Erfüllte Zeit

08. 12. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Verheißung der Geburt Jesu" (Lukas 1, 26 - 38)

 

kommentiert von Maria Katharina Moser

 

"Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären."

 

Wovon im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums erzählt wird, das kommt jeden Tag auf der ganzen Welt unzählige Male vor: Eine Frau erfährt, dass sie ein Kind bekommen wird.

 

Das Besondere an dieser Erzählung: Kein irdischer Mann ist beteiligt an der Zeugung dieses Kindes, von dem Maria erfährt, dass es ihr Leben in den nächsten Jahren bestimmen wird.

Was aus dem Text nicht direkt hervorgeht, aber hier nicht verschwiegen werden soll: Maria hat mit ihrer Entscheidung ihre Zukunft riskiert. Denn für unverheiratete Frauen bedeutete schwanger werden damals, gesellschaftlich geächtet, wenn nicht sogar gesteinigt zu werden. Maria legt also einen besonderen Mut an den Tag.

 

Theologen waren und sind damit beschäftigt, zu betonen, dass im Zentrum dieser Geschichte eigentlich nicht Maria, sondern Jesus Christus und sein Sohn-Gottes-Sein steht. Und sie diskutieren darüber, wie dieses Sohn-Gottes-Sein zu verstehen ist. Zweifellos theologisch bedeutsame Fragen. Ich finde es trotzdem schade, dass die Alltagserfahrung in diesem Text darüber ganz aus dem Blick gerät: Eine Frau erfährt, dass sie Mutter wird.

 

Mutterschaft und ihre Auswirkungen sind ein Thema, das benahe alle Frauen in der einen oder anderen Form beschäftigt. Egal, ob sich eine Frau für oder gegen Kinder entscheidet, die Frage steht im Raum. Für viele Frauen stellt sie ein Dilemma dar, für das sich keine befriedigende Lösung findet. Denn: anscheinend kann man es in dieser Frage nicht richtig machen.

 

Frauen, die die vorgegebene, weibliche Rolle als Mutter nicht erfüllen, werden darauf angesprochen und müssen sich rechtfertigen. Ihnen gegenüber herrscht das Vorurteil, sie seien keine richtigen Frauen, weil sie keinen Kinderwunsch verspüren.

 

Frauen, die sich für’s Kinderkriegen entscheiden, ernsten aber ebenfalls schiefe Blicke: Wenn sie sich für Familie und beruf entscheiden, müssen sie mit der kräfteraubenden Doppelbelastung zurande kommen. Und zusätzlich bekommen sie durchaus zu hören, dass sie sich als arbeitende Mütter nicht genug um ihre Kinder kümmern.

 

Wenn Frauen sich aber auf die Erziehung konzentrieren und zu Hause bleiben, wird das auch nicht unbedingt mit Anerkennung belohnt. Sie sind dann eben "nur" Hausfrauen und sonst nichts.

 

Diese paradoxe Situation, dass es anscheinend keinen richtigen Weg gibt, hängt mit den gängigen Vorstellungen von Wirtschaft zusammen: Was zählt, ist die Produktion, das zur Verfügung stellen von Gütern und Dienstleistungen. Diese Produkte können gegen Geld getauscht werden. Sie sind Quellen von Reichtum. Was zählt, ist also die Geldwirtschaft.

 

Die Produktion von Leben und die damit verbundene Versorgungsarbeit werden in diesem Denken ausgeblendet und als Re-produktion abgewertet.

 

Lohn- und Erwerbsarbeit werden in diesem gängigen Ökonomiedenken als Grundlage des menschlichen Lebens definiert. Sie werden ins Zentrum des Arbeitsbegriffs und der Geldverteilungsordnung gestellt. Damit gerät die Notwendigkeit, Leben zu bewahren, aus dem Blick.

 

Theologinnen und Ethikerinnen haben betont, dass dieses Dilemma nicht allein durch die Bezahlung von Haus- und Kinderarbeit gelöst werden kann. Was Not tut, ist ein neues Verständnis von Ökonomie. Eine Sichtweise, die die Sorge um das Leben ins Zentrum stellt. Was Not tut ist ein Denken, dass das mütterliche Tun neu wert schätzt und zum macht.

 

Und das führt uns - aus der Perspektive der Frauen betrachtet - wieder zurück zum Besonderen an der Geschichte, die im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums erzählt wird: Die Geschichte stellt das mütterliche Tun ins Zentrum. Für die Menschwerdung Gottes braucht es eine Frau aus Fleisch und Blut.