Erfüllte Zeit
10. 03. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
Leidenschaftlich, Unendlich -
Ein Text von Ernesto Cardenal
Gott ist die Liebe. Und der Mensch ist auch die Liebe, weil er
nach Seinem Bild und Gleichnis gemacht ist.
Gott ist die Liebe. Und da Er ein unendlich einfaches Wesen ist,
kann Er, wenn Er die Liebe ist, nichts anderes als die Liebe sein.
Wenn Er das unendlich Gute, die unendliche Weisheit, die unendliche
Wahrheit, die unendliche Schönheit und die unendliche Gerechtigkeit
genannt wird, will das nichts anderes heißen, als dass Er eine
unendlich weise, unendlich wahre, unendlich schöne und uneidlich
gerechte Liebe ist, aber Er ist nichts anderes als nur Liebe. Und
auch der Mensch, nach Seinem Ebenbild geschaffen, ist nichts als
Liebe. Im gleichen Augenblick, in dem der Mensch zu einem
vernunftbegabten Leben erwacht, merkt er, dass sein ganzes Leben
nicht als Wunsch, Leidenschaft, Hunger und Durst nach Liebe ist.
Die unverfälschte Substanz unseres Werkes ist Liebe. Wir sind
ontologisch Liebe. Und auch Gott ist wie ein einziger Liebesschrei,
eine unendliche Leidenschaft und ein unendlicher Durst nach Liebe.
Unsere einzige Daseinsberechtigung ist diese Liebe. Gottes und
unsere Liebe ist gleich. Sie bedrängt uns wie ein Durst, den wir
nie stillen können, soviel wir auch trinken, weil es uns nach immer
mehr und mehr verlangt. Sogar fern von Gott bewahren wir in unserem
Wesen und in allen unseren Bewegungen eine Erinnerung an Ihn, von
dem wir ausgegangen sind. Wir sind wie Fische, die im Aquarium noch
immer eine Erinnerung ans Meer bewahren und sich jeden Tag im
gleichen Rhythmus mit Ebbe und Flut bewegen, auch wenn sie
meilenweit vom Meer entfernt sind.
Gottes Herz findet keine Ruhe, bis die Schöpfung, wie der
verlorene Sohn, in Seinen Schoß zurückgekehrt ist. Wir sind der
Gegenstand einer unendlichen Sehnsucht des Vaters, und der Heilige
Geist ist der Seufzer dieser Sehnsucht.
Aus Liebe zu uns und aus Liebe zu Gott wurde das Wort Fleisch, um
in uns den Vater zu lieben, damit Gott lieben möge in Millionen von
Seelen und Millionen von Leben.
Der Mensch ist eine Erfindung der Liebe und wurde geschaffen zum
Lieben. Wir sind wie Drähte einer Hochspannungsleitung der Liebe,
und es darf keine Eigenliebe in uns geben, weil der Egoismus die
Isolierschicht der Liebe ist. Wir sollen unseren Nächsten mehr
lieben als uns selbst, weil die egoistische Liebe den Liebesstrom
unterbricht. Wenn wir uns aber ganz der Liebe hingeben, einfach
zulassen, dass der Strom durch uns hindurch geht, werden wir zu
Sendern der Liebe.
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