Erfüllte Zeit

15. 06. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

Matthäus 28, 16 – 20

Kommentar von Univ. Prof. Dr. Wolfgang Langer

Die Jünger gehen nach Galiläa. Sie gehen nach Hause: dorthin, von wo sie einmal aufgebrochen waren. Sie gehen den Weg zurück, den sie mit ihm, dem faszinierenden Mann aus Nazaret gegangen waren: hinauf nach Jerusalem. Dort ist er am Kreuz gestorben. Aus der Traum! Jetzt gehen sie wieder dorthin, wo er angefangen hat, wo die Menschen in Scharen kamen, um ihn zu hören. Wo die Hoffnung aufgeblüht war. Wo er Lahme und Blinde, Taubstumme und Aussätzige geheilt hatte. Wo schon Abgestorbene zu neuem Leben kamen. Resignation? Nostalgie?

Sie haben eine unglaubliche Nachricht erhalten, die Frauen, die am dritten Tag nach seinem Tod das Grab leer gefunden hatten, wollten ihm begegnet sein – lebend. Und er hätte zu ihnen gesagt: „Geht, verkündet meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, und dort werden sie mich sehen“ (Mt 28, 10).

Und nun sehen sie ihn. Sie fallen anbetend vor ihm nieder und – zweifeln, zumindest einige. Eine erstaunliche Aussage in einem Evangelium! Aber sehr tröstlich für uns Nachgeborene, „Jünger zweiter Hand“ (S. Kierkegaard). Von uns gilt ja, was im zweiten Petrusbrief steht: "„Ihn habt ihr nicht gesehen, und doch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht, aber ihr glaubt an ihn“ ( 1Petr 1, 8).

Die Auferstehung Jesu ist kein beweisbares historisches Faktum. Sie ist ja zugleich seine „Erhöhung“ in den überweltlichen Bereich Gottes. Sie kann nur – auf Grund der von den Aposteln bezeugten Erfahrungen – geglaubt werden. Wo Glaube ist, da ist Zweifel möglich. Mein Glaube ist nicht nur möglicherweise anfechtbar, er wird auch immer wieder angefochten. Nur Fanatiker und Fundamentalisten sind sich ihrer „Wahrheit“ absolut sicher. Es fragt sich aber, ob das noch etwas mit persönlich gelebtem Glauben zu tun hat. Nach ihrem Verhalten scheint es eher eine herzlose Ideologie zu sein.

Worauf steht mein Glaube? Auf zwei Worten, die das Matthäusevangelium überliefert. Das Erste: „Lehrt sie alles halten, was ich euch aufgetragen habe.“ Es ist seine Botschaft, die überzeugt: gewaltlos leben, jederzeit zur Versöhnung bereit sein, dem Leidenden beistehen, mit dem Armen teilen, im Anderen den Bruder, die Schwester sehen. Selbst wenn ich es immer nur zu einem Teil verwirklichen kann, weiß ich doch, dass es richtig ist, dass es menschlich ist, dass es mit Gott zu tun haben muss. Überall da, wo danach gelebt und gehandelt wird, ist er anwesend. Wo immer ein Mensch nach seinem „neuen Gebot“ für andere da ist, also einfach liebt, geschieht seine Auferstehung, kann er „gesehen“ werden.

Und das Zweite: „Ich bin bei euch.“ Ja, er ist uns genommen, in seiner irdisch-leibhaftigen Gestalt. Und doch ist er bei uns geblieben, auf andere, neue Weise. Es ist sein Geist, der die Jünger bewegt, nach seinem Auftrag zu den „Völkern“ zu gehen, ihnen seine Worte weiter zu sagen. Wer sie annimmt, wird sein Jünger / seine Jüngerin, wird von seinem Geist erfasst. Und je mehr ein Mensch sich diesen seinen Worten öffnet, sein Leben davon bestimmen lässt, desto mehr wird er von diesem Geist durchdrungen. Desto mehr ist Jesus „bei ihm“. Und kommt durch ihn auch zu anderen.

Dieser Geist Jesu ist der Geist Gottes, der Geist des Vaters. Nach den Evangelien kam er bei der Taufe Jesu im Jordan „auf ihn herab“ (Mt 3, 16). In der Kraft des Gottesgeistes ist Jesus zu den Menschen gegangen, hat er seine Sendung verwirklicht. Indem er seine Jünger sendet, geht der Geist auf sie über, auf alle Christen, auf uns. Durch ihn sind wir in die Lebens- und Liebesbeziehung des dreieinen Gottes eingewoben: getauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

So ist durch die Auferstehung Christi die Jesusbewegung der Geschichte der Menschheit eingestiftet worden bis zu ihrem Ende in der Vollendung des Gottesreiches. Es ist eine Bewegung, die von Gott ausgeht, den Menschen in seinem gebrochenen, friedlosen Dasein erfasst und wieder zu Gott zurück führt. In dieser Hoffnung können wir leben – und sterben.