Erfüllte Zeit

01. 01. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

Aus der Friedensbotschaft des Papst Johannes Paul II. am 1.1. 2002

Man tötet nicht im Namen Gottes!

 

Wer durch die Ausführung von Terroranschlägen tötet, hegt Gefühle der Verachtung für die Menschheit und manifestiert Hoffnungslosigkeit gegenüber dem Leben und der Zukunft: alles kann aus dieser Sicht gehasst und zerstört werden. Der Terrorist meint, der von ihm geglaubten Wahrheit bzw. dem erlittenen Leid komme eine derart absolute Bedeutung zu, dass sie ihn dazu berechtigen, mit der Zerstörung auch unschuldiger Menschenleben zu reagieren. Bisweilen ist der Terrorismus das Kind eines fanatischen Fundamentalismus, der aus der Überzeugung entsteht, allen die Annahme der eigenen Sichtweise der Wahrheit auferlegen zu können. Die Wahrheit kann jedoch auch dann, wenn sie erlangt wird - und das geschieht immer auf eine begrenzte und vervollkommnungsfähige Weise -, niemals aufgezwungen werden. Die Achtung vor dem Gewissen des anderen, in dem sich das Abbild Gottes selbst widerspiegelt (vgl. Gen 1, 26-27), gestattet nur, die Wahrheit dem anderen vorzulegen; an ihm liegt es dann, sie verantwortungsvoll anzunehmen. Die Anmaßung, das, was man selbst für die Wahrheit hält, anderen gewaltsam aufzuzwingen, bedeutet, dass dadurch die Würde des Menschen verletzt und schließlich Gott, dessen Abbild er ist, beleidigt wird. Darum ist der fundamentalistische Fanatismus eine Haltung, die in radikalem Gegensatz zum Glauben an Gott steht. Wenn wir genau hinschauen, instrumentalisiert der Terrorismus nicht nur den Menschen, sondern auch Gott, indem er ihn schließlich zu einem Götzen macht, dessen er sich für seine Zwecke bedient.

 

Kein Verantwortlicher der Religionen kann daher dem Terrorismus gegenüber Nachsicht üben und noch weniger kann er ihn predigen. Es ist eine Profanierung der Religion, sich als Terroristen im Namen Gottes zu bezeichnen, dem Menschen im Namen Gottes Gewalt anzutun. Die terroristische Gewalt steht im Gegensatz zum Glauben an Gott, den Schöpfer des Menschen, an Gott, der sich um den Menschen kümmert und ihn liebt. Insbesondere steht er völlig im Gegensatz zum Glauben an Christus den Herrn, der seine Jünger zu beten gelehrt hat: »Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben« (Mt 6, 12).

 

In der Nachfolge der Lehre und des Beispiels Jesu sind die Christen davon überzeugt, dass Barmherzigkeit üben bedeutet, die Wahrheit unseres Lebens voll zu leben: Wir können und müssen barmherzig sein, weil uns von einem Gott, der die erbarmende Liebe ist, Barmherzigkeit erwiesen worden ist.

 

Der Gott, der uns durch seinen Eintritt in die Geschichte erlöst und im Drama des Karfreitags den Sieg des Ostertages vorbereitet, ist ein Gott des Erbarmens und der Vergebung (vgl. Ps 103, 3-4.10-13). Gegenüber denen, die ihn angriffen, weil er mit den Sündern zusammen aß, hat sich Jesus so ausgedrückt: »Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten« (Mt 9, 13). Die Jünger Christi, getauft auf seinen Tod und seine Auferstehung, müssen immer Männer und Frauen der Barmherzigkeit und der Vergebung sein.