Erfüllte Zeit

07. 04. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Die Beauftragung der Jünger"
(Johannes 20, 19-31)

kommentiert von P. Arno Jungreithmayr

 

 

Begegnungen mit dem Auferstandenen gehörten zum ursprünglichen Glaubensbekenntnis – "Christus ist für unsere Sünden gestorben und wurde begraben: er ist auferweckt worden und ist dem Simon erschienen, dann den Zwölf." Die Erscheinungsweise wird allerdings nicht näher beschrieben.

 

P. Anselm Grün schreibt diesbezüglich: Wenn wir unser Leben betrachten, können auch wir bezeugen, dass wir den Herrn gesehen haben: wir sehen den Herrn in den Armen und Kranken, in den Notleidenden und Fremden. Wir sehen den Auferstandnen in den Erlebnissen unseres Alltags, in scheinbaren Zufällen. Wir sehen den Auferstandenen überall dort, wo Gottes Herrlichkeit aufleuchtet, in der Liturgie, in der Schönheit der Natur, in der Musik, die das Unerhörte zum Klingen bringt, in der Malerei, die das Unsichtbare sichtbar macht. Wir begegnen dem Auferstandenen dort, wo in einem Menschen Gottes Licht aufleuchtet, wo in einer Blume das Geheimnis Gottes erstrahlt.

 

Vielleicht aber hat uns Thomas, der Zweifler, mehr zu sagen als die übrigen zehn Apostel. Er wird Zwilling genannt. Er ist eigentlich unser Typ, unser Zwillingsbruder. Glaube muss vernünftig sein, sagt er, nicht von Einbildungen oder Erscheinungen abhängig. Es ist sehr empfehlenswert, ein Gerücht, ein Gerede nachzuprüfen, bevor man es weitererzahlt. Thomas lehnt es ab, ungeprüft etwas nachzusagen und ist andererseits bereit, ein Glaubenswagnis einzugehen. Wer glauben will, muss sich einmal seine Zweifel genauer anschauen:

Zwei-fel kommt ja von zwei-fältig denken; in zwei Richtungen schauen, einmal dorthin, einmal dahin. Auf der einen Seite z.B. den Zuspruch hören "Denen, die Gott lieben, wird alles zum guten gereichen" und auf der anderen Seite die Tatsache sehen, dass eben vielfach auch Gläubigen weit nicht alles zum guten gereicht.

 

Die Bibel lädt ein, einfach zu denken und sich nur auf das Wort Gottes zu verlassen. So entschließt sich auch Thomas, alles auf 1 Karte zu setzen und sich der Begegnung mit dem Auferstandenen zu stellen.

 

Die Szene rund um Thomas ist etwa 100 nach Chr. aufgeschrieben worden. Bei genauem Hinsehen erkennen wir in dieser Beschreibung eine Einladung zur sonntäglichen Zusammenkunft der jungen Kirche:

Am 1. Tag der Woche und am 8. Tag waren sie versammelt, also jeweils an einem Sonntag. Die Türen waren verschlossen als Jesus kam: es war die Verfolgungszeit; die Christen versammelten sich unterirdisch oder in Häusern zur Eucharistie und hatten die Türen verriegelt. Sie erlebten den auferstandenen Herrn im Wort Gottes und beim eucharistischen Mahl. Sie gaben sich den Friedensgruß - hier als Wort Jesu ausgesprochen "Der Friede ist mit Euch! - Dieser Friedensgruß wurde übrigens zur weltweit größten Friedensbewegung, wenn jeden Sonntag sich über 100 Millionen Menschen in den Kirchen den Frieden wünschen. Schließlich heißt es, dass sie gesendet wurden ("wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!") - das ist die Sendung am Schluss der Messe: Gehet hin und bringt den Frieden! Der Appell des Evangeliums ist also - wieder auf Thomas bezogen: In der Gemeinschaft ist es leichter, dem lebendigen Gott zu begegnen als anderswo.

 

Fast unerwartet kommt aus dem Mund des Zweiflers dann das schönste Bekenntnis, das jemand über Jesus aussprechen kann: MEIN HERR UND MEIN GOTT! Petrus hatte einige Zeit zuvor verkündet: Du bist der Messias, der Sohn des Lebendigen Gottes! und er bekam dafür großes Lob und die Himmelschlüssel von Jesus übertragen. Das war also die langsam gewonnene Erkenntnis der jungen Kirche: Christus ist Gott in allem gleich, und daher ist sein Wort und Beispiel der verbindliche Maßstab!

 

Der heutige Tag wird Weißer Sonntag genannt. Die in der Osternacht Getauften kamen in dieser Zeit täglich zusammen, um das Wort Gottes zu hören. Am 1. Sonntag nach ihrer Taufe legten sie ihr weißes Kleid ab; die ganze Woche über hatten sie das Taufkleid getragen und damit bezeugt: wir sind stolz, zu diesem Jesus zu gehören! Man stelle sich vor, welches Aufsehen es erregen würde, würde jemand heute mit einem weißen Kleid eine Woche lang zu seiner Arbeitsstätte kommen...

 

Der Schlusssatz wird allen, die in Hinkunft die Bibel lesen werden, gesagt: Selig, die nicht sehen und doch glauben!