Erfüllte Zeit

04. 08. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

Gebet für Marilyn Monroe –
Ernesto Cardenal

 

Herr,

nimm dieses Mädchen auf, das sie ganze Welt als

Marilyn Monroe,

 

obwohl dies nicht ihr wirklicher Name war,

(doch du kennst ihren Namen, den Namen des

Waisenkindes, das vergewaltigt wurde mir 9 Jahren,

den Namen der kleinen Verkäuferin, die mit 16 versuchte,

ihrem Leben ein Ende zu machen)

 

dieses Mädchen, das jetzt vor Dir steht, ohne Make-up,

ohne ihren Manager,

ohne Fotografen, ohne Autogramme zu geben,

einsam wie ein Astronaut vor der Nacht des Universums.

 

Als Kind träumte sie, dass sie nackt in einer Kirche stand,

(so stand’s in der ’Time’)

vor einer knienden Menge, die Köpfe geneigt bis zur Erde,

und sie musste auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht

zu zertreten.

 

Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.

Kirche, Haus, Höhle – das bedeutet Sicherheit

des mütterlichen Schosses, aber doch auch mehr als das...

Die Köpfe sind die Bewunderer, das ist klar

 

Doch der Tempel ist keins der Studios der 20th Century-Fox.

Der Tempel – Heiligtum aus Marmor und Gold – ist der

Tempel ihres Körpers.

 

Und dort steht der Menschensohn mit einer Peitsche in der

Hand

 

und treibt sie aus, die Händler der 20th Century-Fox,

die Dein Bethaus zu einer Räuberhöhle machten.

Sie hungerte nach Liebe, und wir boten ihr

Beruhigungsmittel.

 

Gegen die Traurigkeit, nicht heilig sein,

empfahl man die Psychoanalyse.

Denk, Herr an ihre wachsende Angst vor der Kamera,

an ihren Hass auf Schminke – und sie schminkte sich für

jede Szene,

 

und wie ihr Entsetzen immer größer wurde

und wie sie immer unpünktlicher in die Studios erschien.

 

Wie jede kleine Verkäuferin

träumte sie davon, ein Filmstar zu sein.

Und ihr Leben war irreal wie ein Traum, den der Psychiater

analysiert und zu den Akten legt.

 

Ihre Liebesabenteuer waren wie ein Kuss mit geschlossenen

Augen

 

-und wenn man die Augen öffnet, merkt man, dass es nur

ein Filmkuss war.

 

Und dann löschen sie die Scheinwerfer!

Der Film ist aus – doch ohne Happy-End.

Man fand sie tot, den Hörer in der Hand.

Und die Polizisten wussten nicht, mit wem sie sprechen

wollte.

 

Es war

wie wenn jemand die Nummer der einzigen Freundesstimme gewählt hat

und eine Stimme vom Tonband hört, die schnarrt:

Wrong Number,

 

Herr,

wer es auch sei, den sie anrufen wollte

und nicht erreichte

nimm den Hörer ab!