Erfüllte Zeit

20. 01. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Das Zeugnis des Täufers für Jesus" (Johannes 1, 29 – 34)

Prof. Gerhard Bodendorfer

 

Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zumachen. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen, und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.

 

Wer sich noch an die irdisch konkrete Botschaft von der Taufe Jesu im Matthäusevangelium der letzten Woche erinnert, wird den Unterschied dazu im heutigen Text nicht übersehen können. Der Evangelist Johannes, wen immer wir uns darunter vorzustellen haben, schildert eigentlich gar keine Taufe Jesu. Die Schilderung ist vielmehr ein Bekenntnis zu Jesus als dem Lamm Gottes, DAS die Sünden hinweg nimmt. Diese Formel ist uns allen aus der Messfeier bekannt und dürfte wohl schon in der Gemeinde des Johannes verwendet worden sein.

 

Die Rede vom Lamm erinnert an das Wort des Johannes von Jesus als dem wahren Pessachlamm. Mehr noch klingt darin das alttestamentliche Wort vom Knecht Gottes an, das stumm wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wird. Johannes, der Autor des Evangeliums erkennt die Sünde als die eigentliche Bedrohung der Welt, ohne dies zu konkretisieren. Er lässt den Täufer auftreten, um auf Jesus als den hinzuweisen, der den Geist schenken wird. Die Taufe, die Johannes spendet verliert ihren eigenständigen Wert. Sie steht ganz im Schatten des kommenden Erlösers Christus. Der Evangelist weist aber auch zurück an den Anfang. Denn er bekennt Jesus als den, der bereits vor der Welt war. Er war das Wort bei Gott, wie es im großen Prolog des Johannesevangeliums heißt. Dieses Wort steht also am Anfang der Schöpfung, ja es vermittelt diese sogar. Und obwohl (Johannes) der Täufer all dies weiß, kennt er den konkreten Mittler, den Menschen, der den Geist hat, nicht. Erst jetzt, an dieser Stelle des Evangeliums, offenbart Gott diesen Christus, indem er den Geist auf ihn herabsenkt und auf ihm ruhen lässt. Das Bild der Taube hat viele Fantasien angeregt und ebenso viele Künstler im wahrsten Sinne des Wortes "beflügelt". Kaum ein Kind, das sich den Geist nicht als schöne weiße Taube vorstellt.

 

Der bedeutende Schweizer Bibelwissenschaftler Othmar Keel hat eines seiner wichtigen Bücher: "Deine Blicke sind Tauben" genannt. Er beschreibt darin die Bildersprache des biblischen Buches des Hohelieds, in dem der Geliebte seine Angebetete einmal genau mit diesen Worten beschreibt: Deine Blicke sind Tauben! Nicht sind "wie" Tauben, sondern "sind Tauben". Keel zeigt, dass dieses Wort nur verständlich ist, wenn man es im Kontext der altorientalischen Bildsymbolik versteht, in der die Taube das Begleittier der Liebesgöttin darstellt. Immer wieder begegnet es auf Rollsiegeln und fliegt dort zwischen zwei Liebenden hin und her. Die Taube ist somit Symbol für die liebende Verbindung zwischen zwei Personen. Nur so verstehen wir auch die Beziehung zwischen Gott und seinem Sohn im Bild der Taube als Geist richtig. Der Geist drückt die liebende Verbindung aus, die vom Vater zum Sohn geht und mit der der Sohn schließlich die Gemeinde beschenken wird. So und nicht anders erschließt sich uns der Abschnitt als Hinweis auf die liebende Verbindung von Gott zur Welt, die sich im Sohn vermittelt, der alle Schuld auf sich nimmt. Anders als im Matthäusevangelium steht somit die Taufe in engster Beziehung zur Passion Jesu, wo Johannes in 19.30 davon spricht, dass Jesus seinen Geist aufgibt. Der Auferstandene wird die Jünger segnen und ihnen sagen: Empfangt den Heiligen Geist. Mehrmals nennt er diesen Geist Parakletos, was auf deutsch Beistand oder Tröster bedeutet, weil er die Jünger tröstet und ihnen beisteht, wenn sie die Nähe Jesu und damit die Nähe Gottes brauchen. Vor allem aber soll er sie alles lehren und an alles erinnern, was Jesus gelehrt hat. Er gibt den Jüngern die Macht zur weisen Entscheidung. Auch hier müssen wir uns erneut an das Bild des Geistes als Symbol der liebenden Verbindung erinnern. Der Geist symbolisiert die liebende Verbindung zwischen Christus und den Christen. Sie gibt diesen die Kraft, im Alltag zu bestehen.