"Mahnungen im Hinblick auf das Ende"
(Matthäus 24, 29 - 44)
kommentiert von Maria Katharina Moser
Eine ganz alltägliche Situation: Sie sitzen im
Büro, haben einen langen und stressigen Arbeitstag vor sich,
wissen, Sie müssen sehr konzentriert arbeiten, um etwas zu Wege zu
bringen, und dann läutet ständig das Telefon. Alle Welt will
irgendetwas von Ihnen. Und dann kommt zu allem Überfluss noch eine
Kollegin, die Probleme mit einem anderen Kollegen hat, und will
Ihnen ihr Herz ausschütten.
Oder Sie sitzen zu Hause und wollen endlich in
Ruhe das Ende Ihres Krimis lesen und werden permanent von anderen
Menschen in ihrem Haushalt dabei gestört. Und dann läutet es auch
noch an der Tür. FreundInnen kommen auf einen spontanen Besuch.
Derartige Störungen können auf die Nerven gehen.
Sie reißen einen aus dem Geplanten heraus. Sie fordern auf nicht
gerade unaufdringliche Weise Aufmerksamkeit.
Mit dem heutigen Evangelium scheinen derartige
Störungen nichts zu tun zu haben. Da ist doch davon die Rede, dass
sich die Sonne verfinstern wird, dass die Sterne vom Himmel fallen
werden und der Menschensohn am Himmel erscheinen wird. In
dramatischen Bildern wie dem Vergleich mit der Sintflut werden das
Ende der Welt und die Parusie, die Wiederkunft Christi, geschildert.
Derartige Gedanken sind nahezu Lichtjahre von unserer heutigen
Alltagswelt entfernt.
Neutestamentliche Texte über das Weltende
verbunden mit der Wiederkunft Christi wollen weder endzeitliche
Neugier noch apokalyptische Sensationslust befriedigen. Sie wollen
auch nicht Angst machen. Sie sind keine exakte Beschreibung des
Zukünftigen. Sie wollen nicht informieren, sondern mahnen.
Sie rufen dazu auf, für das Reich Gottes zu
arbeiten. Das Reich Gottes bringt das Ende von Krieg und Gewalt,
neues geschwisterliches Zusammenleben, umfassenden Friede und
Gerechtigkeit sowie neue Nähe zu Gott. Dieses Reich Gottes ist mit
Jesus bereits angebrochen, wenn auch noch nicht vollendet. Am Reich
Gottes in seiner Spannung von Schon und Noch nicht sollen die
Leserinnen und Leser neutestamentlicher Texte ihre Haltungen und
Handlungen ausrichten. Dazu gehört das Wachsam sein.
Der Evangelist Matthäus ruft dies mit drastischen
Worten in Erinnerung:
"Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an
welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses
wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er
wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht.
Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu
einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet!"
Es geht darum, bereit zu sein für alles, was
unerwartet in unser Leben einbricht.
Mir hat eine Erzählung der deutschen Theologin
und Psychologin Hadwig Müller sehr eindrücklich vor Augen
geführt, wie diese Wachsamkeit heute verstanden werden kann. Hadwig
Müller hat 10 Jahre in Brasilien gelebt und dort mit Frauen in den
Slums gearbeitet.
Sie war fasziniert davon, wie diese Frauen mit dem
Unvorhergesehenen in ihrem Leben umgehen: Die Begegnung mit dem oder
der anderen ist für ihre brasilianischen Freundinnen ein Geschenk -
besonders dann, wenn die anderen stören!
Hadwig Müller schreibt: "Ob eine
verzweifelte Nachbarin gerade in dem Moment kommt, in dem man
unbedingt aufbrechen muss, um pünktlich zu einer Verabredung zu
kommen, oder ob ein Gast in der Tür steht, wenn die Anstrengungen
an diesem Tag scheinbar keine Unterbrechung zulassen - die
betroffenen Frauen haben sich in diesem verhalten, als hätten sie
nichts anderes vorgehabt, als die Nachbarin zu beruhigen, oder als
hätten sie auf den Gast schon lange gewartet. (...) Meine
Freundinnen haben eine hohe Achtung vor dem - und derjenigen, die
stört. Es ist, als fände die wirkliche, die wichtigere Begegnung
vor allem als nicht geplante statt. Es ist, als könne der im
anderen verborgene Gott mir nur begegnen, indem er stört."
Um diese Gottesbegegnung in der Störung
wahrzunehmen, ist es nötig, wachsam zu sein. Dazu ruft das heutige
Evangelium auf.