Erfüllte Zeit
4. 11. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
"Jesus
im Haus des Zöllners Zachäus" (Lukas
19, 1-10)
kommentiert von Prof. Ingeborg
Gabriel
Zachäus ist eine unternehmerische Persönlichkeit
seiner Zeit. Dies zeigt sich in seinem Beruf. Er ist oberster
Steuereintreiber und hat es dabei, oft auf nicht legale Weise zu
großem Reichtum gebracht. Dies zeigt sich aber auch in der
Zielstrebigkeit, mit der er sein Projekt verfolgt, Jesus zu sehen.
Er ist überaus erfreut, als seine Bemühungen noch mehr Erfolg
haben als ursprünglich intendiert. Er sieht Jesus nicht nur vom
Maulbeerfeigenbaum aus. Jesus kommt sogar zu ihm zu Gast. Die
Empörung der anderen ist verständlich. Doch Zachäus weiß selbst,
dass er keine reine Weste hat. Gewohnt gezielt zu handeln und zu
kalkulieren, reagiert er auch in dieser Situation rasch. Er rechnet
sich aus, wie viel von seinem Vermögen er abgeben und welche
"Buße" für erpresste Zolleinnahmen er sich auferlegen
kann. Es ist ein beachtlicher Betrag, auf den er sich angesichts des
Besuchs Jesu verpflichtet. Wir können jedoch davon ausgehen, dass
er seine materielle Existenz in keiner Weise aufs Spiel setzt.
Anderenfalls wäre eine derart genaue Rechnung nicht nötig. Lukas
erzählt ein Kapitel früher die bekanntere Geschichte vom reichen
Jüngling (Lk 18, 18 - 27). Diesen fordert Jesus auf, alles zu
verkaufen. Der Ruf, der an Zachäus ergeht, ist ein anderer. Ihm
bleibt, was er zum Leben braucht und wohl noch einiges darüber
hinaus. Und doch heißt es am Ende der Geschichte, dass ihm und
seinem Haus das Heil geschenkt wurde. Hier stellt sich die Frage:
Was bedeutet das konkret?
Die Verteilung der materiellen Mittel, also von
Reichtum und Armut, ist vielleicht das zentrale Thema in unserer
gegenwärtigen Weltlage. Das reichste Fünftel der Erdenbürger
verbraucht heute 80% des globalen Sozialprodukts. Die ärmsten 20%
müssen sich mit ganzen 1,4% der Mittel begnügen. Noch extremer:
Das Vermögen der 200 reichsten Personen der Erde übersteigt das
Gesamteinkommen von 41% der Weltbevölkerung. Dies stellt eine
zutiefst unheile Situation dar. Sie wirkt politisch
destabilisierend. Doch noch mehr: Sie hat gravierende Auswirkungen
auf die Lebensqualität aller Menschen: der Armen ebenso wie der
Reichen. Mangel an Nahrung, das Fehlen entsprechender
Wohnmöglichkeiten, von sauberem Wasser und einer Grundausbildung
zerstören Leben und Lebensfreude der Armen. Dies bedeutet
schlaflose Nächte, und führt dazu, dass das Ressentiment, ja der
Hass wächst.
Die Auswirkungen auf die Reichen sind nicht
weniger gravierend, wenn auch nicht so leicht greifbar. In der Kluft
zwischen Arm und Reich liegt einer der Gründe für das tiefe
Unbehagen in unserer Gesellschaft, für den Mangel an Lebensfreude
trotz materieller Fülle. Der Kolosserbrief nennt die Habgier einen
Götzendienst (Kol 3,5), denn sie zerstört die innere Freiheit von
Menschen. Besitz und Wohlergehen, sowie der eigene Nutzen, drohen
schleichend zu einer Obsession zu werden. Der Wohlstand kann zu
einer Verkümmerung menschlicher Beziehungen führen. Macht nicht
die Menschen bei gerade das Zuviel krank, ebenso wie die Armen unter
dem Zuwenig leiden?
Der kalkulierende Realismus des Zachäus könnte
einen Ausweg aus der politischen und moralischen Falle weisen, in
die wir uns da verstrickt haben. Dabei geht es weder darum, unser
ganzes Vermögen zu geben, noch auch die Hälfte anzubieten.
Weniger, viel weniger, würde genügen, um zunehmende Armut an den
Rändern der österreichischen Gesellschaft, aber auch weltweit
effektiv zu verringern. So hat z.B. die UNO 0,7% des Sozialprodukts
als Ziel erklärt. Die Industriestaaten haben sich darauf
verpflichtet. Real geben sie heute ganze 0,24%. Die Beträge, die
aufgebracht werden müssten, um für alle Menschen in Österreich
ein Dach über dem Kopf zu sichern, liegen auf ähnlich niedrigem
Niveau. Doch es genügt nicht, allein auf die Politik zu setzen.
Ebenso gilt es im privaten Bereich zu kalkulieren: Wie viel braucht
es, damit mir Heil widerfährt, damit Freude und Frieden meinem Haus
geschenkt werden? Der Koran schreibt allen Muslimen vor, 5% ihrer
Einkünfte als Armensteuer zu geben. Könnten wir uns als Christen
nicht davon inspirieren lassen? Dies brächte kaum jemanden an den
Rand des Existenzminimums und könnte doch dazu beitragen, die Dinge
ins Lot zu bringen: und zwar für alle. Denn ohne einen Ausgleich
zwischen arm und reich, ist Heil nicht denkbar. Weder für die
Reichen, noch für die Armen sind Frieden und Freude anders zu
haben. Es geht darum, realistisch zu kalkulieren. Dafür steht
Zachäus.
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