Erfüllte Zeit

02. 12. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Mahnungen im Hinblick auf das Ende" (Matthäus 24, 29 - 44)

 

kommentiert von Maria Katharina Moser

 

 

Eine ganz alltägliche Situation: Sie sitzen im Büro, haben einen langen und stressigen Arbeitstag vor sich, wissen, Sie müssen sehr konzentriert arbeiten, um etwas zu Wege zu bringen, und dann läutet ständig das Telefon. Alle Welt will irgendetwas von Ihnen. Und dann kommt zu allem Überfluss noch eine Kollegin, die Probleme mit einem anderen Kollegen hat, und will Ihnen ihr Herz ausschütten.

 

Oder Sie sitzen zu Hause und wollen endlich in Ruhe das Ende Ihres Krimis lesen und werden permanent von anderen Menschen in ihrem Haushalt dabei gestört. Und dann läutet es auch noch an der Tür. FreundInnen kommen auf einen spontanen Besuch.

 

Derartige Störungen können auf die Nerven gehen. Sie reißen einen aus dem Geplanten heraus. Sie fordern auf nicht gerade unaufdringliche Weise Aufmerksamkeit.

 

Mit dem heutigen Evangelium scheinen derartige Störungen nichts zu tun zu haben. Da ist doch davon die Rede, dass sich die Sonne verfinstern wird, dass die Sterne vom Himmel fallen werden und der Menschensohn am Himmel erscheinen wird. In dramatischen Bildern wie dem Vergleich mit der Sintflut werden das Ende der Welt und die Parusie, die Wiederkunft Christi, geschildert. Derartige Gedanken sind nahezu Lichtjahre von unserer heutigen Alltagswelt entfernt.

 

Neutestamentliche Texte über das Weltende verbunden mit der Wiederkunft Christi wollen weder endzeitliche Neugier noch apokalyptische Sensationslust befriedigen. Sie wollen auch nicht Angst machen. Sie sind keine exakte Beschreibung des Zukünftigen. Sie wollen nicht informieren, sondern mahnen.

 

Sie rufen dazu auf, für das Reich Gottes zu arbeiten. Das Reich Gottes bringt das Ende von Krieg und Gewalt, neues geschwisterliches Zusammenleben, umfassenden Friede und Gerechtigkeit sowie neue Nähe zu Gott. Dieses Reich Gottes ist mit Jesus bereits angebrochen, wenn auch noch nicht vollendet. Am Reich Gottes in seiner Spannung von Schon und Noch nicht sollen die Leserinnen und Leser neutestamentlicher Texte ihre Haltungen und Handlungen ausrichten. Dazu gehört das Wachsam sein.

 

Der Evangelist Matthäus ruft dies mit drastischen Worten in Erinnerung:

 

"Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet!"

 

Es geht darum, bereit zu sein für alles, was unerwartet in unser Leben einbricht.

 

Mir hat eine Erzählung der deutschen Theologin und Psychologin Hadwig Müller sehr eindrücklich vor Augen geführt, wie diese Wachsamkeit heute verstanden werden kann. Hadwig Müller hat 10 Jahre in Brasilien gelebt und dort mit Frauen in den Slums gearbeitet.

 

Sie war fasziniert davon, wie diese Frauen mit dem Unvorhergesehenen in ihrem Leben umgehen: Die Begegnung mit dem oder der anderen ist für ihre brasilianischen Freundinnen ein Geschenk - besonders dann, wenn die anderen stören!

 

Hadwig Müller schreibt: "Ob eine verzweifelte Nachbarin gerade in dem Moment kommt, in dem man unbedingt aufbrechen muss, um pünktlich zu einer Verabredung zu kommen, oder ob ein Gast in der Tür steht, wenn die Anstrengungen an diesem Tag scheinbar keine Unterbrechung zulassen - die betroffenen Frauen haben sich in diesem verhalten, als hätten sie nichts anderes vorgehabt, als die Nachbarin zu beruhigen, oder als hätten sie auf den Gast schon lange gewartet. (...) Meine Freundinnen haben eine hohe Achtung vor dem - und derjenigen, die stört. Es ist, als fände die wirkliche, die wichtigere Begegnung vor allem als nicht geplante statt. Es ist, als könne der im anderen verborgene Gott mir nur begegnen, indem er stört."

 

Um diese Gottesbegegnung in der Störung wahrzunehmen, ist es nötig, wachsam zu sein. Dazu ruft das heutige Evangelium auf.