Erfüllte Zeit

21. 07. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Drei Gleichnisse: Unkraut unter dem Weizen, Senfkorn, Sauerteig"
(Matthäus 13, 24-43)

Kommentar: Philipp Harnoncourt

 

„Meister Eckhart über die mystische Schau“

 

* „Was glauben Sie?“ – Der Industrielle Hannes Androsch

Ihm gehören als “Salzbaron” von Altaussee vier Kirchen, er schreibt im Altausseer Pfarrblatt und hält neuerdings Vorträge zum Thema Christentum und Wirtschaft. 

Hannes Androsch wurde 1938 in einfachen Verhältnissen im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf geboren. 

Mit 32 Jahren machte ihn Bruno Kreisky zum jüngsten Finanzminister Europas. Nach seinem Abgang aus der Politik 1981 wurde der SPÖ-Politiker Generaldirektor der Creditanstalt, war danach Konsulent der Weltbank und gründete 1989 die Androsch International Management Consulting GmbH. 1994 wechselte er nochmals die Karriereebene und brachte zahlreiche sanierungsbedürftige österreichische Firmen wieder auf Vordermann. Die staatseigene Leiterplattenfirma AT&S und die Östereichische Salinen AG beispielsweise sind wieder zu produktiven Paradeunternehmen geworden. Mittlerweile 62jährig ist Androsch einer der größten Industriellen Österreichs.

Androsch ist Vater zweier erwachsener Töchter und eines Sohnes im Kindesalter. Er lebt zur Hälfte in Wien und im steirischen Altaussee.

Johannes Kaup hat Hannes Androsch nach seinen ethischen Werten und Glaubensüberzeugungen gefragt. 

 

Gleichnisse vom Himmelreich

(Matthäus 13, 24 - 43)

 

Der Text des Evangeliums von diesem Sonntag knüpft genau dort an, wo der Text des letzten Sonntags geendet hat.

 

Nach dem langen Gleichnis vom Acker, das Jesus selbst seinen Jüngern ausgelegt hat, folgt eine ganze Reihe weiterer Gleichnisse, man kann sie auch Bild-Reden nennen, über das Himmelreich:

Es ist wie ein Acker, auf dem nicht nur der gute Same aufgeht, sondern auch die Saat des Feindes wächst;

es ist wie ein aus einem winzigen Samenkorn gewachsener großer Baum, in dem allerlei Vögel nisten;

es ist wie Sauerteig, der zwar selbst ungenießbar ist, aber das Brot zur genießbaren Speise macht.

 

Die Jünger bitten Jesus: Erkläre uns das Gleichnis von dem Unkraut auf dem Acker. Daraufhin legt Jesus ihnen dieses Gleichnis aus, wie er ihnen ja auch das Gleichnis vom Sämann gedeutet hat.

Wir müssten uns eigentlich genauer ausdrücken und sagen, mit Hilfe dieser beiden Gleichnisse hat Jesus vom Himmelreich gesprochen. Er spricht in seiner Deutung

nicht über die Gleichnisse, sondern er hilft seinen Jüngern, die Sprache dieser Gleichnisse selbst zu erfassen.

Schließlich haben ja auch die Literatur- und Kunstwissenschaften nicht die Aufgabe, über Kunstwerke zu sprechen, sondern diese Werke selbst zur Sprache zu bringen, d.h. sie als Sprache einer Botschaft "hören" und "lesen" und erfassen zu lernen.

 

Dem Lesen-Lernen der Gleichnisse Jesu ist aber eine wichtige Überlegung vorauszuschicken: Es geht dabei um die sogenannte Kontextualitat: In welchen Zusammenhängen tritt den Hörern oder Lesern der Gleichnistext entgegen?

 

Für den Bibel-Theologen gehört es zum Handwerk, dass er beherrschen muss, dass er sich Klarheit darüber verschafft, in welchem Textzusammenhang ein Gleichnis steht:

Was steht vor diesem Text, und was kommt danach?

Wann und wo und zu wem wurde das Gleichnis gesprochen?

Wie gut waren die Hörer mit den verwendeten Bildern vertraut?

Welchen Sitz im Leben hatte damals die Bildwelt, der das Gleichnis entnommen ist?

 

Wird aber derselbe Text in einem Gottesdienst vorgetragen, so sind für den Interpreten und für die Hörer andere kontextuelle Fragen wichtig. Die Wort-Gottes-Feier ist ja keine Bibelstunde, und das Erschließen eines Feiertextes in der Predigt ist keine primär bibelwissenschaftliche Aufgabe.

 

Zu fragen ist etwa so:

In welchem Zusammenhang steht dieser Text mit der Feier des Tages?

Wie ist in diesem Text die hier und heute vollzogene Feier enthalten, so dass Text und Feier sich gegenseitig deuten?

Wo und wie finden die heute Feiernden in diesen Texten sich selbst vor? - Mit welchen Personen oder Ereignissen können sie sich identifizieren?

 

Ganz persönlich gefragt:

Wo und wie komme ich selbst in diesem Bibeltext vor, so dass er sich als mein Text erweist? Können mein Leben und der vernommene Text und das Ganze der Feier sich gegenseitig so auslegen, dass mir Sinnstiftung widerfährt?

 

Das Evangelium jeder Messe sollte sich als mein Evangelium erweisen, als die Frohe Botschaft für mich.

 

Jesus von Nazareth hat sicherlich etwas mit mir vor - er meint mich! -, sowie er ja seinerzeit mit den Menschen, die ihm begegnet sind, auch immer etwas vorhatte: mit seinen Aposteln und Jüngern, mit den Volksscharen, die einmal für und dann wieder gegen ihn aufgetreten sind, mit den Pharisäern und den Schriftgelehrten, mit den Ausgestoßenen und den Sündern.

 

Genau das möchte ich, verehrte Hörerinnen und Hörer, jetzt noch versuchen und zwar mit den beiden Gleichnissen, die Jesus nicht selbst ausgelegt hat. Wo steckt da mein Leben drin?

Das Himmelreich, das Jesus durch Gleichnisse erschließt, ist nicht irgendeine anonyme oder abstrakte Sache, es ist mir bestimmt, es ist mein Himmel oder Gottes Himmel in mir.

Und es ist diese konkrete Feier hier und heute, in der ich mit Hilfe der Gleichnisse mein Himmelreich erfahren und vorauskosten darf.

 

Der Gottesdienst ist für die Feiernden Himmelreich: Schließlich singen wir mit den Engeln und Erzengeln das Gloria und das Sanktus, und der erhöhte Herr, der Gekreuzigt-Auferstandene ist in die Mitte der Feiernden gekommen, wie er selbst es verheißen hat: Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen!

Reich Gottes ist nach dem eindeutigen Zeugnis der Schrift des ersten und des erneuerten Bundes gegeben, wenn er selbst in ihrer Mitte wohnt, wenn sie sein Volk sind, und wenn er ihr Gott ist! (vgl. Ez; Jer; Offb.)

 

Die Gemeinschaft der Feiernden erweist sich in der Liturgie

als ein großer Baum, der aus einem einzelnen kleinen Körnchen hervorgewachsen ist: aus dem Tod Jesu und aus seinem Begräbnis – dem ln-die-Erde-Senken des kleinen Samenkorns damit es Frucht bringen kann;

als Baum, der mit der Auferstehung Christi und in der Kraft seines Geistes zu wachsen beginnt;

Als geheimnisvoller Leib Christi, der vom Tod seines ersten Leibes - aus seiner durch die Lanze des Soldaten geöffneten Seite - ausgehend Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch ist.

Vögel nisten im großen Baum. Das sind aber nicht Himmelsboten oder Freunde der Menschen, das sind Schmarotzer im Geäst und auf den Feldern der Menschen.

Im Schatten der Kirche und ihrer Liturgie sind genug Schmarotzer zu finden, die sich selbst nehmen, was sie mit anderen teilen sollten, die sich nur ihre eigenen Wünsche erfüllen, statt sich der Not ihrer Mitmenschen anzunehmen, Vögel, die ihre eigenen Weisen pfeifen und gern die anderen nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

 

In der Feier der Messe zeigt sich die Kirche

als Hausfrau, die sich anschickt Brot zu backen, die das Lebens-Mittel und die Lebensmitte für den Hunger der Welt bereitstellen; sie weiß, dass nur mit dem Sauerteig des Gottesgeistes diese Speise geraten kann.

 

Die Kirche zeigt sich in der Feier der Messe

als Tisch-Gemeinschaft, die vom Brot des Himmels lebt, und die selbst Brot für das Leben der Welt ist.

 

Und gestärkt durch die Messfeier, zeigt sich die Kirche selbst als Brot, das durch den Sauerteig des Gottesgeistes zum Wachsen gebracht und für die Welt genießbar gemacht ist;

als Brot, das sich von den Hungernden verzehren lasst.

 Ist das mein Himmelreich? Meine Kirche? Stehe ich da wirklich drin?


„Meister Eckhart über die mystische Schau“

 

Ihr sollt wissen, dass alles, was man in Worte fasst und den Leuten in Bildern vorlegt, nur eine Lockung ist zu Gott. Und dass wir Gott nicht finden, liegt daran, dass wir in Bildern und Gleichnissen stehen bleiben, da wir doch den suchen, der nicht Gleichnisse hat. Auch was die Schrift bieten kann sind Gleichnisse, Gott mehr ungleich als ihm gleich. Versinkt aber die Seele in die Gottheit, so verliert sie alles äußere Bild.

Oft hindern sich gute geistliche Leute damit in rechter Vollkommenheit, dass sie mit ihres Geistes Süße hängen bleiben an dem Bild der Menschheit unseres Herrn. Aber das Gezelt seiner Menschheit sollen wir anbeten allein um ihrer Einigung mit der Gottheit willen. Man soll seiner Menschheit nachjagen, bis man die Gottheit findet. Gott sollen seine Jünger folgen auf allen ihren Wegen.

 

In der lauteren freien Seele, da wird Gott geboren, indem er sich ihr offenbart in einer Weise, die ohne alle Weise, in einer Erleuchtung, die nicht mehr "Erleuchtung", sondern das göttliche Licht selber ist.

 

Da ist sie angelangt in ihrem ersten Ursprung, wo ihr von wonnevoller Einigung nie so wohl geschah. Wenn die Seele den Kuss der Liebe empfängt, so steht sie in vollendeter Schöne und Seligkeit. Da verstummen alle Sinne und hört man ohne Mittel und erkennt man ohne Bild. In dieser lauteren Erkenntnis erkennt die Seele Gott zumal, wie er einfach ist von Natur und dreifach in den Personen. Der Seele Willen und der Wille Gottes fließen ineinander und umschlingen sich in rechter Einigung. Es ist eine Berührung, ein Umfangen in innigster Einigkeit. Gott berührt die Seele nach seinem Wesen; er sieht die Kreatur an und gibt ihr sein Wesen, und sie sieht Gott an und empfängt ihr Wesen. Wo ich bin, da ist Gott, und wo Gott ist, da bin ich.