Erfüllte Zeit

13. 01. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Die Taufe Jesu" (Matthäus 3, 13 – 17)

kommentiert von Prof. Gerhard Bodendorfer

 

Zu dieser Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir? Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit (die Gott fordert) ganz erfüllen. Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.

 

Die Taufe Jesu wird uns in den Evangelien auf verschiedene Weise geschildert. Wir haben heute die Variante des Evangelisten Matthäus vor uns. Während sein Vorbild Markus den Schwerpunkt der Erzählung auf die Frage legt, wer denn dieser Jesus sei, der da getauft wird, ist dies für Matthäus von Anfang an klar. Jesus ist der auserwählte Sohn Gottes, nicht erst seit der Taufe, sondern von Anfang an. Die Frage, die Matthäus bewegt, ist eine andere. Sie lautet: Wenn Jesus der unbestrittene Gottessohn ist, an den die Gemeinde des Matthäus glaubt, was ist dann seine Funktion? Oder anders ausgedrückt: was für eine Art Gottessohn ist dieser Jesus? Nicht das "Dass", sondern das "Wie" steht also im Zentrum des Abschnitts. Wer es wissen will, was es für Matthäus bedeutet, dass Jesus Gottes Sohn ist, muss sich auf seinen Vers 15 konzentrieren, in dem Jesus Johannes dem Täufer die Wichtigkeit seiner Taufe erläutert. Dort heißt es: Jesus antwortet ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.

 

Gerechtigkeit meint in der Bibel und im Judentum allgemein mehr als einen juristischen Begriff. Sie umfasst das ganze Leben in all seinen Facetten. Gerechtigkeit kann daher nur dort herrschen, wo Menschen in Freiheit, Frieden und sozial abgesichert miteinander leben können. Gerechtigkeit ist daher vor allem gegenüber allen jenen durchzusetzen, die sie zu unterdrücken versuchen, gegenüber den Besitzenden, den herrschenden Völkern und politischen Oberschichten. Gerechtigkeit beginnt im Umgang mit dem Nachbarn, dem sprichwörtlichen Nächsten, als Anerkennung und Hilfe in Notzeiten, sie umfasst das Leben in einer Gemeinschaft von aufeinander in Solidarität angewiesenen Menschen.

 

Matthäus verwendet den Begriff "Gerechtigkeit" an ganz ausgewählten Stellen, vor allem in der berühmten Bergpredigt. Dort spricht Jesus davon, dass die Gerechtigkeit der Jünger Jesu größer sein müsse als die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und der Pharisäer. Diese bessere Gerechtigkeit meint nicht eine Überheblichkeit gegenüber den Gegnern Jesu. Vielmehr anerkennt Jesus an dieser Stelle die hohe und kaum zu überbietende Gerechtigkeit, die Schriftgelehrte und Pharisäer im Judentum leben. Sie zu überbieten, DAS ist eine schwere und kaum zu lösende Aufgabe. Die Bergpredigt schildert schließlich auch die schweren unmissverständlichen Formen des Lebens in Gerechtigkeit. Gerechtigkeit geschieht nicht im Kopf, sie fordert das Tun. So heißt es in Mt 5,19: Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.

 

Darüber hinaus versucht der Gerechte den innersten Kern der Weisung Gottes zu verstehen und danach zu leben. Vor allem legt er alles daran, im eigenen Haus und in der ganzen Welt Frieden zu stiften. Von den Friedensstiftern heißt es in der Bergpredigt: Sie werden Söhne Gottes genannt werden. Gilt diese Botschaft in der Bergpredigt vorerst seinen Jüngern, so dehnt Jesus sie im Kap. 28 durch das Gebot, alle Völker darin zu unterrichtet, auf die Menschheit aus.

 

Als Jesus sich von Johannes taufen lässt, stellt er sich ganz hinein in das Tun der Gerechtigkeit. Jesus verlangt also keineswegs nur von den Jüngern, also letztlich von uns, gerecht zu handeln, er tut es in erster Linie selbst. Jesus ist der vorbildlich Gerechte. In der Bergpredigt sagt er von sich selbst: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen."

 

Auf diesem Hintergrund wird die Himmelsstimme Gottes in unserem Evangelienabschnitt besonders deutlich, wenn es heißt: Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.

 

Gott antwortet Jesus also so, wie er den Jüngern antworten wird, die den Willen des Vaters tun. Der Weg des praktisch gelebten Hörens auf den Willen dieses Vaters kennzeichnet den Inhalt der Sohnschaft Jesu und letztlich auch der Jünger. Hier ist kein Platz für eine himmlisch überhöhte Lehre vom Gottessohn, wie wir es im Johannes-Evangelium lesen. Hier ist ganz und gar Jesus als vorbildlicher Gerechter im Blick. Dieses Tun der Gerechtigkeit ist der Grund, warum Gott vor aller Welt ausruft, dass er an diesem seinen Sohn, Gefallen habe. Und am Tun der Gerechtigkeit wird sich auch erweisen, ob Gott an uns Gefallen haben wird.