Erfüllte Zeit

03. 02. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Die Rede von der wahren Gerechtigkeit" Seligpreisungen (Mt 5,1 – 12a)

kommentiert von Sr. Dr. Beatrix Mayrhofer

 

Gehören Sie zu den Menschen, die sich manchmal ein Rubbellos kaufen?

Es hat schon etwas Faszinierendes an sich, dieses kleine Briefchen. Man kauft es für einen Euro und ein paar Cent und rubbelt es auf und wenn man den ganz großen Glückstag hat, dann bringt es einen Gewinn, einen kleinen oder gar einen ganz großen.

Freilich, meist heißt es dann doch nur "Schade!" und man hat seine 150 Cent bezahlt für das Kribbeln, für die eine kleine Illusion.

Wenn man allerdings einen Gewinn gemacht hat, dann muss man den auch abholen. Aber wer wird schon so dumm sein und seinen Gewinn nicht einlösen?

Gratulation! Heißt es heute gleich achtmal im Evangelium. Die Überschrift könnte auch lauten: Glückwunsch, jeder Satz gewinnt! Sie müssen die Losung nur aufrubbeln, die Wahrheit des Wortes für sich in Anspruch nehmen, jede Seligpreisung im Alltag einlösen und Wucher treiben mit dem Gewinn.

Nach fast zweitausend Jahren Christen- und Gewöhnungsgeschichte ist es gar nicht so leicht, ein offenes Ohr zu haben für diese aufregende Botschaft. Für die ersten Leser des Evangeliums, die Juden, die gerade erst Jesus als den Messias erkannt und sich zum Glauben an Christus bekehrt haben, müssen die Worte im 5.Kapitel bei Matthäus allerdings wirklich, wortwörtlich, umwerfend gewesen sein.

Gut tausend Jahre war es für gläubige Juden die stets gefeierte Wahrheit: Gott hat sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens befreit und Mose erhält auf dem Berg die Tafeln des Bundes, den der Herr schließt mit seinem Volk.

Der Dekalog, die zehn Weisungen zur Wahrung der gottgeschenkten Freiheit, sind ein heiliges Vermächtnis. Wer Gott als den großen Befreier erlebt hat, wird in dieser Freiheit nur mehr ihn anbeten, seinen Namen hochhalten, seinen Tag heiligen. Er wird das Leben achten, die Ehe, die Familie und das Eigentum schützen und die Wahrheit nicht verletzen. Das Volk Gottes weiß, was es zu tun, wie es den Bund zu halten hat.

Nun kommt Jesus. Er hebt das Gesetz nicht auf, er bringt es zu seiner tiefsten Erfüllung. Er steigt auf einen Berg, er setzt sich und lehrt.

Jesus steigt auf einen Berg – wie Mose. Aber er erhält keine Bundestafeln, er verkündet sein eigenes Freiheitsprogramm. Am Beginn der Bergpredigt hören wir keine Gebote sondern Glückwünsche: Selig, die arm sind vor Gott! Glücklich, wer so sehr an Gott glaubt, dass er alles von ihm erwartet. So wie es für das Volk Israel zur inneren Notwendigkeit wurde, nur mehr den Gott zu verehren, dem es die Befreiung verdankt, so wird es für den Menschen, der Jesus begegnet zum tiefsten Bedürfnis, alles liegen und stehen zu lassen, alles loszulassen und bedingungslos zu vertrauen. Selig, die arm sind vor Gott. Selig, die in Jesus den Immanuel, den Gott unter uns erkennen. Sie werden getröstet, ihr Hunger nach Gerechtigkeit wird gestillt, sie werden von Jesus lernen, gütig und barmherzig zu sein. Die Lauterkeit ihres Herzens wird aufleuchten in ihrem Gesicht. Sie werden dem Frieden dienen und lieber Unrecht erleiden als Unrecht tun.

Da stehen sie, diese acht Seligpreisungen, am Anfang der Bergpredigt bei Matthäus, aneinandergereiht, jeder Satz ein Glückslos. Wer eines zieht, aufmacht und einlöst, dessen Leben wird durcheinandergewirbelt werden.

Neue Maßstäbe gelten. Ich bin Schulschwester und denke das einmal als Wunschprogramm für meine Schule: Arme kommen nicht zu kurz, Traurige werden getröstet, Gerechtigkeit und Güte sind die Kennzeichen unseres Handelns, wir bleiben bei der Wahrheit, verzichten auf Gewalt und suchen den Frieden.

Ist das wirklich utopisch? Roger Schutz, der Gründer der Gemeinschaft von Taizé hat einmal gesagt: "Lebe das Evangelium – lebe das, was Du verstanden hast – und sei es auch nur ein einziger Satz!"

Das Wort des heutigen Sonntags macht mir Mut, gleich wieder damit zu beginnen.