Erfüllte Zeit

30. 05. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

“Das lebendige Brot” (Johannes 6,51-59)

kommentiert von Prof. Ingeborg Gabriel

 

 

Das sechste Kapitel des Johannesevangeliums kreist um das Thema "Brot: Jesus sättigt die Menge durch das Wunder der Brotvermehrung. Er nennt sich selbst das Brot des Lebens. Und dieses Brot wird in der Eucharistie zu seinem Fleisch und Blut für das Leben der Welt.

 

Alle diese Texte setzen bei einer allgemeinmenschlichen Erfahrung an: Wir brauchen Nahrung, um zu überleben. Diese äußere Erfahrung wird dann zum Sinnbild einer inneren Erfahrung: Menschen brauchen nicht nur Brot, um physisch zu überleben, sie brauchen auch Nahrung, um geistig zu überleben. Die sichtbare Wirklichkeit ist Zeichen einer geistigen unsichtbaren Realität.

 

Die Zuhörer Jesu sind jedoch auf die sichtbare Wirklichkeit fixiert. Dies führt zu Missverständnissen und Streit, ja zur Ablehnung Jesu: Die Aufforderung Jesu, dass sie sein Fleisch und Blut essen und trinken sollen, ist -wörtlich genommen – ja wirklich skandalös und führt zu heftigen Protesten. Uns liegt ein derartiges Missverständnis fern.

 

Doch sind wir nicht in Gefahr, in die entgegengesetzte Falle zu tappen? Was für die Zuhörer Jesu neu und anstößig war, ist für uns allzu bekannt. Im Katechismus haben wir gelernt, dass Jesus das Brot des Lebens ist, das wir ihn in der Kommunion empfangen. Doch was hat dies mit unserem Leben zu tun? Trennen wir nicht gleichsam zwischen religiöser- und Alltagssphäre - und verfehlen damit ebenso die Pointe Jesu. Denn wenn wir nicht von der alltäglichen Erfahrung ausgehen, verlieren wir den Schlüssel zu jenem Geheimnis, das alle Erfahrung übersteigt. Was soll uns das ewige Leben, wenn wir nicht mehr an das Leben glauben?

 

Die Grundlage dieses Lebens ist Brot. Mangel an Brot führt zu Hunger, der - wenn er nicht gestillt wird, einen langsamen und qualvollen Tod zur Folge hat. Über weite Strecken der Geschichte waren periodische Hungersnöte das Schicksal der Menschen. Heute stellt der Mangel an Nahrung in unseren Breiten keine Bedrohung mehr dar. Und das ist gut so. Doch ist damit nicht auch das Wissen um die elementare Bedürftigkeit als Menschen abhanden gekommen? Wer einmal gefastet hat, weiß wie stark das Gefühl ist, auf Nahrung angewiesen zu sein. Aber, er erfährt auch, dass Leben keine Selbstverständlichkeit, sondern Geschenk ist.

 

Mehr noch: wir sind nicht nur auf etwas, sondern auch aufeinander angewiesen. Das Brot, das wir essen, wurde von anderen gesät, geerntet und gebacken. In einfachen Lebenszusammenhängen ist offenkundig, dass es, um zu überleben, einer elementaren Solidarität bedarf. Eine Tatsache, die in einer stark individualisierten Gesellschaft leicht in Vergessenheit gerät.

 

Aber - und hier kommen wir dem Verständnis der Eucharistie einen Schritt näher - der Andere ist dabei nicht nur Mittel zum Zweck, er ist selbst in gewisser Weise Nahrung. Denn der menschliche Hunger nach Beziehung und Gemeinschaft ist zwar subtiler, aber letztlich ebenso real wie der Hunger nach Brot.

 

Es gibt verschiedene Arten des Hungers. Die Situation unserer Welt erscheint deshalb tragisch, weil ein Teil der Menschheit aus Mangel an Brot und materiellen Gütern nicht menschenwürdig leben kann und ein anderer Teil der Menschheit Mangel leidet an echten menschlichen Beziehungen, an tragfähiger Gemeinschaft. Man kann sich fragen, ob diese beiden Defizite in einer global Welt nicht miteinander zusammenhängend sind. Ich meine, dass die zunehmende Kälte unserer Gesellschaften etwas mit der mangelnden Bereitschaft zu Teilen zu tun hat.

 

Es gehört zur unergründlichen Eigenart des Menschen, dass er sich mit dem Vorhandenen nie voll zufrieden geben kann. Er verlangt nach Etwas jenseits der Erfüllungen, die die Welt zu bieten vermag. Es gibt im Menschen einen Hunger nach ewigem Leben, nach jener Fülle des Lebens, von der Johannes an anderer Stelle seines Evangeliums spricht. Im berühmten Wort des Augustinus: Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Gott.

 

Eucharistie ist Danksagung für Leben und Tod Jesu, Verheißung der Vollendung in ihm: Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.

Der Glaube an ein ewiges Leben setzt dabei den Glauben an das Leben voraus.

 

Sonst wird er blass und sinnlos. Die Materie, das Brot, die Gemeinschaft, die gesamte menschliche Wirklichkeit ist Zeichen des ewigen Lebens. Der Himmel ist kein abgehobener ferner Ort. Er ist nicht von der Erde getrennt, aber er überragt sie um ein Unendliches.