Erfüllte Zeit

09. 05. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

„Der Auftrag des Auferstandenen“ (Matthäus 28, 16-20)

kommentiert von Pater Joop Roeland

 

Wladimir, der Wolkenmaler: das ist eine kleine Geschichte, nur einige Seiten, von Rainer Maria Rilke. Wladimir empfängt in der Dämmerung Freunde. Das ganze Atelier des Malers ist voll eines phantastischen Qualmes. Hinter diesem Qualm wohnt Wladimir auf einem alten abgenutzten Ruhebett. Hinter dem Qualm und Rauchwolken fängt Wladimir zu reden an. Über Gott zum Beispiel. Die Wolken heben seine Worte hoch. „Lauter heimliche Himmelfahrten“ – sagt Rilke.

 

Von solchen heimlichen Himmelfahrten und mehr darf man gelegentlich Zeuge sein.

 

Einmal, im niederländischen Brabant, begegnete ich nach der Frühmesse an einem ganz gewöhnlichen Wochentag einem Ehepaar, das nun durch viele Jahre alt geworden war. In der Wohnung begrüßten zwei Katzen. Die Frau hatte Semmeln geholt, ihr Mann einen Kaffee gekocht. Nun saßen sie in großer Innigkeit beim Frühstück. Eine Himmelfahrt brauchten sie nicht mehr. Sie waren schon angekommen. Nur einmal würden sie noch umziehen müssen, ein Stockwerk höher sozusagen, eine letzte Himmelfahrt.

 

Oder die heimliche Himmelfahrt eines Jugendfreundes Hugo, mit dem ich in Haarlem in der Schule war. Hugo wollte mit seiner Frau eine Urlaubsreise nach Wien machen. Dann aber starb ganz unerwartet seine Frau, etwas, das er bis heute nicht überwunden hat. Die Wienreise machte er alleine und zwar besuchte er all jene Orte, die er mit seiner Frau schon geplant hatte. Ich begleitete ihn oft dabei, z.B. zum Konzert im Musikverein, einem sehr schönen und eher fröhlichen Konzert. Ich sah, wie Hugo lächelnd in eine Ferne schaute. Als ob er in den offenen Himmel schauen durfte, ins Gesicht seiner Frau.

 

Der Himmelfahrttext von Matthäus, das Evangelium vom heutigen Fest, spricht über mehr als private Himmelfahrten.

 

Das Matthäusevangelium hat eine große Weite. Bei der Geburt schon hört man im Matthäusevangelium nichts von singenden Engeln und von Hirten, sondern bald sind exotische Sterndeuter da und wir geben zu den Schafen ein paar Dromedare und Kamele: in unseren Wohnungen.

 

Und jetzt, am Ende des Matthäusevangeliums geht es wieder um die weite Welt: alle Völker heißt es. „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern.“

 

Himmelfahrt ist nicht nur eine private Sehnsucht, ein heimlicher Blick in die Zukunft, die auf uns wartet. Himmelfahrt ist auch ein Auftrag, weltweit.

 

Und Wladimir, der Wolkenmaler? Rilke beendet seine Geschichte von Wladimir damit, wie es ihm dann geht, wenn die Freunde weg sind.

 

„Wladimir hat seine Tür verschlossen, und gewartet, bis es ganz dunkel geworden ist. Dann sitzt er, klein, am Rand des Ruhebettes und weint in die weißen eisigen Hände hinein. Es kommt ihm leicht und leise, ohne Anstrengung und Pathos. Es ist das Einzige, das er noch nicht verraten hat, das ihm allein gehört. Seine Einsamkeit.“

 

Viel Abschied und eine gewisse Einsamkeit ist in der Himmelfahrtgeschichte Jesu. Aber das letzte Wort ist ein Trostwort. Über Abschied und Auftrag hinaus heißt es: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

 

Ich bin bei euch: ein Wort, das erinnert, wie Gott sich vor Mose genannt hat: Ich werde da sein. Wie das Kind Jesu genannt wurde: Immanuel: Gott mit uns. Jetzt heißt es in der letzten Zeile des Matthäusevangeliums noch einmal: ich bin bei euch. Das muss reichen für die Einsamkeit von Hugo und von Wladimir. Es muss reichen für uns alle.