Erfüllte Zeit

23. 06. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

„Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis“ (Matthäus 10,26-33)

Kommentar: Dr. Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Texte aus dem Evangelium wie der, den wir eben gehört haben, lassen mich immer wieder ein wenig erschauern. Sie erinnern mich daran, wie ernst das werden kann, sich zu Christus zu bekennen. Mir ist es geschenkt, in einem Land zu leben, in dem Religionsfreiheit gesetzlich garantiert und einklagbar ist. Ich brauche nicht um mein Leben und meine Sicherheit zu fürchten, wenn ich offen meinen Glauben praktiziere. Das gilt beileibe nicht für alle Christen und Christinnen auf dieser Welt. Und auch das Christentum selbst war nicht davor gefeit, dort, wo es in der Geschichte enge Bündnisse mit den politisch Mächtigen eingegangen ist, Menschen anderer Religionen – Juden etwa und Moslems – blutig und tödlich zu verfolgen.

 

Doch auch wenn meine Situation im 21. Jahrhundert in Österreich sicher nicht zu vergleichen ist mit der von Menschen, die in Geschichte oder Gegenwart um ihr Leben fürchten mussten, wenn sie sich zu ihrem Glauben bekennen, so möchte ich doch bei meiner Situation bleiben und die Worte Jesu auf mich, auf uns heute hier beziehen.

 

Ich kenne z.B. Unbehagen und Unsicherheit meiner Kirchlichkeit wegen: Soll ich etwa im Reitstall, wo ich neu bin, davon erzählen, was ich beruflich tue, dass ich Theologin bin, gläubig, kirchlich engagiert? Zu oft habe ich Befremden bei anderen erlebt, wenn ich mich als Kirchenfrau geoutet habe. Ich kenne sie zu gut die Mischung aus schlechtem Gewissen und Scheu, die es auslösen kann, oder auch die aggressiven Reaktionen, die mir von Kreuzzügen und Hexenwahn bis Frauenfrage und Pillenverbot alle Verfehlungen der Kirchengeschichte um die Ohren knallen.

 

Und ich weiß auch, beides hat einen Widerhall in mir selbst: Auch ich bin nicht ganz frei von einem spirituellen Leistungsdenken und kenne die Frage an mich selbst: Sollte ich es nicht viel ernster nehmen mit dem christlichen Leben? Auch ich kenne die Missstände der Kirche, reibe mich an ihnen, bin manchmal wütend auf "die Kirche", genauer meine Kirchenleitung und schäme mich gelegentlich für sie. Und ich weiß leider auch, dass das Christentum selbst in seinen Wurzeln nicht frei ist von patriarchalen Tendenzen und unterdrückerischen Strukturen.

 

Ich wäre gerne bruchlos stolz auf meine Kirche und meine Religion. Dass wir nicht nur als Einzelne, sondern die Kirche selbst zwar erlöst, aber auch Sünderin ist, das ist eine tröstliche theologische Erkenntnis – frei und unbefangen meinen Glauben von den Dächern zu verkünden, hilft sie nicht immer.

 

Aber ich glaube, es ist nicht nur Scham und Ungenügen, das sich in meiner eigenen Unsicherheit und meinem Unbehagen widerspiegelt, genauso wie in dem Unbehagen und der Unsicherheit, mit der mir als Christin und Kirchenfrau begegnet wird. Die frohe Botschaft, nach der ich zu leben versuche, ist einfach auch eine herausfordernde, eine, die zuweilen unbequem ist. Schon Matthäus schreibt das Evangelium für Menschen auf, die erlebten, dass das Bekenntnis zu Jesus Auseinandersetzung und Streit auslöst, sodass die Beteiligten an diesem Konflikten sich genötigt sehen, klar Partei zu ergreifen. Schon eine neutrale Position erscheint dann als Verrat. Seiner Gemeinde, die in solchen Kämpfen mit anderen Gruppen im Judentum ihrer Zeit stehen, will Matthäus Mut machen. Aus Jesu Rede wird deutlich: Gott weiß um sie – wo er doch sogar um jeden Spatzen weiß – und Gott bleibt selbst im Streit nicht neutral. Als Juden und Jüdinnen ihrer Zeit wissen auch die christlichen Gemeindemitglieder des Matthäus darum, dass Gott ein streitbarer Gott ist, ein leidenschaftlicher und engagierter, darauf aus, mit seinem Volk um den rechten Weg auch zu ringen.

 

Dabei habe ich auch da Verständnis für die, die sich sträuben. Jesu Botschaft von nahegekommenen Gottesreich stört den gewohnten Gang der Dinge. Auch wenn dieser unbefriedigend sein mag, so ist er doch gewohnt – ein Leben, in dem man sich auskennt; schließlich hat man durchaus schmerzlich gelernt, dass man nicht alles haben kann und sich begnügen muss – mit dem gewohnten Gang der Dinge. Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger mit dem befreit-befreienden Leben, das unter ihnen spürbar wurde, waren wohl auch Störenfriede, gefährdeten die hergebrachte Ordnung, erweckten in zu vielen Menschen, zumal bislang Benachteiligten, so genannten kleinen Leuten, Sehnsüchte und Hoffnungen auf ein gutes Leben – neue Hoffnungen auf das, was die alten Verheißungen versprachen: Unterdrückte stehen auf, Gefangene werden frei, Lahme gehen, Blinde sehen, Arbeiterinnen genießen die Früchte selbst, Arbeiter wohnen ein langes Leben lang in den Häusern, die sie gebaut haben, Friede und Gerechtigkeit küssen sich ...

 

Solche Visionen können störend sein, auch heute. Und sie fordern auch heute zu Bekenntnis und Positionierung heraus: Die Vision, dass Wohlstand für alle da ist, verbietet die abschätzige Rede von Wirtschaftsflüchtlingen und fordert offene Grenzen. Die Vision, dass alle ein Recht auf ein gutes Leben als Familie haben, verbietet restriktive Gesetze zum Familiennachzug für Migranten. Die Vision, dass in einer reichen Gesellschaft wie der unseren niemand materielle Not leiden muss, erfordert die Bereitschaft unter Umständen auch mehr statt weniger Steuern und Sozialabgaben zu zahlen, damit allen geholfen werden kann. Bei uns herrscht Religionsfreiheit, aber in sozialen Fragen öffentlich Position zu beziehen, hat auch bei uns den Vertreterinnen der Kirche schon öffentliche Schelte eingebracht und erfordert auch bei uns Zivilcourage, ebenso wie beispielsweise die Aufforderung, nicht alles zu tun, was uns technisch, gentechnisch etwa, möglich ist.

 

Immer öfter habe ich den Eindruck, dass die zentralen Werte meines Glaubens nicht das sind, was in meiner Gesellschaft zählt. Zu meinem Glauben gehört Solidarität vor Eigennutz, gehört der Verzicht darauf, alles kontrollieren zu wollen, gehört die Anerkenntnis von Grenzen, die uns Menschen gesetzt sind, weil wir eben nicht Götter sind, gehört die Überzeugung, dass diese Welt es wert ist, sie gut zu gestalten, anstatt sie auszubeuten oder ihr spirituell den Rücken zu kehren, und gehört das Vertrauen, dass jeder Mensch von der Zeugung an einen unverfügbaren Wert hat, der dazu verpflichtet, ihn zu achten.

 

Ich habe den Eindruck, es ist an der Zeit, wieder offener und offensiver diesen Glauben anderen Menschen vorzuschlagen. Denn er kann sich sehen lassen und braucht die Auseinandersetzung nicht zu scheuen. Jesu Wort: Fürchtet euch nicht! ist für mich dabei kein Freibrief für militantes Auftreten, sondern der Zuspruch von Gelassenheit. Und Gott sei Dank muss ich über niemanden urteilen oder richten, sondern nur am hellen Tag sagen, was mich trägt und bewegt: das Vertrauen auf Gottes Liebe, die alle umfängt mitsamt Unbehagen und Unsicherheit, Mut und Zweifel, Ringen und Sehnsucht – bis zum letzten Spatzen.