Erfüllte Zeit

28. 04. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

"Abschiedsrede: Der Weg zum Vater" (Johannes 14, 1-12)

kommentiert von  Bischof Dr. Alois Schwarz

 

Für mich ist dieser Teil aus dem Johannesevangelium, den wir jetzt gehört haben wie eine große Komposition. Die ersten vier Verse sind für mich wie eine Liedstrophe mit vier Doppelzeilen. Wo es eigentlich sehr dramatisch einen Einblick gibt in die Situation der Gemeinde von damals. Jesus sagt ihnen: "Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich." Er versucht also Antwort zu geben auf die Frage der Menschen nach dem Sinn ihres Lebens. Hineingesprochen in eine Situation, wo die Gemeinde vergebliche Mission erfährt. Verfolgung unter den Kaisern Nero und Domitian. Sie erfahren die Nacht der Abwesenheit Jesu. Ich stell mir vor, dass ist in der dritten Generation gesprochen, wo die Gemeinde müde geworden ist. Die Kirchgänger würde man heute sagen, sind wenige. In den Dörfern gehen die einen in die Synagoge, die anderen treffen sich am ersten Tag der Woche vor Sonnenaufgang, um mit dem Auferstandenen zu feiern. Es ist eine schwierige Situation und dahinein sagt der Auferstandene: "Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich." Damit meint er, bleibt stehen bei Gott, haltet euch an ihm fest. "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen", sagt er. "Im Haus meines Vaters gibt es eine Bleibe", das sagt Jesus von Nazareth einer Christengeneration, für die es wichtig ist, bei ihm zu bleiben. Auf die Frage der Apostel: "Was sucht ihr?" und seine Einladung kommt und seht, heißt es im Johannesevangelium: "Sie blieben an jenem Abend bei ihm." "Bleiben" ist ein Grundwort im Johannesevangelium. Eine immer wieder auftauchende Grundmelodie, die der christlichen Gemeinde deutlich macht: Sie sollen sich an ihm festhalten. "Wer nicht in mir bleibt bringt keine Frucht", wird er im Gleichnis des Weinstocks dann sagen. In der Welt seid ihr in Bedrängnis, in mir habt ihr Frieden. Und diese Gemeinde, für die die Einladung zum Bleiben so wichtig geworden ist, sagt der Auferstandene: "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen, gibt es eine Bleibe." Die Heimholung in das Haus des Vaters wird sich nach dem Johannesevangelium für jeden Glaubende in der Stunde des Todes vollziehen. Damit hat er nicht nur die Enderwartung in die Gegenwart bezogen, sondern auch auf den Einzelnen hin ausgerichtet. Das Trostwort nennt im Übrigen mit den Stichworten "fortgehen" und "wiederkommen", breites ein Thema, das in der Abschiedrede dann sehr ausführlich angesprochen wird. Zunächst geht es um das Fortgehen und dann um das Wiederkommen. Jesus ist der Weg zum Vater. In den Fragen der Jünger kommen Sorge und Probleme der Gemeinde und indirekt auch Einwände der Gegner zur Sprache. Die entscheidende Frage für die Gemeinde war offensichtlich die Frage nach dem: wo hin ist Jesus gegangen und wo ist er jetzt? Wie kommt man dort hin wo er ist? Wie kann man jetzt während seiner leiblichen Abwesenheit in Beziehung zu ihm treten? Ihn erreichen, Gemeinschaft mit ihm haben? Darauf antwortet Jesus mit dem wunderbaren Wort: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." Ein Wort, das Sie vermutlich schon kennen. Jesus erhebt den Anspruch der einzige und ausschließliche Zugang zum Vater zu sein. Heutzutage finden viele Christinnen und Christen nichts dabei, wenn es unterschiedliche Meinungen zu zentralen Fragen der Gotteserkenntnis und der Christologie gibt. Jeder verstehe alles eben nach seiner Weise, rechtfertigt man die fehlende Übereinstimmung. Die Schreiber des neuen Testaments setzten für sich und für ihre Gemeinden das wahrhaftige Eingeständnis voraus. Es verstehen durchaus nicht alle und nicht von Anfang an. Es wird keineswegs alles richtig verstanden. Die meisten bedürfen der Unterscheidungshilfe. Jesus sagt von sich: "Er ist Orientierung und Sinnrichtung, Festigkeit und Gewissheit." Das schenkt Jesus dem, der glaubt und zwar allein. Die Glaubenden brauchen daher keinen anderen Weg suchen. Er sagt: "Ich bin der Weg." Jesus ist der Weg, insofern er auch die Wahrheit ist. Die Wahrheit die hier gemeint ist, ist nicht mit unserem Wahrheitsbegriff gleichzusetzen. Es geht nicht um eine philosophische oder moralische Wahrheit im Sinn der Irrtumslosigkeit. Oder der Übereinstimmung von Denken und Wirklichkeit, vom Reden und Tun. Wahrheit Gottes meint in der Bibel, seine Treue und Zuverlässigkeit. In der hebräischen Bibel steht für das Wort Wahrheit, "emet", das würde man heute übersetzen mit "Amen". Oder zu deutsch feststehen, mit beiden Beinen zu dem stehen, was hier gesagt wurde. Wahrheit meint Treue und Zuverlässigkeit Gottes, auf die der Mensch sich unbedingt verlassen kann, und in der er sein Heil findet. Diese Wahrheit Gottes ist nun in der Person Jesu als personale Wirklichkeit in der Welt anwesend. Wer sich ihr öffnet und sich von ihr ergreifen lässt, wird von der Angst und jeder Art von Knechtschaft befreit. Als die Wahrheit öffnet Jesus den Lebensweg zu einem befreiten, sinnerfüllten, in Gottes und in seiner Treue gegründeten Dasein. Daher kann Jesus auch hinzufügen, dass er das Leben ist. In ihm und in ihm allein begegnet der Mensch dem Leben. Jesus sagt: "Ich bin die Wahrheit." Und meint damit, Gott ist wahr. Das heißt, Gott ist treu. Er hält was er sagt. Gott steht zu dem was er ist, und wer er ist. Oder anders ausgedrückt: "Ich bin der durch-und-durch-für-dich-da-Seiender. Ich bin der, der ganz treu zu dir steht." Jesus stellt gleichsam die Treue Gottes dar. Ich bin die Treue Gottes. Ich fange mit dir wieder an. Also ich könnte auch sagen absolute Verbindlichkeit ist Jesus von Nazareth im Ausleben der Art und Liebenswürdigkeit seines Vaters. Um deutlich zu machen, dass der Mensch geliebt ist, dass er angenommen ist, dass Gott ihn an seinem Leben teilhaben lässt. "Ich bin der Weg", sagt er, "und die Wahrheit und das Leben." Leben ist im Johannesevangelium ein Zentralbegriff der alle Gaben Gottes an den Menschen, alle positiven, sinngebenden und beglückenden Aspekte menschlicher Existenz umgreift. Leben ist die Gabe Jesu, das Heils Gut schlechthin. Wobei es dabei nicht um ein naturhaftes Leben im biologischen Sinn, sondern um ein qualitativ neues Leben. Oder ich sage, es um eine andere Lebensqualität geht, die der Mensch nur als Gabe Gottes empfangen kann. Jesus sagt ja von sich, dass er gekommen sei, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Es wird ihnen geschenkt in der gläubigen Annahme, die durch Jesus vermittelte Gemeinschaft mit ihm ist das letzte Ziel und die letzte Erfüllung menschlichen Suchens und Sehnens. So ist dieses Ich-bin-Wort Jesu letztlich die Antwort des Johannesevangeliums auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Das Evangelium sagt weiter, dass wir in Jesus den Vater sehen. Alle Gottessehnsucht der Menschen wird also in Jesus erfüllt. Wäre es nicht so, dass wir in Jesus Gott selbst begegnen können, könnte man schließlich folgern, Gott könne überhaupt nicht ganz gefunden werden. Im Bild-Wort gesprochen, im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe um euch eine Bleibe zu bereiten. Das besagt doch, dass Ziel ist gefunden. Die Brücke zur Teilhabe am Leben des Vaters ist da. Auch das Wort vom Bleiben entschlüsselt sich. Wohnen und bleiben sind identisch mit Heimat. Wo man bleiben will, bracht man nicht mehr weiterzusuchen. Jesu-Tat ist nicht vergänglich. Sie bleibt in der Geschichte anwesend. Das Evangelium sagt es so deutlich, dass es fast zum Ärgernis wird, die an Jesus glaubende Gemeinde wird seine Werke tun. Werke tun, die er getan hat und sie wird noch größere tun als er. Heißt es doch im Evangelium: "Amen, Amen, ich sage euch, wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe auch vollbringen. Und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater." Die österlich, pfingstliche Gemeinde, die vom Vater den Geist empfängt kann und muss aus der Kraft ihres Herzens in der Welt mehr tun als Jesus am Anfang mit den wenigen, die mit ihm gingen getan hat. Was im Evangelium so unbefangen dasteht, bedeutet angesichts unserer Zeit, auf die Taten unserer Gemeinden kommt es an. Es braucht das sichtbare Beispiel des heutigen Lebens, damit die Lehre wieder glaubhaft wird. Auf die Gemeinden, in denen der Geist Jesu bleibt, fällt ein besonderes Licht. Und das ist die Einladung zum heutigen Sonntag. Das wer immer das heutige Evangelium hört, sich auf den Weg macht, der Treue Gottes zu trauen, das Leben zu entfalten und Werke zu vollbringen, von denen die Welt sagt: "Wir bestaunen die Kirche."