Erfüllte Zeit

02. 06. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

„Von den falschen Propheten und vom Haus auf dem Felsen“ (Matthäus 7,21-27)

von Dr. Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

 

Heute, am neunten Sonntag im Jahreskreis, kehrt die Leseordnung der röm.-kath. Kirche wieder zum Matthäusevangelium zurück, das ja in diesem Jahr die "normalen" Sonntage prägt. In den letzten Wochen, in der Osterzeit, waren die Evangelienlesungen vor allem dem Johannesevangelium entnommene theologische Annäherungsversuche an die großen Geheimnisse: Auferstehung, Erlösung, Heiliger Geist, Dreifaltigkeit, ... Mit dem heutigen Evangelium sind wir in einer anderen Szenerie. Wir steigen ein in die ausführliche Darstellung, die Matthäus von den wesentlichen Inhalten der Lehre Jesu gibt – in die berühmte Bergpredigt, und zwar ganz an ihrem Ende. Dieses betont in einer Art Zusammenfassung, worauf es ankommt: den Willen Gottes zu erfüllen, das Wort Gottes zu hören und danach zu handeln.

 

Die Bergpredigt bringt uns also nach theologischen Höhenflügen wieder auf den Boden, zu dem, was es ganz konkret zu tun gilt. Darum geht es in der Bergpredigt. Sie haben vielleicht den bekannten Anfang dieser Unterweisung Jesu im Ohr: Selig sind, die arm sind vor Gott, die keine Gewalt anwenden, die barmherzig sind; oder die Einführung, die Jesus ins richtige Beten gibt: So sollt ihr sagen: Vater unser im Himmel.... Berühmt sind auch die radikalen Anforderungen, mit denen Jesus dazu aufruft, über das übliche Maß richtigen Verhaltens weit hinauszugehen: schon das Zürnen meide, heißt es da; versöhne Dich mit allen; schleich Dich nicht aus Deiner Ehe davon, auch wenn Du Grund dazu hättest; halte auch die andere Wange hin; liebe Deine Feinde; stell Deine Gerechtigkeit nicht zur Schau und trag Dein Fasten und Beten nicht vor Dir her; mach Dir keine Sorgen, denn Gott sorgt für Dich; maße Dir über niemand ein Urteil an. Geht durch das enge Tor! sagt Jesus gegen Ende dieser Predigt. Ja, es ist ein steiler und schmaler Weg, der hier aufgezeigt wird.

 

In dem heutigen Evangelientext, mit dem Matthäus die Bergpredigt enden lässt, wird nun gesagt, worauf es angesichts dieser Fülle an herausfordernden Geboten ankommt. Zweimal wird uns das anhand eines positiven Beispiels und eines negativen Gegenbeispiels vor Augen geführt.

 

"Nicht jeder, der Herr, Herr zu mir sagt" – es genügt also noch nicht das Bekenntnis zu Jesus. Ihn "Herr" zu nennen, besagt dabei schon viel: Es macht deutlich, dass Jesus hier nicht nur als Rabbi, sondern als Sohn Gottes erkannt und anerkannt wird. Ein ganz zentrales Moment christlichen Glaubens ist hier bereits da. Und die, von denen hier die Rede ist, handeln auch aus der Kraft dieses Bekenntnisses: "Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und Wunder getan?" Und nicht nur das, sie sind auch als Propheten aufgetreten, haben also anderen verkündet, was Gott will. Doch Jesus hält ihnen entgegen, dass sie genau darauf nicht geachtet haben: Gottes Willen zu erfüllen, darauf kommt es an. Lautes Bekennen macht's noch nicht, nicht einmal gutwilliges Tätigsein – die entscheidende Frage ist die, ob ich ehrlich nach dem gefragt habe, was Gottes Wille ist, und bereit war, diesem Willen mich zur Verfügung zu stellen.

 

Was aber ist Gottes Wille – woran ist der zu erkennen? Muss ich meinen Willen aufgeben, um Gottes Willen erfüllen zu können? Manchmal haben Menschen den Eindruck, nach dem Willen Gottes zu leben, müsse auf jeden Fall hart und anstrengend und ernst und asketisch sein. Dabei ist es ganz sicher Gottes Wille, dass wir uns am Leben erfreuen, dass wir das Lebendigsein genießen ebenso wie das Zusammensein mit anderen. Was stimmt – und was viele wohl schon erfahren haben – ist, dass oft genau dann, wenn ich partout meinen Kopf durchsetzen will, mir beides abhanden kommt: das gelassene Genießen meines Lebens und die guten Beziehungen zu anderen. Es ist ein mitunter heilsames Korrektiv, sich zu fragen: Worum geht es mir jetzt? Dass ich recht behalte – oder wirklich um das Wohl meiner selbst und anderer?

 

Worum ging es denen, die "Herr, Herr" sagten und sogar Wunder taten, worum geht es religiösen Virtuosen heute: wirklich um Christus und den Willen seines Vaters?

 

Im zweiten Teil des heutigen Evangeliums wird uns dann noch ein zweites Mal mit einem zweiten Vergleich vor Augen geführt, worauf es bei dieser Bergpredigt ankommt: "Wer diese Worte hört und danach handelt", hat nicht auf Sand, sondern auf Felsen gebaut. Hören und handeln. Hören allein ist zuwenig. Auch Hören ist dabei nicht nichts: Hören, Hinhören im Zwischenmenschlichen aufeinander, im Glauben auf das Wort Gottes, auf die Erzählungen der Bibel – das beinhaltet schon, sich innerlich aufzuschließen, sich dem zu Hörenden zu widmen, das Gesagte einzulassen. Wer das tut, baut auch schon ein Haus. Um diesem Haus aber Bestand zu verleihen, braucht es mehr. Was Jesus bei seinen Hörerinnen und Hörern wirklich erreichen möchte, ist, dass sie tun, was er ihnen gesagt hat: die Feinde lieben; die größere Gerechtigkeit anstreben, die nicht vergelten will, sondern auch den Feinden noch Gutes wünscht; den Weg von Treue und Versöhnung gehen; Gutes tun ohne davon eigenen Vorteil zu erwarten; der Sorge um das Reich Gottes alles andere unterordnen; beten aus vollem Vertrauen.

 

Es ist darüber diskutiert worden, ob diese Forderungen der Bergpredigt eigentlich lebbar sind oder nicht doch zu naive oder zu hochgegriffene Utopie. Vom Exegeten Meinrad Limbeck lerne ich, dass die Frage, ob die Gebote der Bergpredigt "praktikabel" sind, an der eigentlichen Frage, vor die uns diese Predigt Jesu stellt, vorbeigeht. Wenn es in der Bergpredigt genau darum geht, uns zu sagen, was Gottes Wille ist, dann steht nicht zuerst zur Frage, ob die Forderungen auch politisch umsetzbar sind. Zur Frage steht: "Glaube ich, der/die Einzelne, dass Gott tatsächlich das will, was uns in der Bergpredigt als sein Wille verkündet wird?" Und vor allem: "Will ich, was Gott will? Möchte ich mir diesen Willen Gottes zu eigen machen – ja oder nein?"

 

Ehrlicherweise werden wir diese Frage wohl nicht immer leichten Herzen bejahen können. Und manchmal werden wir es nicht glauben können, dass wir diesem göttlichen Willen überhaupt gerecht werden können. Es mag uns dann trösten, dass schon Matthäus sein Evangelium gegen den Kleinglauben seiner Gemeinde schrieb und diesen im überlieferten Kleinglauben der Jünger und Jüngerinnen Jesu wiederfand. Was bleibt, ist eben nicht die Frage, ob die Bergpredigt lebbar ist oder ob damit Politik gemacht werden kann, sondern eher, ob es einen Weg gibt, der mich aus meinem Kleinglauben herausführen kann – und ob ich bereit bin, mich auf diesen Weg auch zu machen.

 

Auf dem Spiel steht dabei wohl nicht einmal so sehr mein ewiges Heil, das ich mir ohnehin nie verdienen kann. Ob ich mich auf die Herausforderungen der Bergpredigt einlasse, entscheidet vielleicht eher darüber, ob das, was ich hier in dieser Zeit baue, auch vor den Maßstäben der "Ewigkeit", aus dem Blickwinkel des Willens Gottes Bestand haben wird, oder als meine bloß irdische Vergangenheit wertlos und haltlos zusammenbrechen und fortgeschwemmt werden wird. Wer sich in Gottes Willen einübt, wer Gottes Worte hört und danach handelt, baut an Ewigkeitswerten.