Erfüllte Zeit

22. 09. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg" (Matthäus 20, 1 - 16a)

Kommentar: Dr. Arnold Mettnitzer

 

Erich Fried "Was es ist"

 

"Was glauben Sie?" -
Die Philosophin Hanna Barbara Gerl-Falkovits

 

 

 

Dr. Arnold Mettnitzer

 

In Franz Kafkas Roman „Das Schloss“ wird ein köstlicher Traum erzählt vom jüngsten Tag, an dem die Gerechten zuschauen müssen, wie auch die Ungerechten in den Himmel eingelassen werden. Das aber treibt den Gerechten so sehr die Galle ins Gesicht, dass sie unwillig werden und beginnen, wüste Beschimpfungen gegen die anderen auszustoßen.

Der Traum endet damit, dass die Ungerechten im Himmel und die Gerechten ob ihrer Beschimpfungen in der Hölle landen…

 

Es ist von uns Menschen offenbar schwer auszuhalten, wenn wir Zeuge vom Glück des Anderen werden. Und instinktiv fragen wir uns, ob der andere sein Glück überhaupt verdient hat…

 

Ein Sprichwort sagt:

„Der Mensch hat zwei Feinde: Den Beneider und den Bewunderer.“

In beiden Fällen trennt uns ein tiefer Graben voneinander.

Zu große Bewunderung schafft einen zu großen Abstand.

Und nagender Neid eine zerstörende Nähe: Nichts lässt mein Auto so schnell alt werden wie die Tatsache, dass sich der Nachbar ein neues gekauft hat…

 

Wer rechnet, wie wir es gewöhnt sind, hat damit seine liebe Not und nie genug!

Liebe aber rechnet nicht, sondern gibt, was möglich ist.

Wer so beim Geben aufs Rechnen vergisst, verwirrt vielleicht seine Umgebung, aber er hat nie zuwenig, und es ist für alle mehr da, als sie zum Leben brauchen…

 

Dass es möglich ist, auch noch in der letzten Stunde dazuzustoßen, dass es offenbar nicht darauf ankommt, von früh bis spät zu schuften und das ein Leben lang, um sich den Himmel zu verdienen, das hat im Frühchristentum zu einer skurrilen Haltung und sehr menschlichen Mathematik geführt:

Viele liebäugelten mit dem Christentum, wollten sich aber nicht taufen lassen, weil sie befürchteten, durch die Art ihres Lebens die Taufgnade wieder zu verlieren. Lieber wollten sie wohltatenspendende Sympathisanten bleiben, die sich dann am Sterbebett taufen ließen und so sicher sein konnten, mit reiner Weste in den Himmel zu kommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat auch Kaiser Konstantin aus diesen Gründen erst kurz vor seinem Tod die Taufe empfangen.

 

Die himmlische Mathematik in der Geschichte von den Arbeitern im Weinberg ist eine unsere Gewohnheiten übersteigende „etwas andere Art zu rechnen“, es ist die Art, der Erich Fried ein eindrucksvolles Gedicht gewidmet hat:

 

 

Was es ist

 

Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

Sagt die Liebe

 

Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe