"Alles beginnt mit der
Sehnsucht" -
von Alfons von Liguori
Es ist ein großer Irrtum, wenn
einige sagen: Gott will nicht, dass alle heilig werden. Im
Gegenteil, versichert Paulus: "Das ist es, was Gott will: eure
Heiligung" (1 Thess 4,3). Das gilt für jeden Stand: Der
Ordenschrist soll als Ordenschrist heilig werden, der Laie als Laie,
der Priester als Priester, der Verheiratete als Verheirateter, der
in der Wirtschaft Tätige als Wirtschafttreibender, der Soldat als
Soldat, und entsprechend in jeder anderen Lebensform, in jedem Beruf
und jedem Stand. Meine große Patronin, die hl. Teresa von Avila,
schreibt dazu überaus Schönes. So heißt es einmal: "Unser
Verlangen soll hochherzig sein; denn davon kommt unser Heil."
Ferner: "Wir dürfen in unserer Sehnsucht nicht verbittern,
sondern sollen auf Gott vertrauen, dass er uns in unserer
Anstrengung nach und nach dorthin gelangen lässt, wohin viele
Heilige mit seiner Gnade gekommen sind." Zur Bestätigung
dessen führt sie die Erfahrung von hochherzigen Personen an, die in
kurzer Zeit großen Nutzen daraus gezogen haben. Denn -sagt sie –
"Der Herr hat Gefallen an der Sehnsucht (nach Heiligkeit); so
als ob diese Sehnsucht schon ans Ziel gekommen wäre." An
anderer Stelle schreibt sie: "Gott erweist nur dem seine
besondere Gunst, der sich in der Tiefe des Wesens nach seiner Liebe
sehnt." Ferner: "Gott unterlässt es nicht, das
sehnsüchtige Verlangen schon in diesem Leben zu belohnen; denn er
ist ein Freund großherziger Seelen, wenn diese nicht ihr Vertrauen
auf sich selbst setzen." Von dieser Hochherzigkeit war unsere
Heilige selbst beseelt; in dieser Haltung konnte sie eines Tages dem
Herrn sagen, dass es ihr zwar nicht schwer fiele, wenn sie im Himmel
andere in größerer Freude sehen würde, als sie selbst sie
besäße; sie wüsste aber nicht, wie sie es ertragen könnte, wenn
sie bei anderen eine größere Liebe zu Ihm wahrnehmen müsste.
Man muss also zuversichtlich sein.
Denn "gut ist der Herr zu dem, der sehnsüchtig nach ihm
Ausschau hält" (KlgI 3,25). Gott ist überaus gut und
großzügig zu dem, der ihn von Herzen sucht. Nicht einmal Sünden,
die wir begangen haben, können uns daran hindern, heilig zu werden,
wenn wir dies wirklich wollen. Die hl. Teresa warnt: "Der
Teufel möchte uns weismachen, dass es Hochmut ist, nach Großem zu
verlangen und die Heiligen nachahmen zu wollen; dagegen ist es sehr
wichtig, Mut für Großes aufzubringen, auch wenn die Seele nicht
sogleich die Kraft dazu hat. Der Mut gibt wenigstens den Schwung, um
einen kräftigen Schritt nach vorn zu tun.
Paulus schreibt: "Wir wissen,
dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt" (Röm
8,28), und er fügt hinzu: "auch die Sünden". Sogar die
Sünden, die wir begangen haben, können zu unserer Heiligung
beitragen, insofern uns die Erinnerung an sie demütiger und
dankbarer werden lässt, wenn wir Gottes gute Gaben in den Blick
nehmen, die dieser geschenkt hat, auch nachdem wir ihn so beleidigt
haben. Ich kann nichts tun, muss der Sünder sagen, ich verdiene
nichts als die Hölle; aber ich habe es mit einem unendlich guten
Gott zu tun, der versprochen hat, jeden zu erhören, der ihn bittet.
Da er mich nun aus der Verdammnis befreit hat, mich zur Heiligkeit
ruft und mir schon jetzt seine Hilfe dazu anbietet, kann ich
wirklich heilig werden, zwar nicht aus eigener Kraft, aber mit der
Gnade meines Gottes, der mich stärkt. "Alles vermag ich durch
ihn, der mir Kraft gibt" (Phil 4, 13).
Wenn wir nun das Gute wirklich
ersehnen, müssen wir im Vertrauen auf Gott auch zuversichtlich ans
Werk gehen. Stoßen wir bei irgendeiner geistlichen Anstrengung aber
auf Hindernisse, so haben wir uns dem Willen Gottes zu ergeben. Der
Wille Gottes muss all unseren guten Wünschen vorgezogen werden...