Erfüllte Zeit

31. 03. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

Ein Text von Dietrich Bonhoeffer

 

 

Unser Blick fällt mehr auf das Sterben als auf den Tod. Wie wir mit dem Sterben fertig werden, ist uns wichtiger, als wie wir den Tod besiegen. Sokrates überwand das Sterben, Christus überwand den Tod als letzten Feind. Mit dem Sterben fertig werden bedeutet noch nicht mit dem Tod fertig werden. Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die Überwindung des Todes heißt Auferstehung. Nicht von der ars moriendi [Kunst des Sterbens], sondern von der Auferstehung Christi her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen. Hier ist die Antwort auf das »Gib mir einen festen Ort, auf dem ich stehen kann und ich werde die Erde bewegen« Wenn ein paar Menschen dies wirklich glaubten und sich in ihrem irdischen Handeln da von bewegen ließen, würde vieles anders werden. Von der Auferstehung her leben - das heißt doch Ostern.

Wo aber erkannt wird, dass die Macht des Todes gebrochen ist, wo das Wunder der Auferstehung und des neuen Lebens mitten in die Todeswelt hineinleuchtet, dort verlangt man vom Leben keine Ewigkeiten, dort nimmt man vom Leben, was es gibt, nicht Alles oder Nichts, sondern Gutes und Böses, Wichtiges und Unwichtiges, Freude und Schmerz, dort hält man das Leben nicht krampfhaft fest, aber man wirft es auch nicht leichtsinnig fort, dort begnügt man sich mit der bemessenen Zeit und spricht nicht irdischen Dingen Ewigkeit zu, dort lässt man dem Tod das begrenzte Recht, das er noch hat. Den neuen Menschen und die neue Welt aber erwartet man allein von jenseits des Todes her, von der Macht, die den Tod überwunden hat.