Die Seligpreisungen am Beginn der Bergpredigt sind
der wohl dichteste Text des Neuen Testaments. Sie stellen das
Programm für sein öffentliches Wirken dar. Wir sind mit ihnen
sosehr vertraut, dass uns kaum noch auffällt, wie paradox, ja
anstoßerregend, sie sind. Denn alles, was hier gesagt wird,
widerspricht dem menschlichen Hausverstand diametral. Gilt doch für
dieses Alltagsverständnis das genaue Gegenteil: Selig sind die
Reichen, denn sie können in Sicherheit und Annehmlichkeit leben.
Selig sind die sich durchzusetzen verstehen, denn sie werden Erfolg
haben. Vielleicht ließe sich noch verstehen, wenn es hieße: Selig,
die Gebildeten, denn sie können sich in der Welt orientieren, - wie
es z.B. in einer Schrift Vergils heißt.
Wie ist es überhaupt möglich, diese – auch
für uns - durch und durch plausibel erscheinenden Aussagen in ihr
Gegenteil zu verkehren? Der Widerständigkeit des Textes entspricht,
dass die Seligpreisungen im Laufe der Jahrhunderte in
vielfältigster Weise ausgelegt wurden. Jede Zeit muss so mit diesen
Worten des Evangeliums neuringen, ohne dass es je gelänge, sie voll
auszuschöpfen. All unser Denken dazu bleibt hier fragmentarisch.
Von den insgesamt neun Seligpreisungen bei
Matthäus richten sich drei an Menschengruppen, die sich in einer
schwierigen Lebenslage befinden: an jene, die arm sind vor Gott, an
jene, die trauern und an jene, die verfolgt werden um des
Evangeliums willen. Sie werden seliggepriesen, weil ihre Armut, ihre
Trauer, ihre Verfolgung vorübergehend sind. Jesus blickt auf sie
vom Ende der Zeit her. Das Ziel ist ein "neuer Himmel und eine
neue Erde, in denen Gerechtigkeit herrscht" (3 Petr 3,13). Eine
derartige Sichtweise vom Ende der Zeit her aber verbietet jede
kritiklose Akzeptanz des sozialen Status quo. Eine Haltung, die sich
in der Welt, so wie sie eben ist, einzurichten versteht,
widerspricht dem Evangelium. Wir sind gefordert, Hand an- zulegen.
Dies zu vergessen, ist der Fehler einer weltabgewandten,
quietistischen Frömmigkeit. Es ist auch der Fehler einer weit
verbreiteten Weltanschauung des Laissez-faire. Beide gehen mit dem
Menschen und damit auch mit Gott unerträglich leichtsinnig um. Sie
stellen sich nicht dem Ernst der Gegenwart, der in ihr vorhandenen
Ungerechtigkeit und Gewalt. Die Seligpreisungen tun eben dies. Sie
sind Aufschrei und Verheißung zugleich: So kann, so soll die Welt
nicht bleiben. Sie muss sich von Grund auf ändern, damit sie dem
Menschen gerecht wird.
Wie aber soll dies geschehen? Dieser Frage stellt
sich die zweite Gruppe der Seligpreisungen. Diese wenden sich nicht
an Menschen in bestimmten Lebenslagen, sondern sie an solche, die
bestimmte Charaktereigenschaften haben und dementsprechend handeln
können. Selig sind, die keine Gewalt anwenden, die nach
Gerechtigkeit streben und die Barmherzigen. Aber auch jene, die ein
reines Herzen haben und die Frieden stiften. Diese Seligpreisungen
sind mit der Zusage verbunden, dass ein derartiges Handeln fruchtbar
ist für Gottes Reich und damit auch für die Welt. Denn die
Friedfertigen werden das Land erben, jene, die gerecht handeln,
werden Erfolg haben. Die Gütigen, werden selbst gütig behandelt
werden, die, die das Rechte tun, werden Gott schauen und die
Friedensstifter werden als Kinder Gottes anerkannt werden. Auch dies
steht vielfach im Widerspruch zu unserer alltäglichen Erfahrung.
Doch genau das ist die Logik des Reiches Gottes. E. Fromm sagte
einmal: Für das jüdische Verständnis heißt an Gott glauben nicht
etwas über ihn wissen, sondern ihn nachahmen. Die Seligpreisungen,
für die die Bergpredigt dann Anschauungsmaterial bietet, sind
Nachahmung Gottes. Sie zeigen den Weg auf, den Gott gewählt hat,
zur Verwandlung der Welt von unten her. Es ist ein Weg, der bei
alltäglichen Situationen ansetzt. Sie sollen kreativ auf mehr
Güte, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit hin verwandelt werden. Die
Adressaten dieses Angebots sind zuerst die Jünger und Jüngerinnen
Christi. Doch darüber hinaus richtet es sich an alle Menschen. Es
geht nicht um religiöse Virtuosität, sondern um eine neue Sicht
der Wirklichkeit und um ein entsprechendes Tun. Denn eine Welt, in
der Frieden, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit herrschen, ist der
Traum aller Menschen. Dies gilt im Großen - für die Politik,
ebenso wie im Kleinen - für unsere alltäglichen Lebenswelten. Auf
beiden Ebenen braucht es den Mut und die Kreativität, neue Wege zu
gehen, um dem Hass, der Gewalt und der Ungerechtigkeit zu wehren und
um die Welt der Menschlichkeit ein Stück näher bringen. Ideale –
sagte ein Weiser - sind für uns dasselbe, wie die Sterne für
Seeleute. Wir erreichen sie nie, aber wir richten uns an ihnen aus,
damit wir ans Ziel gelangen. Die Seligpreisungen sind so Wegweiser
am und zum Himmel.