrschenden suchen musste, im
"zu retten, was zu retten war", und seiner kompromisslosen persönlichen
Gewissensentscheidung.
„Hilfsstelle für nichtarische
Christen“
In besonderer Weise
wies Fenzl auf die von Innitzer im eigenen Haus beherbergte "Erzbischöfliche
Hilfsstelle für nichtarische Christen", hin, die den getauften Juden
auf alle erdenkliche Weise half. Zunächst bei der Ausreise aus Österreich,
später bei der Beschaffung von Dokumenten, sie gab Beratung in Rechtsfragen
oder vermittelte ärztliche Hilfe. Am wichtigsten sei aber die seelische
Betreuung der Ausgestoßenen gewesen, so Fenzl. Die Hilfsstelle stand nicht
nur Katholiken,sondern allen Hilfesuchenden offen und hielt auch so lange
wie möglich den Kontakt mit den nach Theresienstadt oder Polen Deportierten
aufrecht.
Kontakt mit Hilfsstelle
Von den 23 Mitarbeitern
der Hilfsstelle seien zwölf im Sinne der Nürnberger Gesetze jüdischer
Herkunft gewesen, so Fenzl. Acht von ihnen seien von den Nazis ermordet
worden. Kardinal Innitzer sei ständig in engem Kontakt mit der Hilfsstelle
und den Mitarbeitern geblieben. Er habe auch unermüdlich versucht,
finanzielle Mittel für die Stelle aufzutreiben.
„Liebe ohne Grenzen“
Die Diözesanarchivarin
erinnerte auch an jene Verordnung aus dem Jahr 1941, nach der alle Juden öffentlich
den Judenstern tragen mussten. Kardinal Innitzer habe sofort einen
Hirtenbrief verfasst, in dem er alle Katholiken zur "Liebe ohne
Grenzen" ermahnte. Fenzl: "Dieses Hirtenwort, das dann auf
Betreiben der Gestapo nicht verlesen werden durfte, das aber trotzdem zur
Kenntnis genommen wurde, ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Gesinnung
Innitzers". Es sei ein mutiges Wort in jenen Tagen gewesen, als sich
Hitler entschloss, die jüdischen Menschen in seinem Machtbereich zu
vernichten.
Leben gerettet
Fenzl: "Als
Einzelperson hat Innitzer, zusammen mit seinem Team, dem er die Arbeit in
prinzipieller und finanzieller Hinsicht ermöglichte, Hunderten sogenannten
nichtarischen Menschen das Leben gerettet". Darüber hinaus habe er
vielen Todeskandidaten die letzte Lebenszeit erträglich und würdevoller zu
gestalten versucht. Fenzl: "Das hat er auch erreicht, wie erschütternde
Briefe aus Polen und Theresienstadt beweisen".
Sr. Restituta "Resolute" Märtyrerin
Als "sehr kantiges
Beispiel für den Einzelwiderstand" bezeichnete Sr. Edith Beinhauer das
Leben und Wirken der selig gesprochenen Sr. Restituta Kafka. Als Märtyrerin
liege Sr. Restitutas Bedeutung gerade darin, Menschen zum Engagement und zum
Widerstand zu ermutigen. In den Jahren der Naziherrschaft habe man ihr von
Ordensseite abgeraten, Widerstand zu leisten. Stattdessen sollte sie die
Situation in Demut hinnehmen. Doch Schwester Restituta "widerstand in
ihrer geradlinigen Art dem Widerstand gegen den Widerstand", so
Beinhauer. Ihre oft ruppige Art habe ihr auch den Spitznamen "Schwester
Resoluta" eingetragen, den selbst Papst Johannes Paul II. in der
Predigt zur Seligsprechung auf dem Wiener Heldenplatz 1998 gebrauchte.
Widerstand im Kleinen
Der Widerstand Sr.
Restitutas lag dabei im Kleinen, wie Beinhauer betonte, die im
Seligsprechungsverfahren als Vizepostularin fungiert hatte: So hängte Sr.
Restituta Kreuze im Krankenhaus Mödling auf und weigerte sich, diese auf
Nazi-Geheiß wieder abzunehmen. Nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo im
Februar 1942 weigerte sie sich, zu kooperieren, was ihre Situation immer
aussichtsloser machte.
Zum Tod verurteilt
Aus der Zeit ihrer Haft
seien - so Beinhauer - Aussagen der Mitgefangenen überliefert, die in Sr.
Restituta immer "Hilfsbereitschaft, Mut und Tröstungen" fanden.
Sie habe allen vorgelebt, was es heißt, zu glauben, so Beinhauer. Im
Oktober 1942 wurde die Ordensfrau wegen Hochverrats zum Tod verurteilt und
am 30. März 1943 hingerichtet. Papst Johannes Paul II. sprach Sr. Restituta
am 21. Juni 1998 in Wien selig.
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