Erfüllte Zeit

1. 11. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Alles beginnt mit der Sehnsucht" -

von Alfons von Liguori

 

Es ist ein großer Irrtum, wenn einige sagen: Gott will nicht, dass alle heilig werden. Im Gegenteil, versichert Paulus: "Das ist es, was Gott will: eure Heiligung" (1 Thess 4,3). Das gilt für jeden Stand: Der Ordenschrist soll als Ordenschrist heilig werden, der Laie als Laie, der Priester als Priester, der Verheiratete als Verheirateter, der in der Wirtschaft Tätige als Wirtschafttreibender, der Soldat als Soldat, und entsprechend in jeder anderen Lebensform, in jedem Beruf und jedem Stand. Meine große Patronin, die hl. Teresa von Avila, schreibt dazu überaus Schönes. So heißt es einmal: "Unser Verlangen soll hochherzig sein; denn davon kommt unser Heil." Ferner: "Wir dürfen in unserer Sehnsucht nicht verbittern, sondern sollen auf Gott vertrauen, dass er uns in unserer Anstrengung nach und nach dorthin gelangen lässt, wohin viele Heilige mit seiner Gnade gekommen sind." Zur Bestätigung dessen führt sie die Erfahrung von hochherzigen Personen an, die in kurzer Zeit großen Nutzen daraus gezogen haben. Denn -sagt sie – "Der Herr hat Gefallen an der Sehnsucht (nach Heiligkeit); so als ob diese Sehnsucht schon ans Ziel gekommen wäre." An anderer Stelle schreibt sie: "Gott erweist nur dem seine besondere Gunst, der sich in der Tiefe des Wesens nach seiner Liebe sehnt." Ferner: "Gott unterlässt es nicht, das sehnsüchtige Verlangen schon in diesem Leben zu belohnen; denn er ist ein Freund großherziger Seelen, wenn diese nicht ihr Vertrauen auf sich selbst setzen." Von dieser Hochherzigkeit war unsere Heilige selbst beseelt; in dieser Haltung konnte sie eines Tages dem Herrn sagen, dass es ihr zwar nicht schwer fiele, wenn sie im Himmel andere in größerer Freude sehen würde, als sie selbst sie besäße; sie wüsste aber nicht, wie sie es ertragen könnte, wenn sie bei anderen eine größere Liebe zu Ihm wahrnehmen müsste.

 

Man muss also zuversichtlich sein. Denn "gut ist der Herr zu dem, der sehnsüchtig nach ihm Ausschau hält" (KlgI 3,25). Gott ist überaus gut und großzügig zu dem, der ihn von Herzen sucht. Nicht einmal Sünden, die wir begangen haben, können uns daran hindern, heilig zu werden, wenn wir dies wirklich wollen. Die hl. Teresa warnt: "Der Teufel möchte uns weismachen, dass es Hochmut ist, nach Großem zu verlangen und die Heiligen nachahmen zu wollen; dagegen ist es sehr wichtig, Mut für Großes aufzubringen, auch wenn die Seele nicht sogleich die Kraft dazu hat. Der Mut gibt wenigstens den Schwung, um einen kräftigen Schritt nach vorn zu tun.

 

Paulus schreibt: "Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt" (Röm 8,28), und er fügt hinzu: "auch die Sünden". Sogar die Sünden, die wir begangen haben, können zu unserer Heiligung beitragen, insofern uns die Erinnerung an sie demütiger und dankbarer werden lässt, wenn wir Gottes gute Gaben in den Blick nehmen, die dieser geschenkt hat, auch nachdem wir ihn so beleidigt haben. Ich kann nichts tun, muss der Sünder sagen, ich verdiene nichts als die Hölle; aber ich habe es mit einem unendlich guten Gott zu tun, der versprochen hat, jeden zu erhören, der ihn bittet. Da er mich nun aus der Verdammnis befreit hat, mich zur Heiligkeit ruft und mir schon jetzt seine Hilfe dazu anbietet, kann ich wirklich heilig werden, zwar nicht aus eigener Kraft, aber mit der Gnade meines Gottes, der mich stärkt. "Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt" (Phil 4, 13).

 

Wenn wir nun das Gute wirklich ersehnen, müssen wir im Vertrauen auf Gott auch zuversichtlich ans Werk gehen. Stoßen wir bei irgendeiner geistlichen Anstrengung aber auf Hindernisse, so haben wir uns dem Willen Gottes zu ergeben. Der Wille Gottes muss all unseren guten Wünschen vorgezogen werden...

 

 

Aus: "Quellen geistlichen Lebens" - Band III: Die Neuzeit, Hg. Gisbert Greshake, Josef Weismayer, Matthias Grünewald Verlag Mainz