Erfüllte Zeit

21. 04. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Der gute Hirt" (Johannes 10, 1-10)

kommentiert von Bischof Dr. Alois Schwarz

 

Das Stück aus dem Johannesevangelium, das Sie jetzt gehört haben ist für mich die innerste Mitte. Es ist gleichsam wie ein Diamant in der Mitte einer Auslage; um diesen Diamanten herum gruppiert der Evangelist Johannes sieben Zeichenhandlungen, das heißt Wundergeschichten, und umgibt sie mit sieben Ich-bin-Worten Jesu. Wobei das Ziel dieses Programms ist das Wort, damit ihr glaubt das Jesus der Messias ist und das ihr in ihm das Leben habt. Das Johannesevangelium ist geschrieben, sagt der Evangelist, damit wir das Leben haben. Und in der Mitte des Evangeliums, im zehnten Kapitel, steht das Wort Jesu: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben." Jesus ist also in die Welt gekommen, damit die Welt das Leben hat. Und zwar in ihm das Leben hat, und in Fülle. Er sagt das hinein in eine agrarische Kultur, in eine Gesellschaft in der das Überleben gesucht wird. Nicht langes Leben in Freiheit und Wohlstand, sondern es war ein Suchen nach Überleben in einer nomadisch später agrarisch geprägten Gesellschaft. Wir hören dieses Wort in einer Welt, wo das Überleben nicht mehr von der lokalen Ernte abhängt. Ja, Lebenserwartung im Alter nicht mehr von der Familie, sondern von den Pensionszahlungen. Nicht das Überleben in der agrarischen Gesellschaft wird gesucht, sondern ein langes Leben in Freiheit und Wohlstand. Die Anbindung an den Schöpfer als Erhalter ist heute kaum erfahrbar. Die Beziehung zum Vatergott ist nicht mehr patriachal vorgebildet. Sie ist offener geworden. Weniger eindeutig von Anfragen ersetzt. Es hat sich innerhalb weniger Generationen mit den veränderten Verhältnissen auch das Bewusstsein der Menschen verändert. Das möchte ich gleichsam vorweg zu bedenken geben, weil mit dem heutigen Evangelium ein Bild aus einer agrarischen Kultur verwendet wurde. Weil die Rede ist vom Hirten und von den Schafen. Ein Wort, das sehr leicht Befremden hervorrufen könnte, oder eher abstoßend wirkt als das es fasziniert. Wir wollen doch kein Herdenvieh sein, kein blökendes hintereinander herlaufen haben. Das ist aber, so bin ich überzeugt, letztlich gar nicht gemeint. Im gesamten Orient war der Hirt ein weit verbreitetes Bild für die göttlichen und menschlichen Herrscher. Große Herden waren ein Zeichen von Macht und Reichtum. Im Volk Israel, im Volk Gottes wird der König aber nie als Hirte bezeichnet. Einzig und allein Gott wird Hirte genannt. Gerne erinnere ich mich an das Wort aus dem Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen, er lässt mich lagern auf grünen Auen, er führt mich zum Ruheplatz am Wasser." Oder ein anderes Wort aus dem Buch Ezechiel fällt mir ein, wo Gott sagt: "Jetzt will ich meine Schafe selber suchen, und mich selber um sie kümmern. Auf gute Weide will ich sie führen. Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen. Die Vertriebenen zurückbringen. Die Verletzten verbinden. Die Schwachen kräftigen. Die Fetten und Starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen wie es recht ist." An dieses prophetische Bild vom Hirten knüpft Jesus an, nicht an herrscherliche Vorstellungen. Die altjüdischen Verheißungen und auch die Rede Jesu richteten sich an Arme, an Nomaden. Später an Bauern, Handwerker, Taglöhner mussten täglich um Wasser, Brot und Früchte besorgt sein. Sie erfuhren ihre Abhängigkeit täglich. Die biblische Offenbarung ist in eine Überlebensgesellschaft gesprochen. Die Gottesvorstellung wurde in der Familie weitergeben, und sie bestimmte die Identität des Einzelnen und des Volkes. Nun ist dieses Bild vom Hirten genau darin zu verstehen. Wird aber heute Menschen einer eher anonymen Wohlstandsgesellschaft vorgelesen. So könnte es leicht sein, dass es Verstehensschwierigkeiten gibt. Wenn wir die Offenbarungszeugnisse, der in Natur und Armut eingebundenen Menschen hören. Ihre Betroffenheit ist nicht die Unsere. Wir kennen ihre Sorge um Land und Wasserstellen nicht. In unsere Lebensverhältnisse dringen bedeutsame Sorgen und Bedürfnisse der biblischen Menschen nicht ein. Unsere Lebens- und Städtebilder, unsere Arbeits- und Freizeitbilder, die neuen Kult- und Katastrophenbilder haben wenig gemeinsam mit den Ihren. Ihre Nähe zu Nachbarn, zu Tieren und Pflanzen war konkret. Die Bedürfnisse waren überschaubar. An agrarisch lebende Menschen erging auch die Rede Jesu. Wenn Jesus Seemanns- und Wachstumsbilder für das Reich Gottes gebrauchte, waren sie jedem Zuhörer verständlich, die kargen Höhen wurden von Hirten geweidet, das kultivierte Land von Bauern bestellt. Es war ihnen die Sorge um Wasser, nicht um Wasserverschmutzung vorrangig. Es war die Rede von Quellen, nicht von Staudämmen. Getreide, Öl und Wein wurden in ihrem Wachsen, in ihrer Verarbeitung, ihrer Aufbewahrung sinnlicher erfahren. Das ist das Umfeld, in dem die heutige Erzählung vom Hirten, der seine Schafe kennt eingeordnet ist. Die Hörer Jesu wussten, Tiere, die sich von der Herde trennen oder abgesprengt werden sind verloren. Sie verdursten, sie werden Raub, der verschiedenen ihnen gefährlichen Tiere. Jesus geht es mit diesem Wort und mit seiner Botschaft um das Zusammenbleiben, um die ständige Zusammenführung, um das sich sammeln der Glaubenden. Für die damaligen Hörer war das ein schönes Bild, wenn sie hörten, dass sie einen Hirten haben, der sie führt und jeden beim Namen nennt. Es war ihnen gleichsam Ausfaltung mit diesem Bild aus der Natur, was Johannes oft in seinem Evangelium mit dem Wort "bleiben" umschreibt. Das Evangelium ist ja in eine Situation hineingesprochen in die dritte Generation der christlichen Gemeinde nach Jesu Tod in eine Zeit der Verfolgung als die Jünger Jesu angegriffen wurden. Da hinein verkündet Johannes das Lebensprogramm, das Jesus gekommen ist, damit sie das Leben haben. Dieses Programm gilt es deutlich zu machen mit den Geschichten und Bildern der Bibel. Schafe, die nicht auf die Stimme des Hirten hören, verlieren sich und gehen verloren. Einem Fremden heißt es, werden sie nicht folgen. Die christliche Gemeinde ist aufgerufen, die Stimme Jesu als die Stimme ihres guten Hirten im Ohr zu haben. Er ist der wahre Hirt, der für die Schafe das Leben gibt. Aber wollen das die Leute heute überhaupt noch? Auf die Frage "darf ich dir helfen?" hört man oft, "nein danke, ich kann es selber, ich komm schon selber zurecht, ich sorge für mich selber." Wollen wir, dass Jesus uns sein Leben gibt? Lasse ich zu, dass er sein Leben für mich hingibt? Das Evangelium sagt, dass der Herr für die Seinen einsteht und ihnen den Weg zum Leben eröffnet. Er selbst ist auch die Tür zum Leben, wie er sagt. Ich bin die Tür zu den Schafen, alle die vor mir kamen sind Diebe und Räuber. Aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür, wer durch mich hineingeht wird gerettet. Jesus sagt von sich, dass er der wahre Hirt ist. Er geht ihnen voraus und die Schafe folgen ihm. Wie viel wird heute geredet? Wie viel wird heute durcheinander geredet, aufeinander eingeredet und dazwischengeredet? Wie wichtig ist es da die Stimme des guten Hirten zu hören, der gekommen ist, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Wird es uns heute so gehen, wie den Hörern Jesu von denen es im Evangelium heißt: "Dieses Gleichnis erzählt ihnen Jesus, aber sie verstanden nicht den Sinn dessen was er ihnen gesagt hatte.