Erfüllte Zeit

18. 11. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Rede über die Endzeit"

(Lukas 21, 5 – 19)

 

kommentiert von Abt Johannes Gartner

 

Nun, wir wollen einmal festhalten, dass zu der Zeit als das Lukasevangelium geschrieben wurde, der Tempel bereits zerstört war. Es gab keinen Tempel mehr. Ein Soldat des Titus hat mit einer brennenden Fackel den Tempel angezündet. Das ist so konkret, so genau, dass die Exegeten uns sagen, das ist also nach der Zerstörung des Tempels gleichsam formuliert worden oder zurückprojiziert worden. Und wenn wir also nun ausgehen von dieser Stelle – es wird kein Stein auf dem Anderen bleiben, alles wird niedergerissen werden – das war eine solche Katastrophe für die Juden, die man mit dem Ende der Welt verglichen hat. Genauso wie im Jahre 410 als Alrich Rom geplündert hat, da ging für viele Römer die Welt unter – geistig, von der Mentalität her. Man sagte sich, das kann es doch nicht geben, dass Rom fällt (man hat damals den Christen die Schuld zugeschoben). Oder wenn wir zum Beispiel 1453 nehmen: Der Untergang von Konstantinopel war damals auch eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes oder meinetwegen das Ende des 1. Weltkrieges mit dem Ende der Monarchie. Viele Menschen haben sich damals nicht mehr zurechtgefunden. Und von da müssen wir einmal ausgehen. Man hat also von der Zerstörung des Tempels aus den Schluss gezogen: Also das ist der Anfang vom Ende der Welt. Nun, Lukas hat aus der Erfahrung heraus schon gewusst, dass die Wiederkunft des Herrn nicht so unmittelbar bevorsteht, wie das bei Markus etwa der Fall war oder bei den ältesten Paulus-Briefen, und deshalb schiebt er hier die Erfahrung von Verfolgungen, die Erfahrung der Kirche in ihrer Missionstätigkeit, hinein. Also: Ihr werdet eingesperrt werden, ihr werdet festgenommen werden, ihr werdet um meines Namens Willen den Synagogen übergeben werden. Und er sieht in dieser Verfolgungssituation der Kirche ein erstes Anzeichen, dass sich die Welt in diese Richtung bewegt – auf ein Ende zu. Aber dass wir das (sagt er am Anfang der Apostelgeschichte) nicht wissen, wann das sein wird. Prinzipiell ist jeder Krieg, jedes Erdbeben, jede Katastrophe ein Anzeichen, das uns zur Wachsamkeit mahnt. Es ist auch hier der letzte Satz: Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen – im griechischen Text heißt das die Hypomone (das Drunterbleiben). Also wer durchhält, wer drunterbleibt unter all diesen Prüfungen, der ist eigentlich auf dem richtigen Weg. Mehr kann man nicht tun. Es ist also nicht eine Antwort auf irgendwelche neugierigen Fragen: Wie wird das einmal sein am Ende der Welt? Was wird da geschehen? Oder wann wird es sein? Es handelt sich hier um eine Mahnung, das Leben mit all seinen Schwierigkeiten zu bestehen.