Erfüllte Zeit

17. 03. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Die Auferweckung des Lazarus"
(Johannes 11,1-45)

kommentiert von Rektor Dr. Wolfgang Schwarz

 

Verlässt man die Altstadt Jerusalems in Richtung Osten und wandert über den Ölberg weiter, stößt man auf das biblische Betanien, heute dort besser bekannt als El-Azaria. Der Ortsname El-Azaria birgt die Erinnerung an Lazarus in sich, der dort mit seinen Schwestern gelebt hat. Am Wegrand macht ein verrostetes Schild darauf aufmerksam, dass durch ein enges Loch der Weg in das Grab des Lazarus führt. Erst wenn man an dieser Stelle das Johannes-Evangelium aufschlägt und darin die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus liest, bekommt der Ort Dramatik.

 

Jesus hält sich irgendwo "jenseits des Jordan", also auf der Ostseite des Flusses auf. Er ist also weit weg von Betanien. Dort erreicht ihn die Nachricht von der Erkrankung seines Freundes. Statt dass er gleich zu seinem Freund eilt, bleibt er noch zwei Tage. Erst dann beschließt er, nach Judäa, also in Richtung Jerusalem, aufzubrechen, obwohl ihn seine Jünger warnen, dass ihm dort die Steinigung droht. Weitere Brisanz erhält der Text dadurch, dass Jesus nun überraschend davon weiß, dass Lazarus mittlerweile gestorben ist und er sich darüber freut, dass er nicht dort war. Außerdem bewertet Jesus den Tod des Lazarus nur als Schlaf, aus dem er ihn aufwecken will.

 

In Betanien wird Jesus zuerst von Marta und dann von Maria empfangen. Beide begrüßen ihn mit den gleichen Worten: "Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben". Als man Jesus zum Grab seines Freundes bringt, weint er. Dann fordert er die Leute auf, den Stein vor der Grabhöhle wegzunehmen. "Er riecht schon. Er ist schon 4 Tage tot!", warnt Marta. Dennoch wird der Stein weggehoben und mit lauter Stimme schreit Jesus. "Lazarus, hierher heraus!". Und obwohl der Tote wie üblich mit Binden umwickelt war und sein Gesicht mit einem Schweißtuch umhüllt, kommt der Verstorbene heraus.

 

Viel Ungereimtes hat diese Erzählung so spannend werden lassen. Z.B., warum eilt Jesus nicht sofort zu seinem erkrankten Freund? Warum geht er schließlich doch zu ihm, obwohl er schon weiß, dass er gestorben ist? Was hat das zu bedeuten, dass Jesus sich darüber freut, wenn er zu seinem Freund zu spät kommen wird? Wie kann er behaupten, dass der Tote nur schläft?

 

Genau diese Ungereimtheiten wollen uns zunächst einmal zur Erkenntnis führen, dass Jesus davon felsenfest überzeugt ist, dass es die Auferstehung der Toten gibt. Auch Marta hat das gewusst, wenn sie sagt: "Ich weiß, dass mein Bruder auferstehen wird, bei der Auferstehung am Letzten Tag".

Aber damit nicht genug, denn die Geschichte mündet in den Schrei Jesu: "Lazarus, hierher heraus!". Und Lazarus kommt aus dem Grab. Daher ist die Auferstehung der Toten nicht nur eine tröstende Hoffnung, sondern Jesus garantiert sie am Beispiel seines Freundes, indem er an Lazarus ein machtvolles Zeichen setzt. Die letzte Bestätigung wird jedoch seine eigene Auferstehung sein. Dann wird seine Behauptung "Ich bin die Auferstehung und das Leben" endgültig erfüllt sein.

 

Dann aber wird auch ein anderes Lebensziel Jesu erfüllt sein, das in der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus formuliert wird, jedoch leicht zu überlesen ist. Wir lesen ganz am Anfang des heutigen Evangelientextes, als Jesus von der Krankheit seines Freundes erfährt, den Vers: "Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes: Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden". Diese Aussage wirft ein noch helleres Licht auf Jesus und auf die Erweckung des Lazarus. Denn schon dessen Erkrankung dient der Verherrlichung Gottes und der Verherrlichung seines Sohnes. Die Krankheit wird zum Anlass, dass vor unseren Augen ein machtvolles göttliches Zeichen geschehen kann. Die Auferweckung des Lazarus ist für Gott eine gute Gelegenheit, seine Herrlichkeit und die Herrlichkeit Jesu erscheinen zu lassen. Auferstehung der Toten ist so das vollendetste Zeichen für diese Herrlichkeit! Deshalb ist es nicht genug, bloß an die Auferstehung der Toten zu glauben und sich zu sagen, gut dass es sie gibt. Es gilt genauso, Gott und seinem Sohn dafür dankbar zu sein, dass sie diese Botschaft nicht in ihrer himmlischen Herrlichkeit verborgen hielten und wir nicht "dumm sterben" müssen.