Erfüllte Zeit

16. 12. 2001, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

"Jesus und der Täufer" 

(Matthäus 11,  2 - 11)

Kommentar: Prof. Paul Zulehner

 

 

Gott tun als "Leib hingegeben"

 

 

Es war auf der Kirchenversammlung der altehrwürdigen Diözese Rottenburg-Stuttgart. Der damalige Bischof Moser hatte junge Menschen aufgefordert, ihm zu berichten, wie sie die Kirche erlebten. Eine siebzehnjährige Näherin schrieb ihm, das "Gottesgeschwätz" in den Kirchen sei nicht mehr auszuhalten.

 

In der Tat, wir haben in den letzten Jahren die Gottesrede beschleunigt. Noch nie in der Kirchengeschichte wurde wohl so viel von Gott geredet: im Rundfunk, im Fernsehen, in den unzähligen Worten während eines einzigen Gottesdienstes, in den Katechesen.

 

Mag sein, dass die Gottesrede verbessert werden kann und muss. Aber das Kernproblem ist nicht nur, wie wir über Gott reden, sondern dass wir von Gott fast nur noch reden und Gott kaum tun.

 

Auch Jesus hat gut und viel über Gott geredet. Aber als die Abgesandten des Johannes, seines Vorläufers, zum ihm kommen, um seine Zweifel zu beheben, da trägt ihnen Jesus nicht auf, von seinen Predigten zu berichten. Vielmehr heißt es im heutigen Evangelium: "Berichtet Johannes, was ihr hört und seht". Dann folgen die unheimlichen Gottestaten: "Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet."

 

Das gesprochene Evangelium kommt vor, aber es steht an letzter Stelle – noch mehr: Seine Worte – das Evangelium für die Armen - stützen sich auf Taten gerade zu Gunsten der Lebensarmen. Jesus respektiert, dass der Vorläufer Worten allein misstraut.

 

Auch unsere Zeit ist misstrauisch geworden zumal gegenüber dem Zeugnis bezahlter Propheten: im Zeugnis der Priester, der Religionslehrer, der Gottesredner. "Das Gottesgeschwätz ist nicht mehr auszuhalten", so die Siebzehnjährige.

 

Der Kirche sind die vier Evangelien anvertraut: Variationen des einen Evangeliums für die Armen. Aber sie selbst ist das fünfte und wichtigste Evangelium. die Art, wie wir Christen und Christinnen leben und was wir tun – bringt Gott in Kredit oder eben in Misskredit. Das, was wir leben, öffnet für Menschen den Weg zum Glauben – oder zum Unglauben.

 

Das Zweite Vatikanische Konzil vermerkt deshalb schuldbewusst, dass die Gläubigen am Entstehen des Atheismus einen erheblichen Anteil haben, und zwar auch und gerade "dadurch, dass sie durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren". (GS 19)

 

Weniger über Gott reden, mehr Gott tun, das wäre ein Programm einer Evangelisierung mit neuer Qualität. Solches Gott tun beginnt damit, dass wir selbst "gottvoll" werden. Nur dann kann Gottes Art zu tun unser innerstes Lebensgesetz werden.

 

Das heißt auch, dass wir es Gott gestatten müssen, uns durch seinen revolutionären Geist zu wandeln. Sonntag um Sonntag lädt uns die Kirche ein, uns buchstäblich in "Gottesgefahr" zu begeben. Die Inszenierung jeder Eucharistiefeier strebt hin zu solcher Wandlung. Gaben bringen wir zum Altar, Brot und Wein, darin uns selbst. Wir rufen Gottes Heiligen Geist auf die Gaben herab, damit er sie wandle – zu einem "Leib, hingegeben". Das sagen wir von den Gaben, aber auch von uns. Die Kernschwäche unseres kirchlichen Lebens: Liegt sie nicht darin, dass wir insgeheim sagen: Gott wandle die Gaben, aber uns lass in Ruh?

 

Sich von Gott formen zu lassen zu einem "Leib, hingegeben": das hieße, Gott zu tun. Das würde unsere Gottesrede glaubhaft machen. Solches aber hätte drastische Konsequenzen für unser kirchliches Leben.

Würde uns aber Gott wandeln, könnte der eine "Leib" als eine neuartige Gemeinschaft wachsen: eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern. Väter gibt es in ihr aus menschlicher Sicht keinen mehr – weshalb sich keiner so nennen soll, denn nur einer ist Euer Vater, der Vater im Himmel, so Jesus (ohne merkliche Wirkung bei uns (Mt 23,8).


Diese Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern lebt in fundamentaler Gleichheit aller. Die menschheitsalten Diskriminierungen sind in ihr überwunden: die rassistische (es gibt nicht mehr Juden und Griechen), die kapitalistische (nicht mehr Sklaven und Freie), die sexistische (nicht mehr Männer und Frauen): alle sind einsgeworden in dem Leib, der Christus selbst ist (Gal 3,28). Alle sind berufen, alle begabt. Deshalb gibt es eine hohe Verbindlichkeit im gemeinsamen Leben. Es wird auch keine Entscheidung getroffen ohne Beteiligung der Betroffenen.

 

Es bildete sich aber nicht irgendein Leib, sondern ein Leib, "hingegeben" für das Leben der Welt. Eine Kirche, die gewandelt ist aus der Kraft des Heiligen Geistes, geht den Weg Jesu, und das ist der Weg der Fußwaschung (Joh 13). Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts (Jacques Gaillot).

 

Daher ist eine vom Geist Gottes gewandelte Kirche auf der Seite derer, die es schwer haben durchs Leben zu gehen. Sie ist dann bei den Sterbenden, den Behinderten, den Alleinerziehenden, den Arbeitslosen, den Menschen ohne Dach über dem Kopf oder über der Seele, den Kriegsflüchtlingen, insbesondere den kommenden aus Afghanistan, bei den Kindern, die immer mehr stören.

 

Fragen uns unsere misstrauischen Zeit- genossen im Gefängnis ihrer Vorurteile, ob sie auf einen anderen warten sollen als den, von dem wir reden - dann könnten auch wir sagen: Hört und seht her. So leben wir. So handeln wir. Und eben darin zeigt sich Gott als der , der da ist. Dass er da ist, erkennt ihr an dem, was er an uns tut: dass er uns wandelt.