Erfüllte Zeit

09. 12. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Johannes der Täufer"
(Matthäus 3, 1 - 12)


kommentiert von Prof. Paul Zulehner

 

In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Als Johannes sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen, sagte er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch nur mit Wasser (zum Zeichen) der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand; er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.

 

Johannes droht. Seine Sprache ist nicht lieb und nett: Schlangenbrut nennt er seine Zuhörer. Die Axt ist an der Wurzel ihrer Lebensbäume gelegt. Umgehauen werden sie, verbrannt, vernichtet. Das alles macht er als Prophet, was aus dem hebräischen wörtlich übersetzt heißt: der Gottesmund. Johannes droht also im Namen Gottes. Und das steht im Evangelium. Also doch eine Drohbotschaft?

Mit dem Bedrohlichen des Evangeliums haben wir aufgeklärte Menschen es nicht leicht. Das Drohen bessert Menschen nicht, so die landläufige pädagogische Einsicht. Es ist keinesfalls sicher, dass es in Ländern mit Todesstrafe weniger Morde gibt. Abschreckung macht keinen Menschen gut, so sagen wir heute mit wissenschaftlicher Überzeugung.

Drohen ist zudem Ausdruck der Übermacht. Atomare Abschreckung lebt davon. Auch die Vergeltungsschläge für den Terror des 11. Septembers verbleiben in der Logik der Abschreckung.

 

Im Umkreis Gottes, auf dem Boden seiner Kirche, - so sagen wir aufgeklärten Christen - hat aber Drohen keinen Platz. Wir entschuldigen uns heute emsig dafür, dass wir in den letzten Jahrhunderten den Menschen von Kindesbeinen an bis zum Sterbelager gedroht haben – mit der Hölle, dem Fegfeuer, mit dem Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, mit Kirchenstrafen, mit dem Entzug der Sakramente. Solche Drohungen sind in den Predigten der meisten Kirchen nicht mehr zu hören. Die Menschen in modernen Ländern haben aufgehört, an eine Hölle zu glauben. Was soll da das Drohen mit der längst nicht mehr bedrohlichen Höllenpein?

 

Evangelien wie das heutige lesen wir deshalb nur mit schlechtem Gewissen öffentlich vor. Das Evangelium vertrage keine Drohbotschaft. Deshalb halten wir die Position des Täufers nicht nur für vorläufig, sondern schlicht für überholt.

 

Inzwischen ist freilich aus der Gottesverdrohlichung längst eine Gottesverlieblichung geworden. Wir haben aus einem unpassenden Gott einen uns passenden Gott gemacht: einen der in allen Lebenslagen umstandslos zu uns passt. Seine Liebe gilt als grenzenlos. Aus diesem durchaus richtigen Satz leiten wir dann ab: Gott hat deshalb alles Recht zu sein, was wir leben, denken und tun. Er hat alles gutzuheißen. Lateinisch heißt das bene-dicere, segnen. Kirchen segnen daher auch munter alles, und zwar immer mehr ohne genauer hinzuschauen: Banken – ohne nachzufragen, was mit dem Geld passiert, Seilbahnen – unabhängig von ihrem Sicherheitsgrad, Militärs – wohl wissend, dass diese einen Krieg entfesseln können, der nach heutigem ethischen Standard nicht mehr "gerecht" sein kann. Wir segnen alle nur möglichen Lebensverhältnisse, Ehen, neuestens Scheidungen, Zweitehen – auch wenn immer noch unbewältigte Schuld einem verlassenen Partner das Leben vergällt. Wir segnen Autos, welche die Umwelt immer mehr belasten, kurzum, es gibt kaum noch etwas auf dieser Welt, was wir nicht im Namen Gottes gutheißen.

Gott ist nicht nur ein liebender Gott geworden, sondern ein gar lieblicher Gott, ein harmloser und deshalb immer mehr erübrigbarer Gott. Die Gottesverdrohlichung ist in ihr unproduktives Gegenteil gekippt, die Gottesverlieblichung. Und diese hat schwerwiegende Folgen:

 

Allerdings nur bei uns im satten Westen. Auf den Philippinen sah ich in der Hütte von zwei Mitgliedern einer verbotenen Landgewerkschaft (einer von ihnen war Priester) das Bild eines zornigen Jesus. Dieser sah aus wie der Täufer des heutigen Evangeliums. Das bringt uns zu den unerwünschten Nebenwirkungen unserer Gottesverlieblichung.

 

Leidtragende unserer Gottesverlieblichung sind die vielen Opfer des Unrechts, kriegerischer Attacken, unsozialer Strukturen und sexueller Männergewalt. Es sind jene, denen in gottgesegneten Wirtschaftssystemen Lebenschancen vorenthalten werden. Weil wir unterschiedslos alles segnen, heißen wir in einem Aufwaschen leichtfertig jenes Unrecht gut, das die Bibel himmelschreiende Sünde nennt. Ich verstehe, dass daher gerade die auf Gott Hoffenden in den Ländern der Unterdrückung (und das sind 80% der Menschheit) heute ihre Hoffnung nicht auf einen lieblichen Jesus setzen, der unterschiedslos alles liebt und gutheißt. Ihnen ist ein gar nicht lieber, sondern zornig-drohender Jesus näher.

 

Was der Täufer sagt, ist bedrohlich. Aber nicht weil Gott in seiner Übermacht droht. Vielmehr deckt er im Namen eines mitfühlenden Gottes das tödliche Elend in den Menschen auf. Sie sind wie Bäume, die keine Frucht tragen. Solchen Menschenbäumen kommt das bedrohliche Ende nicht von außen, sondern steckt in ihnen. Es ist das existentielle Elend, das der Prophet aufs Korn nimmt. Er ist wie ein fürsorglicher Arzt, der mit höchsten Ernst einen bedrohlichen Herzinfarkt diagnostiziert und die Änderung des Lebensstils einklagt. Sonst fällt der Lebensbaum.

 

Vielleicht geht es heute uns Menschen so schlecht, weil wir im Zuge der Verlieblichung Gottes unentwegt jene in uns selbst lauernde tödliche Gefahr übersehen, an deren Ende das Unheil steht. Um sie wahrzunehmen, hilft bestimmt keine neuerliche Gottesverdrohlichung, aber ebenso wenig hilft uns die gängige Gottesverlieblichung. Was wir brauchen, sind Propheten, welche im Namen Gottes in bedrohlichem Ernst jene Verhältnisse benennen und sichtbar machen, welche Menschen in den Untergang treiben. Der Täufer setzt auf Umkehr. Aber nur wenn wir ehrlich sind, wird solche Umkehr möglich.

 

Es braucht also heute mehr denn je Propheten wie den Täufer, die in der Wüste unseres Leben ehrlich und deshalb auch bedrohlich reden.