Erfüllte Zeit

21. 10. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 "Das Gleichnis vom gottlosen Richter und der Witwe"
(Lukas 18, 1 – 8)

kommentiert von Abt Heinrich Ferenczy

 

Ein schwieriges Gleichnis, das nur der Evangelist Lukas kennt!

Wer ist dieser Richter, der Gott nicht fürchtet, wer ist mit der Witwe gemeint, die immer wieder versucht, bei diesem Richter zum Recht zu kommen?

Man wagt es kaum zu sagen: dieser unzugängliche Richter ist Gott selbst: wer kennt nicht das Gefühl, dass sich gar nichts zu rühren scheint, wenn wir Gott unsere Bitten vortragen. Gerade in diesen Tagen, in denen so viel Böses, so viel Unrecht geschieht, stellt sich die quälende Frage: warum greift Gott nicht ein, warum hört er auf die vielen Bitten der Menschen nicht; ist ihm denn alles gleichgültig? - Es scheint oft so zu sein.

Jetzt gibt es jedoch diese unermüdliche, lästige und hartnäckige Witwe. Sie steht für die zahlreichen Armen, Entrechteten, eben für die, die auch für das Gericht uninteressant sind. Diese lässt sich durch die starre Haltung des ungerechten Richters nicht davon abschrecken, immer wieder ihre Bitte vorzutragen und ihr gegenüber einem Feind zum Recht zu verhelfen.

Wir kennen diese Art von Menschen sehr gut: sie fallen uns lästig, und trotzdem müssen wir sie insgeheim bewundern. Sie haben ein unglaubliches Stehvermögen, eine bewundernswerte Ausdauer und vor allem die Fähigkeit, mit Enttäuschungen fertig zu werden. Man wirft sie häufig bei der einen Tür hinaus; bei der anderen kommen sie wieder herein. – So wird eines Tages der Witwe zu ihrem Recht verholfen. Es könnte für den Richter gefährlich werden, sie länger hinzuhalten. – Daraus zieht der Evangelist den Schluss: "Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern?

Woran liegt es dann, dass wir nicht selten den Eindruck haben, dass unser Bitten und Beten nichts fruchtet? – Es fehlt am Glauben, am festen Vertrauen, dass unser Bitten überhaupt erhört werden könnte. Neigen wir nicht eher zu der häufig anzutreffenden kurzschlüssigen Haltung: Ist es nicht doch besser, wenn wir selber nach dem Rechten sehen, uns selbst das Recht verschaffen und nicht erst lange auf einen Wink des Himmels warten?

Die hartnäckige Witwe ist fest geblieben, hat in ihrem Bitten nicht nachgelassen; erwartet sich der Herr nicht auch von uns etwas mehr "gläubige Hartnäckigkeit"?

 

Woher nahm die Frau diese Kraft? - Es wird einmal eine gewisse Lebenserfahrung dahintergestanden sein: mit ihrem verstorbenen Mann, mit den Kindern, mit den zahlreichen Schicksalsschlägen, die das Leben so bringt. – Es ist gar nicht so leicht, sich immer wieder zu erheben, weiterzugehen, neue Lebensziele zu suchen, das Leben eben weiterzuleben! Diese Fähigkeit, sich wieder aufzurichten, schöpfte diese unscheinbare Frau aus einem tiefen Vertrauen, dass sie mit all ihren Sorgen und Ungerechtigkeiten, die sie ertragen musste, letztlich doch nie allein war. Jahwe war höchstwahrscheinlich für sie wirklich der Gott, der für sie da sein will, der Gott der oft leidvollen Geschichte ihres Volkes. Lebensweisheit und Gottvertrauen, eine starke innere Haltung und ein entsprechendes Durchhaltevermögen führten schließlich zum Ziel, zu ihrem Recht.

Übersetzt in unsere Zeit, könnte ja alles auch anders sein: Enttäuschungen führen nicht selten zur Verbitterung, zur Resignation: "Es hat ja doch alles keinen Sinn!" Über diesen negativen Erfahrungen schwindet dann auch der Glauben dahin. Am Ende steht letztlich das Nichts. – Ein Schluss, den in den letzten Jahrzehnten viele Menschen gezogen haben. – Aber so ist es ja Gott sei Dank nicht! Sehr viele vom Schicksal geprüfte Menschen haben bewiesen, dass es weitergehen kann, dass ihnen irgendwann einmal, oft sehr spät, doch das Recht zuerkannt wurde.

Mit diesen Gedanken ist dieses Gleichnis vom gottlosen Richter und der Witwe nicht ausgeschöpft: es zielt letztlich auf unsere Gemeinden in der Endzeit ab. Seit der Ankunft Jesu stehen wir am Ende der Zeiten. Wie stellen sich unsere Gläubigen auf diese Tatsache ein? - Würde der Gedanke der "Ankunft des Herrn" mehr im Vordergrund stehen, würden sich viele Beiläufigkeiten erübrigen. Es würde vieles von mehr Ernst und Hoffnung geprägt sein, aber auch mehr Freude überzeugter und überzeugender Gläubigkeit.

Die heutige Sonntagsperikope endet fast resigniert: " Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden?" - Die Antwort auf diese Frage müssen wir heute selbst finden.