Erfüllte Zeit

23. 06. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

Über das Leer werden –
Ein Text von Johannes Tauler

 

Die Entleerung ist die erste und größte Vorbereitung für den Empfang des Heiligen Geistes. Denn ganz so weit und ebensoviel der Mensch entleert ist, so viel mehr wird er auch fähig, den Heiligen Geist zu empfangen. Denn will man ein Fass füllen, so muss zuvor heraus, was drinnen ist. Soll Wein hinein, so muss zuerst das Wasser heraus, denn zwei stoffliche Dinge können nicht zugleich an einem (und dem seIben) Ort sein. Soll Feuer hinein, so muss das Wasser heraus, denn sie sind einander feindlich. Soll Göttliches (in den Menschen) hinein, so muss notwendigerweise das Geschöpfliche (zuerst) den Menschen verlassen. Alles Geschöpfliche muss heraus, es sei von welcher Art auch immer. So muss der Mensch sich fassen lassen, sich leeren und vorbereiten lassen. Er muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledig werden und es lassen, es für nichts halten und in sein lauteres Nichts sinken. Andernfalls vertreibt und verjagt er sicher den Heiligen Geist und hindert ihn, in der höchsten Weise in ihm zu wirken.

 

Die das tun, sind die wahren Armen im Geist. Sie erfüllt der Heilige Geist; er stürmt in ihre Seelen, er gießt all seinen Reichtum über den Menschen aus, überschüttet ihn mit seinem Schatz, den inneren wie den äußeren Menschen. Und des Menschen Tun besteht hier darin, dass er sich bereiten lasse, und dem Heiligen Geist eine Stätte und einen Platz gebe, damit. er sein Werk in ihm vollenden könne. (Aber) das tut selten jemand, auch solche nicht, die geistliches Gewand tragen, die doch Gott hierzu erwählt hat. Denn der Eitelkeiten der Welt gibt es so viele und der Anhänglichkeit (an das Geschöpfliche), bald hier, bald dort. Dann sind die Gewohnheiten, die äußeren Beschäftigungen, persönliche Vorhaben, (eigenes) Gutdünken. Niemand will sich dem Heiligen Geist lassen, jeglicher wirkt sein (eigen) Ding. So verhalten sich alle in dieser sorgenvollen Zeit.