Erfüllte Zeit

06. 10. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Das Gleichnis von den bösen Winzern" (Matthäus 21, 33 - 44)

Kommentar: Bischof Dr. Alois Schwarz

 

Bruno der Kartäuser

In Kalabrien bewohne ich, von allen bewohnten Orten hinreichend entfernt, eine Einsiedelei, mit einigen Ordensbrüdern und einigen Gelehrten, die in Nachtwachen treu ausharren und auf die Rückkehr des Herrn warten, damit sie, wenn er anklopft, ihm sogleich öffnen können. – Wie soll ich die Schönheit dieses Ortes beschreiben, sein mildes und gesundes Klima, die liebliche, weite Ebene mit blühenden Wiesen und grünenden Weideflächen? Die ringsum sanft sich erhebenden Hügel, die schattigen Täler mit ihren zahlreichen Quellen und Bächen, die lieblich dahinfließen, wer kann das hinreichend schildern? Auch bewässerte Gärten und fruchtbare Obstpflanzungen fehlen nicht.

 

Welchen Gewinn und göttlichen Genuss die Einsamkeit und das Schweigen der Einöde denen bereiten, die sie lieben, wissen nur, die es verkostet haben. Denn hier können mutige Männer nach Wunsch sich sammeln und in ihrem Innern Einkehr halten, mit Fleiß die Tugendkeime hegen und sich selig an den Paradiesfrüchten laben.

 

Hier arbeitet man mühevoll, aber mit Muße, und rastet im Tun, aber mit Ruhe. Hier verleiht Gott seinen Streitern für die Kampfesmühen den willkommenen Lohn: den Frieden, den die Welt nicht kennt, und die Freude im Heiligen Geiste.

 

Geliebter! Was gedenkst Du zu tun? Doch nichts anderes, als der Eingebung Gottes zu folgen und der Wahrheit zu glauben, die nicht irren kann. Spricht doch die ewige Wahrheit: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und unter Lasten stöhnt! Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Ist es nicht vergebliche und unnötige Mühe, sich von Begierden treiben zu lassen; und von Sorgen und Ängsten, von Furcht und Schmerz um das begehrte Gut unablässig bedrängt zu werden? Und was ist niederdrückender, als das, was den Geist aus seinem erhabenen Gedankenflug in die Niederungen herabdrückt? Fliehe also, mein Bruder, all diese Plagen und all dies Elend, und versetze Dich von den Stürmen dieses Lebens in den sicheren, ruhigen Hafen.

 

Wer ist gut außer Gott? Und welches Gut gibt es als Gott allein? Die heilige Seele, die die unsagbare Schönheit, den Glanz und die Herrlichkeit dieses Gutes auch nur ein wenig verkostet, spricht von der Liebe entflammt: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?“

 

 

Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz

"Das Gleichnis von den bösen Winzern" (Matthäus 21, 33 - 44)

 

Der Weinberg wird gerettet, ist mein erster Gedanke beim Hören des heutigen Evangeliums. Er wird an andere Winzer verpachtet, die die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.

 

Irgendwer wird doch wieder gut weitermachen und der Weinberg wird seine Früchte bringen. Denn es heißt: „Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben, das die erwarteten Früchte bringt". Den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes wird das Reich Gottes weggenommen. Nicht dem ganzen altbundlichen Volk Gottes wird das Reich Gottes weggenommen, sondern denen, die Jesus ablehnen und es wird denen gegeben, die an Jesus glauben.

 

Viele christliche Gemeinden hören heute das Evangelium - der Weinberg wird nicht verworfen, er wird gerettet. Die christliche Gemeinde hat vielleicht auch nicht immer Früchte gebracht. Wie viele „saure Trauben" gibt es unseren Gemeinden? Wie oft holen sich die Menschen am Esoterikmarkt den Traubenzucker, weil es keine „süßen Trauben" in der christlichen Gemeinde gibt? Manchmal sagen sie dann: „Wir haben nichts zu Wege gebracht. Bei uns geht das christliche Leben zurück, bei uns wächst der Glaube nicht, wir weniger.“

 

Der Gutsbesitzer, von dem Jesus im heutigen Evangelium erzählt, tut alles, was ihm möglich ist, um dem Weinberg Fruchtbarkeit zu schenken. Auf einer fruchtbaren Höhe, in einem günstigen Winkel zu den Sonnenstrahlen, legte er den Weinberg an, „zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm“ für die Wächter, die zur Erntezeit die Trauben vor Vögel und Dieben schützen sollen.

 

Zur Erntezeit lässt er die Früchte holen. Er weiß um den Rhythmus von Wachsen und Reifen. Er weiß um die Geduld des „groß-werden-lassens" und dann erst schickt er seine Knechte um die Früchte zu holen.

 

Er schickt verschiedene Knechte und zuletzt seinen Sohn. Ob Jesus nicht damit seine eigene Geschichte erzählt, um sich selber zu sagen: „Der Weinberg wird gerettet." Das Wachstum des Reiches Gottes ist selbst durch die Tötung des Sohnes nicht aufzuhalten.

 

Und der Gemeinde des Matthäus wird deutlich: in der Zeit der Bedrängnis, in der Zeit der Verfolgung, in einer Zeit, in der die kleine Gemeinde Martyrium erlebt, wird die Gemeinde, die der Weinberg Gottes ist, gerettet.

 

Das Reich Gottes sucht seine Spur durch die Geschichte der Zeit. Spätestens wenn Jesus an das Lied vom Auferstehungstag erinnert. Habt ihr nie in der Schrift gelesen, fragt Jesus und zitiert das Osterlied aus dem Psalm: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder" und die Zuhören wissen, dass dieses Lied in der nächsten Zeile heißt: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, wir wollen jubeln und uns an ihm freuen" (Ps 118,24).

 

Spätestens jetzt, erfährt die Gemeinde nochmals dass durch den verworfenen und beiseite Gestellten, ein neues Richtmaß gegeben ist; ein Fundament für das endzeitliche Israel, ein neues Volk Gottes. Der Weinberg wird gerettet, der Verworfene wird zum Fundament. Gott sucht immer wieder in der verwirrenden Vielfalt der geschichtlichen Entwicklungen einen Ort, wo sich sein Wille und sein Plan zeigen und dort lässt er seine Geschichte weitergehen. Das Reich Gottes wächst wieder - und sei es woanders.