Erfüllte Zeit

29. 09. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg" (Matthäus 21, 28 - 32)

Kommentar: Abt Clemens Lashofer

 

Text von Nikolaus Cusanus

 

Abt Clemens Lashofer

Das Thema von zwei ungleichen Brüdern findet sich öfter in alter und neuerer Literatur. Im biblischen Zusammenhang denke ich dabei etwa an Kain und Abel, an Jakob und Esau im AT, an das Gleichnis vom barmherzigen Vater bei Lukas - gewöhnlich Gleichnis vom verlorenen Sohn genannt. Hier wird der in die Irre gegangene, aber nun heimkehrende Sohn dem älteren hartherzig bleibenden Sohn gegenübergestellt und vorgezogen.

Unabhängig von diesem literarischen Hinweis stellen wir fest, dass es sich bei dem Gleichnis von den ungleichen Söhnen um ein Sondergut des Matthäus, des ersten Evangeliums, handelt. Zu beachten ist nicht nur diese Einzigartigkeit, sondern auch die Stellung, die dieses Gleichnis im Verlauf des Evangeliums einnimmt. Es Steht an einer Stelle, an der die Auseinandersetzung Jesu mit den Führern des Volkes Israel sich zur Katastrophe zuspitzt. Es folgen bei Matthäus die großen Gerichtsgleichnisse von den bösen Winzern und dem großen Gastmahl, die eindeutig eschatologische Züge tragen.

 

Das Gleichnis von den zwei ungleichen Söhnen ist keine ausgeführte Geschichte, sondern besteht eigentlich nur in zwei Fragen: "Was meint ihr?“ (28) und “Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?" (31).

Zwei Söhne eines Vaters werden gegenübergestellt, wie bei dem bekannten Gleichnis bei Lukas. Beide Söhne werden aufgefordert, zur Arbeit in den Weinberg des Vaters zu gehen. Der erste erklärt sich bereit, geht aber dann doch nicht. Der zweite weigert sich zunächst, besinnt sich aber eines Besseren und geht zur Arbeit. Der Gegensatz von Reden und Tun, von Sprechen und Handeln, wird bloßgelegt: Es kommt darauf an, „den Willen des Vaters zu tun- (vgl. 31 a). Nicht die Worte entscheiden, sondern die Taten. Obgleich der zweite sich zunächst geweigert hat, hat er doch den Willen seines Vaters erfüllt.

Durch die zweite Frage wird die Hörerin/der Hörer dieses Textes darauf vorbereitet, dass die Bildrede ihm, mir, gilt, sie will auf mich bezogen werden. Nicht das Wort entscheidet, sondern die Tat. Bei Matthäus leuchtet in dem Bild des Vaters, das des himmlischen Vaters auf. Gott ruft die Menschen zum Dienst, wie es Matthäus kurz vorher mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg in das Evangelium einbaut (vgl. 20,1-16). Er erwartet, dass sein Wille wirklich getan wird: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr", wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt (7 ,21). Wer hört und nicht danach handelt, so lautet die Zusammenfassung der Bergpredigt, der baut sein Haus auf Sand. War dagegen nach den Worten des Herrn handelt, "ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute" (7,24).

Der Text geht noch um eine weitere Dimension tiefer. Er spricht vom Eintritt in das Gottesreich: "Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr" (31). Damit wird die Parabel nicht nur in die damalige zeitgeschichtliche, sondern in die heilsgeschichtliche Dimension gestellt. Indem Jesus zu seiner Zeit die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes anspricht und ihnen Personengruppen gegenüberstellt, denen in ihren Augen der Eintritt in Gottes Reich unmöglich war, werden wir aufgefordert, die Fragestellung nicht "in jener Zeit" stehen zu lassen. Die Fragen Jesu wollen, dass wir uns diese selbstkritisch stellen und stellen lassen, sie nicht auf andere anwenden, sondern letztlich auf mich Bezug nehmen lassen:

Wie steht es bei mir mit Worten und mit meinen Taten? Bilden diese ein Einheit oder klaffen sie nicht bisweilen auseinander? Wie steht es mit meinem Ja und mit meinem Nein? Das harte Urteil Jesu Ober die legitimen Vertreter der Religion seiner Zeit darf uns nicht abhalten uns mit den Gesetzestreuen damals zu identifizieren, denen die Abrechnung dieses Evangeliums gilt. Der Herr mutet mir zu, mich ständig in Frage stellen zu lassen, ob meine „Religiosiät“ womöglich nur eine schöne, bisweilen vielleicht sogar kitschige „Worthülse" ist, das Herz aber "weit weg ist.“ Solche kritische Fragen wollen mich ermutigen, den Widerspruch zwischen Wart und Tat zu korrigieren.

 

Nikolaus Cusanus

Gott ist der einzige absolut einfache Seinsgrund des gesamten Universums. Und wie durch unendliche Kreisbewegungen die Kugel entsteht, so ist Gott für alle Kreisbewegungen - gleichsam als die größte Kugel - das absolut einfache Maß. Alle Belebung, Bewegung und alles Erkennen ist aus ihm, in ihm und durch ihn. Bei ihm ist eine Umdrehung der achten Sphäre nicht kleiner als eine Umdrehung der unendlichen Sphäre, weil er Ziel aller Bewegung ist, in dem alle Bewegung als in ihrem Ziel zur Ruhe kommt. Er ist die größte Ruhe, in der alle Bewegung Ruhe ist. Die größte Ruhe aber ist das Maß aller Bewegung, ebenso wie die größte Geradheit das Maß aller Kreisumfänge und die größte Gegenwart, d. h. die Ewigkeit das Maß aller Zeiten ist.

In ihm kommen also alle natürlichen Bewegungen als in ihrem Ziel zur Ruhe, alle Möglichkeit vollendet sich in ihm als in der unendlichen Wirklichkeit, weil er die Seinsheit alles Seins ist, und weil alle Bewegung zum Sein geht, darum ist jener, der das Ziel der Bewegung, d. h. die Form und die Wirklichkeit des Seins ist, die Ruhe der Bewegung.