Erfüllte Zeit

18. 08. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Erhörung der Bitte einer heidnischen Frau" (Matthäus 15, 21 - 28)

von Univ. Prof. Dr. Gerhard Bodendorfer

 

 

Wie einfach scheint doch die Botschaft dieser Geschichte zu sein. Wer beharrlich ist, bekommt am Ende, was er oder sie will. Oder anders gesagt, wer schlagfertig ist und sich nicht mit einer schnellen Antwort abspeisen lässt, wird zum Erfolg kommen. Ja, auch diese einfache Weisheit steckt in dem Text. Aber er erschöpft sich nicht darin. Vielmehr erzählt er auch die Botschaft von Jesus, dem Juden, der sich nicht zu den Heiden gesandt fühlt, sondern als ein Warner, ein Prophet in Israel und für Israel versteht. Mit Tyros und Sidon erinnert das Evangelium an die reichen Stätte des Handels, die der Prophet Ezechiel einst wegen ihres Hochmutes tadelte, aus denen aber auch die Handwerkskunst und das Knowhow zum Bau des Tempels in Jerusalem zur Zeit des Königs Salomo stammte. Wenig vorher hat Jesus die beiden Städte für einen Vergleich gebraucht. Sidon und Tyros werde es einmal besser gehen als den galiläischen Städten, weil deren Vergehen noch größer sei. Mehrheitlich nichtjüdische Städte sind es, durch die Jesus zieht, ohne sich lange aufzuhalten, ohne den Kontakt mit den Einheimischen zu suchen, die er weder bekehren noch sich mit ihnen auseinandersetzen will. Und gerade hier bedrängt ihn eine Frau mit einer dringenden Bitte. Jesus möge doch ihre Tochter von einem Dämon befreien. Sie spricht ihn als Sohn Davids an. Im Matthäusevangelium nennen ihn so die Lahmen und die Blinden und die Kinder und schließlich die Menge beim Einzug in Jerusalem. Die Pharisäer antworten einmal, dass das der Messias sei. Nur an unserer Stelle ist es eine Nichtjüdin, die Jesus Sohn Gottes nennt. Aber er fühlt sich von dieser Erkenntnis weder geschmeichelt noch motiviert zu helfen. Und auch die nachdrückliche Aufforderung seiner Jünger nützt nichts, denen die Frau lästig fällt. Auch ihnen tut er den Gefallen nicht, auf sie einzugehen. Erst das Gespräch mit der Frau selbst stimmt ihn um. Mag Jesus sich auch nur zu den Juden gesandt fühlen, so sieht er doch ein, dass ein kleines Stück von der Botschaft Jesu auch zu den Heiden fallen wird, wie am Tisch die Brosamen zu den Hunden. Hunde, das ist ein altes und häufiges Bild für die Heiden und immer wieder finden wir es auch in der jüdischen Literatur, in Texten, in Bildern, oft in Kombination mit dem Hasen, den der Hund jagt. Der Hase ist der Jude, der Hund der Nichtjude, der ihm nicht selten nach dem Leben trachtet. In unserem Evangelium sind aber keine streunenden wilden Hunde gemeint, sondern Haushunde, die friedlich unter dem Tisch warten, bis ihnen nach den Kindern auch etwas abfällt vom Tisch des Herrn.

 

Wenn in dieser Geschichte vom Glauben der Frau gesprochen wird, der Jesus bewegt, so meint man damit nichts anderes als das Vertrauen in die heilende Kraft Jesu. Mit dem Blick auf die Nichtjuden sprengt der Evangelist hier die von Jesus selbst so deutlich gemachte Grenze der Verkündigung der Jesusbotschaft. Der Weg zu den sog. Heiden ist frei geworden, aber nicht, weil Jesus auf sie zugegangen wäre, sondern weil sie in der Gestalt einer Frau im jüdischen Heiler den eigenen Retter entdeckten. Es ist Ironie der Geschichte, dass das Christentum sich in der Heidenmission herausbildete nicht im Judentum Fuß fassen konnte, obwohl Jesus sich – wie unser Evangelium deutlich macht – zu den Juden und ausschließlich zu den Juden gesandt fühlte.

 

Darum ist nicht selten in der Auslegung unser Text als eine Abwertung des Judentums missinterpretiert worden. Und schon der Kirchenvater Hieronymus meinte, dass früher die Juden Kinder und die Heiden Hunde gewesen wäre, es heute aber umgekehrt sei. Solche Auslegung tut dem Text Gewalt an. Denn die Juden, so zeigt das Wort Jesu und die zustimmende Äußerung der Frau, bleiben vorrangig die Kinder Gottes. Es sollte bis tief in das letzte Jahrhundert dauern, ehe die Kirchen anerkannten, dass dies auch für das Judentum gilt, das Jesus nicht als Sohn Gottes und Messias anerkennt.