Kreuz & Quer

Dienstag, 30. 10. 01, 23.05 Uhr in ORF 2

Sterben auf Wunsch

Eine Dokumentation von Rob Hof

 

Es sind die Kranken, die das Steuer in der Hand haben, nicht wir," sagt Dr. Joep Douma, der Chefarzt des Onkologischen Städtischen Klinikums in Arnheim in Holland. Er hat viele Jahre Erfahrung in der Begleitung todkranker Menschen.

Dr. Joep Douma gehört zur niederländischen Ethik-Kommission, die pro Jahr einen großen Teil der Sterbehilfe-Fälle überprüft. Joep Douma spricht erst dann mit seinen Patienten über das Thema Sterbehilfe, wenn diese das ausdrücklich wünschen und mit ihren Angehörigen abgesprochen haben. In den Niederlanden wird jährlich bei etwa 2.000 Menschen Sterbehilfe geleistet. Das Parlament hat nunmehr angesichts einer sehr unübersichtlichen Praxis ein liberales Gesetz zur aktiven Sterbehilfe verabschiedet, das einige der offenen und äußerst unbefriedigenden Aspekte regeln soll. Andere europäische Länder - besonders Deutschland - befürchten, dass damit eine Lockerung des Tötungsverbotes vorangetrieben wird.

Die Dreharbeiten

Der niederländische Filmemacher Rob Hof drehte zwei Monate lang in der Arnheimer Klinik, begleitete Dr. Douma zu Gesprächen mit todkranken Patienten. Wenn es um die Frage nach einem vorzeitigen Ende ging, sprach er mit den Kranken selbst, mit den Angehörigen und dem Pflegepersonal. Sehr behutsam wird der Weg des sterbenskranken Henk L. und seiner Angehörigen bis zum Tod begleitet. Es werden die verschiedenen Prüfungen deutlich gemacht, die absolute Voraussetzung für die in den Niederlanden legalisierte Sterbehilfe sind. Zudem werden Arzt und Pfleger darüber Auskunft geben, wie sie mit der ihnen übertragenen Verantwortung fertig werden und welche Haltung sie zu den damit verbundenen ethischen Fragen haben

Der Arzt Joep Douma

Joep Douma (52) spezialisierte sich nach seinem Medizin-Studium auf Innere Medizin und Onkologie. Als Onkologe arbeitete er zwischen 1981 und 1987 auf verschiedenen Krebsstationen. Seit 1987 ist er im Rijnstate-Krankenhaus in Arnheim. Er ist Vorsitzender der Krankenhauskommission Onkologie und Vorsitzender des Integralen Krebs-Zentrum Niederlande-Ost.

Aktive Sterbehilfe in Holland

Joep Douma hat während seiner Karriere immer eine enge Verbindung zu seinen Patienten angestrebt. Die Behandlung und persönliche Betreuung waren ihm immer das Wichtigste. Auch in der Sterbensphase hat er seine Patienten nie allein gelassen. Schon vor der gesetzlichen Regelung hat Douma mehrmals aktive Sterbenshilfe geleistet. Es war damals noch nicht offiziell erlaubt, obwohl es bei sorgfältiger Ausführung toleriert wurde.

Sterbehilfe ist keine Pflicht für den Arzt

Aktive Sterbehilfe ist für Douma kein automatisches Recht des Patienten und schon gar keine Pflicht für den Arzt. Nur in Übereinstimmung können Arzt und Patient, und nachdem alle gesetzlichen Kriterien erfüllt sind zur aktiven Sterbehilfe kommen. Vor allem braucht es ein gewachsenes, vertrauensvolles Verhältnis zu einem Patienten, um überhaupt die Möglichkeit einer Sterbehilfe in Erwägung zu ziehen. Schon aus diesem Grund kann Joep Douma die Frage nach aktiver Sterbehilfe von deutschen Patienten nie positiv beantworten, obwohl er eine offene und vor allem ehrliche Diskussion in Deutschland zu dem Thema gerne sehen würde. Das ist auch der Grund, weshalb er bei diesem Film mitgewirkt hat.

 

Sterbehilfe-Gesetz in Holland

Am 12. April 2001 trat in Holland das "Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung" in Kraft. Sterbehilfe bleibt allerdings auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes strafbar. Der Arzt bleibt lediglich dann straffrei, wenn er die strengen gesetzlichen Bedingungen erfüllt

  • Er muss zu der Überzeugung gelangt sein, dass der schwerkranke Patient seine Bitte freiwillig und nach reiflicher Überlegung geäußert hat.

  • Er muss zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich ist.

  • Er muss den Patienten über seine Situation und die Heilungschancen aufgeklärt haben.

  • Er muss gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt sein, dass es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung als die aktive Beendigung des Lebens gibt.

  • Er muss mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen haben.

  • Dieser Arzt muss den Patienten untersucht und schriftlich dazu Stellung genommen haben, ob die unter 1 bis 4 genannten Voraussetzungen gegeben sind.

  • Er muss die Lebensbeendigung beziehungsweise die Hilfe bei der Selbsttötung fachgerecht durchgeführt haben.

Ob diese Bedingungen bei einem Fall aktiver Sterbehilfe erfüllt wurden, wird von einer Kontrollkommission überprüft. Sie besteht aus einem Juristen, der zugleich Vorsitzender ist, einem Arzt und einem Ethiker. Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass der Arzt alle vorgeschriebenen Sorgfaltskriterien eingehalten hat, ist die Angelegenheit erledigt, andernfalls wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Im Gesetz wird außerdem die Gültigkeit eines schriftlichen Patiententestaments ausdrücklich anerkannt. Eine solche Willenserklärung hat dieselbe Bedeutung wie eine konkrete, schriftlich oder mündlich geäußerte Bitte um Sterbehilfe.

 

 

 

Anmerkungen des Autors:

 

"Vor diesem Film habe ich mich eigentlich wenig darum gekümmert, was aktive Sterbehilfe wirklich bedeutet. Auch nicht, was es heißt, auf einer Krebsstation zu liegen, mit dem Wissen, dass die Krankheit nicht heilbar ist. Man denkt lieber nicht darüber nach, so lange man selbst davon nicht betroffen ist. Aber einmal werden wir alle sterben, und vielleicht sollten wir doch darüber nachdenken, was man sich dann wünscht.-

Sterbehilfe

Obwohl wir in Holland eine lange Diskussion in Presse und Politik um die aktive Sterbehilfe hatten, war mir mein eigener Standpunkt dazu nicht richtig klar. Es betraf mich einfach nicht und niemanden in meiner Familie. Als ich mit diesem Film anfing, hatte ich die Vorstellung, ich zeige einfach die Praxis am Beispiel einer Klinik und und hoffte, dass der Zuschauer und ich während dieses Prozesses des Begleitens eine Haltung finden könnte, die uns Ja oder Nein zur aktiven Sterbehilfe sagen lassen würde. Auf diese Weise bin ich an dieses Thema herangegangen. Als ich dann mit den Recherchen begann, war mir sehr schnell klar, dass es nicht einfach sein würde, dem Prozess des Sterbens und vielleicht sogar der aktiven Sterbehilfe zu folgen. Erstens ist es sehr intim und kaum zu erwarten, dass Menschen sich in ihrer letzten Lebensphase einem Fernsehteam öffenen. Und zweitens hatten viele Angst, dass dieses Thema - gerade für das deutsche Fernsehen - sensationell gedreht würde

Als ich endlich ein Krankenhaus gefunden hatte, einen Arzt, der mir erlaubte, auf seiner Krebsstation zu recherchieren und mich frei zu bewegen, habe ich mir viel Zeit genommen, um zu verdeutlichen, warum ich mit diesem Film wollte. Es sollte nicht nur ein Zuschauen sein, sondern ein Lernen von den Patienten für mich, aber vor allem auch für die Zuschauer. Offen und aufrichtig sagte ich den Ärzten und Pflegern auf der Krebsstation im Rijnstate-Krankenhaus in Arnheim, was mich bei diesem Thema interessierte, wie der Film sein sollte. Eigentlich wollte ich darüber berichten, was für mich auch immer am wichtigsten war und ist, dass ich als Person immer am Steuer meines Lebens sein will - bis zum Ende. Ich wünsche kein Mitleid, auch nicht wenn ich krank bin. Das Einzige, was ich dann wünsche ist, im Stande zu sein, weiterzufahren. Mir war nun wichtig, wie weit ist dies bei todkranken Patienten überhaupt noch möglich? Wollen Sie überhaupt die Regie für ihr Leben behalten? Wollen sie schließlich selbst entscheiden, ob der Arzt weiterbehandelt oder ob er sie sterben lassen soll.

Dreharbeiten

Bevor wir mit den Dreharbeiten begannen, entschuldigte ich mich bei jedem Patienten, dass ich überhaupt da war, um noch ein bisschen von ihren letzten Tage zu erfahren. Ich versuchte mich jedesmal, wenn wir drehten, zu rechtfertigen. Aber sie zeigten mir sehr schnell, dass es für sie in Ordnung war, dass sie spürten, das es mir wichtig ist, sie als Manager ihres Lebens zu zeigen. Wie sie damit umgehen und auch mit ihrem Tod - das sollte mein Thema sein. Eine Wertung dazu wollte ich vermeiden, genauso wenig wie Mitleid. Ich wollte sehen, wie die Patienten zusammen mit Pflegern und Ärzten ihre letzten Wochen und Tage gestalten. Es sollte ganz alleine ihre Geschichte bleiben.

Einblicke

Ich bin während der wochenlangen Recherchen und Drehtagen Menschen auf diesem Wege gefolgt, durfte ihnen folgen und sie begleiten. Selbst weiß ich noch immer nicht, was ich wünschen würde. Aber eines weiß ich, dass ich die Möglichkeit haben möchte, selbst zu entscheiden und in ehrlicher und offener Atmosphäre alles mit meinem Arzt zu besprechen, wie ich es im Arnheimer Klinikum erfahren habe. Die Patienten schauen nicht auf zum Herrn Doktor, sondern er setzt sich aufs Bett und spricht mit ihnen, wie mit Freunden oder Familienangehörigen. Ich finde, das ist ein Trost in solchen Situationen. Denn es ist schrecklich, wenn man todkrank ist und dann in einer kühlen, hierarchischen Atmosphäre sein muss, wo der Patient selbst fast nichts - das eigene Leben betreffend - entscheiden darf.

Begegnungen

30 Tage war ich auf der Krebsstation. Am Anfang hatte ich ein sehr reserviertes Gefühl zum Krebs, zum Leiden, zum Tod. Allmählich fühlte ich mich besser und besser auf der Station, erfuhr auch vom schwarzen Humor der Patienten und Pfleger, erfuhr viel Wärme und Respekt auf dieser Abteilung. Der Umgang mit den Patienten verlief sehr offen und herzlich. Für Ewa, eine unserer Protagonistin, war es offenbar eine schöne Ablenkung mit uns zu arbeiten. Die Bedrohlichkeit ihrer Krankheit rutschte dann für Stunden in den Hintergrund. In den Gesprächen und Interviews mit uns zog ihr ganzes Leben noch einmal an ihr vorüber. Nach den ersten Gesprächen waren wir immer mit der Kamera auf der Station. Wir drehten viel, waren beeindruckt von der Ehrlichkeit und Direktheit der Patienten und ihre Bereitschaft, für die Fernsehzuschauer deutlich zu machen, was es heißt unheilbar krank zu sein und sich mit dem Tod auseinander zu setzen. Doch am Ende hatten wir soviel Filmmaterial, dass wir nur einen Bruchteil davon für den 30-minütigen Film verwenden konnten. Wir haben uns dann für drei Personen entschieden, die im Mittelpunkt stehen, zusammen mit dem Arzt Dr. Joep Douma

Am Ende

Am Ende habe ich den Film den Partnern der verstorbenen Hauptpersonen gezeigt. Sie sollten einverstanden sein damit, wie ihre Lieben gezeigt wurden. Es war für mich das Wichtigste, dass es für sie stimmte, dass sich auch die Ärzte und Pfleger wieder erkennen. Insgesamt fand ich es sehr mutig, dass das Klinikpersonal und auch die Patienten mir so viel Vertrauen entgegen brachten, obwohl sie wussten, dass dieser Film in Deutschland gezeigt werden soll. Denn sie wissen auch, dass es in der deutschen Öffentlichkeit sehr große Vorbehalte gegen aktive Sterbehilfe gibt, so wie sie in Holland erlaubt ist und dass vor allem sehr viele Vorurteile gegenüber der holländischen Praxis kursieren.

Was zurückbleibt

Nachts träumte ich manchmal von den Patienten oder davon, selbst Krebs zu haben. Mehr als einmal dachte ich, jetzt ist es so weit, ich bin krank. Ein Fleckchen hier, eine kleine Geschwulst dort, ein wiederkehrender Husten, der nicht verschwindet, ein unbestimmtes Magendrücken, ein bisschen Kopfschmerzen. Ich bin viel krank gewesen in meinen Träumen. Für mich waren die Dreharbeiten, der Umgang mit diesem Thema und vor allem natürlich mit den Patienten eine große Bereicherung. Ich habe viel gelernt von diesen schwerkranken Menschen. Ich empfinde es als einen großen Trost, zu wissen, wenn ich sterben muss - dass ich die Möglichkeit habe, mein Ende selbst zu bestimmen. Ich habe sogar mit Dr. Joep Douma darüber gesprochen. Sollte mir so etwas passieren, würde ich mich gerne an ihn wenden und mich ihm anvertrauen. Aber was ich wirklich machen würde, das weiß ich nicht. Ich denke, das weiß keiner, bis die Situation kommt."

Rob Hof