Erfüllte Zeit

11. 08. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

 

"Der Gang Jesu auf dem Wasser" (Matthäus 14, 22 - 33)

von Oberin Maria Andreas Weissbacher

 

 

Im Evangelium des heutigen Sonntags lese ich eine köstliche Kurzgeschichte, die meine momentane Lebenssituation beschreibt. Vor einer Woche hörten wir vom großen Wirbel um die Brotvermehrung - viele Menschen, viel Bewegung, großes Staunen über die Wirkung des Teilens alle sind zufrieden. Jesus zieht sich zurück, wie er das ja oft gemacht hat. Er geht in die Stille, möchte ganz bei sich sein und setzt sich seinem Gott aus, um in der Frühe wieder zu seiner Gruppe zu kommen.

 

Auf dem See die Apostel, erfahrene Fischer – mit dabei Petrus, der Stürmer. Er erkennt die Stimme des vermeintlichen Gespenstes Nun müsste er etwas riskieren, und voller Begeisterung springt er ins Wasser. Da kommt Zweifel auf, er ist ja allein, keiner seiner Freunde ist mitgesprungen, es kommt auf ihn an. Da wird die Unsicherheit groß, auch die Angst –und Jesus streckt ihm helfend die Hand hin.

 

Die Apostel waren ja schon längere Zeit mit diesem Wanderprediger Jesus unterwegs, und waren zufrieden; sie haben ihre verschiedenen Rollen und Aufgaben erkannt, sie haben gelernt, ihre Verschiedenheit als Chance zu sehen und so sind sie miteinander stark geworden. Doch da erwischt es einen von ihnen neu, er wird neu gefordert – im Alleingang.

 

Und das ist immer wieder auch die Situation in meinem Leben. Vieles ist Gewohnheit, manches ist Routine geworden – es läuft und jeder ist zufrieden. Auch unser Christsein ist Gewohnheit; alles hat seine Ordnung. Und dann gilt es plötzlich Farbe zu bekennen. Ein Ereignis erschüttert diese Ruhe, es zeigt sich dass Nachfolge Jesu auch immer wieder Überraschungen bringt, es kommen Querschläge, die durchgetragen werden müssen, ich darf nicht aufgeben, wenn der so einfache Boden der Gewöhnung wackelt oder ein Sturm einen hinwegzureißen droht Das kann in Form einer neuen Herausforderung geschehen.  Doch im Schutz guter Freundinnen und Freunde sein, in Gemeinschaft sein ist so wichtig, tut so gut, ist so anheimelnd. Warum soll ich mich hinauswagen – allein – in den Widerspruch, in die Auseinandersetzung,  in den Widerstand?

 

Das ist zu riskant – ich könnte mich blamieren. Die Situation drängt, die Anforderung ist klar und die Andern gehen nicht. Auf meine Entscheidung kommt es an. Die Frage kommt: Auf wen setze ich, wem vertraue ich?

 

Der Gründer unserer Ordensgemeinschaft war einer, der ging. Missionare für Südafrika wurden gesucht, viele haben es gehört, niemand ist bereit gewesen, seine gute Position gegen so viel Unsicherheit aufzugeben. Abt Pfanner ist gegangen, mit 56 Jahren hat er ein gut bestelltes Haus zurückgelassen und sich auf ganz Neues eingelassen.

 

Auch Petrus ist gegangen, hat Vertrauen gelernt und wurde zum Fels, auf den Jesus seine Kirche gebaut hat.

 

Unser Stifter hat ein missionarisches Werk errichtet, das heute noch wirkmächtig ist im Einsatz für Unterdrückte, Zukurzgekommene, Aidskranke - weil auch sie erfahren sollen, wie gut Gott ist.

 

Morgen denkt unsere Kirche an die hl. Klara, die ebenfalls aus gesicherter Stellung heraus dem Franziskus in die radikale Armut gefolgt ist. Sie hat das Glück ihres Lebens gefunden und ist unendlich dankbar dafür gewesen, dass sie diesem Ruf gefolgt war.

 

Möge ihr Segenswort all jene erfüllen, die sich in einer Aufbruchssituation befinden und in Sorge sind. Sie betet: “Unser Herr sei mit dir, zu allen Zeiten gebe Gott, dass du allezeit, alle Zeit in ihm bleibest.“ Das heißt doch nichts weniger als: dein Gott, der dich liebt, ist nicht irgendwo zu suchen, sondern ist in der Mitte deines Lebens, im Zentrum deines Wesens gegenwärtig. Wenn ich diese faszinierende Wahrheit einmal auch nur annähernd verstanden habe, kann ich vertrauen.

 

Vertrauen, wenn Zeit und Umstände einen neuen Aufbruch fordern,

vertrauen, wenn der erste Schritt zur Versöhnung geschehen soll,

vertrauen, wenn jene, die zum Verstummen gebracht wurden, meine Stimme brauchen,

vertrauen, wenn die Vision von einer gerechteren Welt in kleinen Schritten verwirklicht werden soll,

vertrauen, wenn der Einsatz für die am Rand, für die Ausgegrenzten, notwendig ist, vertrauen, wenn es gilt in einer herzlosen Gesellschaft barmherzig zu sein,

vertrauen, wenn Müdigkeit und Abgeschlagenheit das Leben mühsam werden lassen,

vertrauen, wenn die Nachfolge Jesu einen einsamen Alleingang erfordert. Er ist nicht nur vor mir, wie ein Gespenst – er ist in mir und geht mit mir. Diese Erfahrung haben unzählige Menschen in Extremsituationen machen dürfen, ich selbst kann sie nur machen, wenn ich die selbstgebastelten Sicherheiten loslasse.