Erfüllte Zeit

01. 01. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Die Hirten an der Krippe"
(Lukas 2, 16 – 21)

kommentiert von Hans Peter Premur

 

Stellen Sie sich vor, der erste Jänner wäre kein Feiertag sondern die Geschäfte hätten offen, und jeder müsste arbeiten gehen! - unvorstellbar. Seit Menschengedenken haben wir am ersten Tag des neuen Jahres frei - und das ist gut so - denn nach einer Silvesterparty braucht dies ein jeder. - Doch dies wird wohl nicht der tiefere Grund dafür gewesen sein, dass sowohl Kirche als auch der österreichische Staat diesen Festtag als Feiertag bestimmt haben. Und genau genommen ist der heutige Tag, das Hochfest der Gottesmutter Maria schon lange ein Feiertag gewesen, bevor man das neue Jahr mit dem 1.Jänner zu zählen begonnen hat.

 

Wenn also weder die Neujahrsfeier noch der Silvester-Kater Grund für ein Hochfest sind - was hat den heutigen Tag zu solch einer Ehre erhoben. Die Antwort ist einfach: Die Oktav. Die Oktav kennen wir von der Musik. Der erste Ton - ein c ist - ist gleich wie der letzte - alles eben um eine Oktav verschoben. Beim Singen hören wir sofort was damit gemeint ist. - Die 8. Zahl hat in vielen Bereichen eine besondere Bedeutung gehabt: die alte Planetenzählung, der 3-fache Weg im Buddhismus, oder im Joga - die 8 Ecken des Taufsteins und Baptisterien, die 8 Generationen vor Christus, die Beschneidung bei den Juden am 8.Tag.

 

Die Bedeutung, dass 8 die Zahl der Vollkommenheit ist - der erste ist nie der letzte Tag. Eine Oktav ist eine parallel verschobene Verdoppelung.

 

Wenn Sie von heute zurückrechnen, dann werden Sie feststellen, dass der 25. Dezember, ein Christag, diesen 8er-Reigen von besonderen Tagen ausführt. Der 8.Tag darauf, heute, war deshalb der Kirche immer schon heilig - weil hier ein großes Geheimnis ausgedeutet ist: die dreifach wichtige Bedeutung der Mutter Gottes, Maria.

 

Es heißt im heutigen Evangelium, dass Maria alles was geschehen war, in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte.

 

Lesen wir darüber nicht schnell hinweg, sondern halten wir hier etwas inne. Der Evangelist Lukas verwendet diesen Satz in Zusammenhang mit Maria öfter als einmal und das hat etwas tieferes zu bedeuten. Es scheint so, dass Maria etwas tut, das notwendig ist, wenn man mit spirituellen Wahrheiten zu tun hat. Man kann nicht alles mit dem Kopf, mit dem Verstand anschauen und behandeln. Es gibt Dinge, die nur auf der Herzensebene zugänglich werden, die man nur mit dem Herzen gut sehen kann - das weiß jeder - dennoch ist das Herz für viele nur ein Muskel, der im Notfall sogar ausgewechselt werden kann. - Für die Bibel und vor allem für geistliche Menschen ist das Herz mehr.

 

Es ist Sitz einer Art von Erinnerung, die sich im Hirn nicht festsetzen kann. Sie sinkt ab, bis ins Herz - die Liebeserinnerung.

 

Dort im Herzen wird von uns Menschen vieles verwahrt, was dem schnellen Denken und Erkennen nicht so leicht zugänglich ist. Manchmal steigen diese Dinge hoch in unser Bewusstsein, in unsere Vernunft und wir haben dann zu knobeln oder auch zu staunen - nicht umsonst tut unser Herz wirklich weh - wenn wir Sehnsüchte haben oder wenn Liebende getrennt werden.

 

Maria zeigt uns hier, wie man sich als Suchender einem Mysterium nähert: Sie verweilt bei einem staunenswerten Ereignis etwas länger. Sie bewahrt die Dinge in ihrem Herzen - und gleich einer Wiederkäuerin - bewegt sie diese Erfahrungen in ihrem Inneren und sinnt darüber nach. - Das längere Verweilen, das ruhige Meditieren, das kontemplieren des Mysteriums ist notwendig um einen tieferen Zugang zu bekommen. Neben dem Hirn, muss auch das Herz eingeschaltet werden. Das Herzensgebet der Ostkirche, das heute viele Christen des Westens praktizieren ist hier mit diesem spirituellen Verhalten Marias in Verbindung zu bringen. Herzensmeditation - etwas das wir verkopfte Menschen des 21.Jhds dringend brauchen. Etwas, das uns Maria heute am 1.Jänner in das neue Jahr mitgibt - sie ist deshalb für uns so wichtig, weil sie als Glaubenssymbol damit ein Urbild geworden ist. Sie ist wie die Seele des Menschen, sie ist wie die Kirche selbst: Tief im Inneren gibt es lebensspendende große kraftvolle Geheimnisse - sowohl in mir selbst, als auch in der spirituellen Schatztruhe der Kirche. Mit dem schnellen Verstand allein kann ich dort nicht eindringen. Ich brauche Zeit dazu und die Botschaft die Dinge im Herzen zu bewegen - ohne gleich alles verstehen zu wollen. Das ist eben der große Unterschied zwischen einem Rätsel und einem Geheimnis. Das Rätsel ist mit dem Verstand zu lösen - mit dem Geheimnis lebt man auf einer anderen Ebene. Man lebt mit dem Mysterium solange, bis es einem selber zu prägen beginnt. Macht nicht nur, dass ich den Glauben in mein Leben einbaue - sondern auch: dass der Glaube mich selber verwandelt und prägt.

 

Deshalb ist heute ein großer Feiertag, weil wir auf einen Menschen schauen, eine Frau, die von Gott mehr geprägt wurde als alle anderen. Und weil sie es zuließ und ihren und ihren Verstand mit ihrem Herzen gemeinsam eingebracht hat, ist sie für uns Christen auch so wichtig, denn sie ist eine Zielformulierung, ein Leitbild für unser Leben selbst: Das worauf du schaust von dem wirst auch du geprägt. Oh Mensch! Der 1.Jänner das Hochfest der Gottesmutter ist also eine parallel verschobene Verdoppelung des großen Geheimnisses, dass man in der frühen Kirche radikal ausgesprochen hat:

 

Gott wird Mensch, auf dass der Mensch vergottet wird. In Jesus hat diese Kettenreaktion angefangen und sie will uns alle ergreifen. Das sagt uns das heutige Fest.