Erfüllte Zeit

13. 10. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

 

„Das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl“ (Matthäus 22, 1 – 14)

Kommentar: Helga Kohler-Spiegel

 

Wilhelm von Saint Thierry

 

"Was glauben Sie?" - 

Weihbischof Helmut Krätzl

 

Helmut Krätzl wurde am 23. Oktober 1931 in Wien geboren, studierte nach seiner Matura 1949 an der Universität Wien Theologie und wurde am 29. Juni 1954 in Wien von Kardinal Theodor Innitzer zum Priester geweiht.

 

Sein geistliches Wirken begann Krätzl als Kaplan in Baden bei Wien. Im September 1956 wurde er zum Zeremoniär des damals neuernannten Erzbischofs von Wien, Franz König, berufen. 1959 promovierte er an der Universität Wien zum Doktor der Theologie. Während des Konzils 1963 - 1965 arbeitete er als Stenograph an der Seite von Kardinal Franz König. An der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom erwarb er 1964 sein zweites Doktorat in Kirchenrecht. Im selben Jahr trat Krätzl sein Amt als Pfarrer in Laa an der Thaya an, das er bis 1969 innehatte.

 

Kardinal König bestellte Krätzl am 1. September 1969 zum Ordinariatskanzler der Erzdiözese Wien. In dieser Funktion, die er bis 1980 innehatte, bemühte sich Helmut Krätzl vor allem um eine "praxisorientierte Handhabung" der kirchenrechtlichen Vorschriften und um die Förderung einer erneuerten Sakramentenpastoral nach den Leitlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils.

 

Bei der Wiener Diözesansynode 1969/1971 ebnete Helmut Krätzl mit seinem Referat über die pastoralen Gremien den Weg für eine Verständigung zwischen jenen Synodalen, die eine totale Gremialisierung der Kirche befürchteten, und den Anhängern einer Demokratisierung auf allen Ebenen.

 

Kardinal König weihte Krätzl - dessen Wahlspruch "In der Kraft Gottes" lautet - gemeinsam mit Florian Kuntner am 20. November 1977 im Wiener Stephansdom zum Bischof. Von 1981 bis 1985 übte Bischof Krätzl die Funktion des Generalvikars der Erzdiözese Wien aus. Nach dem Rücktritt von Kardinal König als Erzbischof von Wien wurde Helmut Krätzl im September 1985 vom Wiener Domkapitel zum Diözesanadministrator der Erzdiözese Wien gewählt, eine Funktion, die er bis zum Amtsantritt des neuen Erzbischofs Hans Hermann Groer am 14. September 1986 innehatte.

 

Bischof Krätzl zählt nun schon seit vielen Jahren zu den angesehensten Repräsentanten der katholischen Kirche in Österreich. Sein Einsatz für die konsequente Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils, für eine den Menschen nachgehende Seelsorge, für ökumenische Verständigung, für den interreligiösen Dialog, für den Dienst der Kirche an der Gesellschaft von heute, für eine an echten Werten orientierte Bildung und Erziehung findet weit über den kirchlichen Bereich hinaus größte Beachtung.

 

Weithin geschätzt und vielfach beachtet sind aber auch seine offenen Worte über den Kurs der Kirche ("Im Sprung gehemmt. Was mir nach dem Konzil noch alles fehlt" und "Neue Freude an der Kirche", beide Bücher: Verlag Tyrolia).

Gestaltung: Johannes Kaup

 

 

Helga Kohler-Spiegel

Mt 22, 1-14

Matthäus und seine Gemeinde sind, so wissen wir, Judenchristen und haben sich selbstverständlich als Juden verstanden, die Abrechnung mit den Gegnern zieht sich über mehrere Kapitel, in Streitgesprächen, Gleichnissen und Weherufen. Der Ton ist scharf geworden, die Bilder sind dramatisch - es geht um alles oder nichts. Es ist nicht die Zeit der Kompromisse, sondern der Entscheidung. Und die Gleichnisse klingen wie Ermutigungen, die Kraft geben sollen, auch jetzt noch, im Angesicht der Bedrohung, keine falschen Kompromisse einzugehen, nicht plötzlich jetzt - aus Angst - zurückzuweichen, sich anzupassen, etwas gutzuheißen, was falsch ist... Jesus bleibt kompromisslos: "Mit dem Reich Gottes ist es wie...". Matthäus sagt "Reich der Himmel", genauer noch "Königtum der Himmel", denn für ihn als Juden ist der Name Gottes nicht aussprechbar, er ersetzt den Namen Gottes mit "Himmel".

Das Gleichnis erzählt: Ein König richtet für seinen Sohn die Hochzeit aus. Das Fest ist bereitet, aber - die gerufenen Gäste kommen nicht. Es ist unsinnig, wenn die Hochzeit ausgerichtet ist und die Gäste geladen sind, plötzlich doch andere Tätigkeiten vorzuziehen, dem Fest fernzubleiben und alltäglichen Dingen nachzugehen. Der Gastgeber scheint wohlhabend zu sein, allein deshalb war es in der Antike sozial wichtig, bei einem solchen Gastmahl dabei zu sein. Komisch. Noch wirklichkeitsfremder ist, dass die Boten der Einladung umgebracht werden, dass der Gastgeber mit einem Heer gegen die Mörder vorgeht, sie tötet und die Stadt in Schutt und Asche legt.

Nun denn, irgend etwas irritiert. Als Leserin oder Hörer dieses Textes bleibt ein beklommenes Gefühl. Ein reicher König richtet zum Hochzeitsmahl, mit ganz eigenartigen Begründungen bleiben die Geladenen fern, bis dann alles in Gewalt eskaliert. Vielleicht soll gerade dieses Abstruse uns berühren: So abstrus ist unser Verhalten, wenn wir vom Reich Gottes wissen, vom gemeinsamen Mahl aller Menschen - und fern bleiben. Wir hätten einen Platz am Tisch, wir sind gerufen und geladen - und bleiben fern, ja wir sind gewalttätig und zerstören gar......

Besonders in den ersten Versen des Gleichnisses ist immer wieder von "rufen, gerufen sein" die Rede. Prophetische Tradition klingt an, wenn es darum geht, den Ruf zu hören, den Ruf anzunehmen und danach zu handeln. Heute sagen wir beruflich in manchen Bereichen, der Ruf hat ihn ereilt, er hat einen Ruf nach sowieso bekommen, seine Aufgabe wurde ihm zur Berufung. Manchmal aber ruft auch etwas in uns, wir spüren den Ruf von innen; eine Aufgabe, eine Entscheidung oder eine Veränderung steht an. Etwas ruft in mir, ich kann nicht mehr weghören, ich muss mich dem stellen, auch wenn es mir mühsam und schmerzvoll ist. Ich denke an eine Frau Mitte Vierzig, sie beschreibt sich als kraftlos und müde und leer, und allmählich zeigt sich, dass diese Leere ein dramatischer Ruf des Körpers ist, in ihrem Leben etwas zu verändern. Die Beziehung zum Partner war längst reduziert auf die Vorteile des Lebens in einer gemeinsamen Wohnung, und doch spürte sie an jedem Abend, an dem sie ohne freundliches Wort zu Bett ging, ganz zu innerst die Traurigkeit und das Alleinsein. Sich arrangieren funktionierte nicht wirklich. Und über ihren Körper rief etwas, sie musste den Ruf hören, wenn sie nicht wollte, dass ihr das Leben durch die Finger glitt. Und vielleicht stimmt es wirklich: für die zu satten und zu beschäftigten Menschen ist es schwieriger, diesen Ruf nicht zu überhören - im eigenen Körper, im eigenen Leben, in unseren Beziehungen, in unserem Glauben. Die Zeit ist reif - "jetzt" findet die Hochzeit statt, jetzt höre ich den Ruf. Die Bibel verbindet dieses Gerufensein mit Gott. Damals wie heute - uns hat ein Ruf ereilt, es liegt an uns, die Antwort darauf zu finden. Im Verlauf des Textes werden aus den Gerufenen Berufene, die aber noch nicht Auserwählte sind. Dem auserwählten Volk zu sagen, nicht auserwählt zu sein, war damals eine Provokation und ist es bis heute. Eine Garantie für Erwählung, für Glück und für Heil - schön wär's.

 

Immer wieder spricht Jesus vom Himmelreich als von einem Hochzeitsmahl, einem Gastmahl. Es ist nicht egal, in welcher Gesellschaft wir essen. Es gibt diese Mahlzeiten, bei denen alle am Tisch verbissen schweigen, bei denen man kaum einen Bissen essen mag, weil er im Halse stecken bleibt. Oder es gibt Mahlzeiten, bei denen jemand vom Tisch gewiesen wird, wie das Kindern öfters passiert, ein falsches, vielleicht ein freches Wort, und es hieß - Du hast keinen Platz mehr am Tisch, geh in dein Zimmer. Oder die Mahlzeiten, in Trauer, nach Trennungen, im Alleinsein, bei denen wir vom Tränenschlucken satt werden. Aber es gibt auch die Hochzeitsmähler: Gemeinsam und fröhlich, neben mir Menschen, die mich sehen, die mir die Schüssel reichen, wo ich ganz selbstverständlich meinen Platz habe. Oder abends, nach einem mühsamen Tag, ein Anruf, der heißt, komm doch noch, bei uns hast du einen Platz, du bist geladen, das Essen ist noch warm, am Tisch mit Freunden.

 

Hier im Gleichnis scheint es um die Chance zu gehen, die uns zugemutet ist: Wir sind gerufen, wir sind eingeladen. Es liegt an uns, am Tisch Platz zu nehmen, uns einzulassen. Und wir sagen: Leider - keine Zeit. Wenn Jesus gekommen ist, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben, dann heißt dieses Nein - nein, kein Leben in Fülle, ich leide vor mich hin, ich werde nicht aus meinem Alltag aussteigen, ich lebe weiter wie bisher, Arbeit und Kaufen und Verkaufen und irgendwann sterben - ist auch schon egal. Umgekehrt, wenn ich Matthäus recht verstehe, betont er auch: Du bist zum Leben in Fülle geladen - ein Hochzeitsmahl. Es liegt an dir, ob du deinen Alltag unterbrichst und Platz nimmst.

Nur: Das Gleichnis endet dramatisch, mit Gewalt und Verzweiflung. Die Entscheidung ist dramatisch - leben oder nicht. Es gibt kein Verstecken mehr, es gibt kein Verkleiden, es gibt nur die Entscheidung - ja oder nein, den Ruf hören oder nicht. Alle sind eingeladen, alle können Platz nehmen. Aber das Gleichnis erinnert die Gemeinde auch: Auch wer der Einladung gefolgt ist und Platz genommen hat, gehört deswegen nicht einfach zu den Guten, sondern alle sind gut und böse, alle. Das Gleichnis zeigt, wie sich Menschen zu oder gegen Jesus positionieren. Es lässt aber die Entscheidung offen. Noch ist offen, wer sich bewähren wird, noch ist offen, wer den Ruf Gottes hört. Sicher ist nur, dass nicht wir Menschen entscheiden, wer Platz hat am Tisch. Dieses Urteil steht uns nicht zu. Denn: Gerufen sind alle. Die Einladung bleibt bestehen - für immer, auch für uns. Gott sei Dank.

 

 

Wilhelm von Saint Thierry,

12. Jahrhundert

Wenn zwei sich zärtlich küssen, hauchen sie sich gegenseitig ihren Atem ein. Das ist wie ein Duft, von dem sie sich wunderbar durchdrungen fühlen.

Nimm, Herr, den Atem meiner Seele ganz in Dich auf. Wende Dich nicht von ihm ab. Ich hauche ihn ganz in dich ein, mag er auch unangenehm riechen. Und Du hauche deinen Atem ganz in mich ein – er duftet ja ganz nach Dir -, damit mein Atem von Deinem Wohlgeruch erfüllt wird.

Du sagst zur Seele, die sich nach dir sehnt: „Mach deinen Mund weit auf, und ich werde in füllen“ (Ps 80, 11), und die Seele wird beim Verkosten und Schauen Deiner zärtlichen Liebe im großen und unfasslichen Sakrament des Gedächtnisses deiner Taten in das verwandelt, was sie isst: sie wird Bein von Deinem Bein und Fleisch von Deinem Fleisch (vgl. Gen 2, 23).