Erfüllte Zeit

20. 10. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Frage nach der kaiserlichen Steuer" (Matthäus 22, 15 - 21)

Kommentar: Helga Kohler-Spiegel

 

Text von Hugo M. Enomiya-Lassalle

 

 

Helga Kohler-Spiegel

 

Es gibt einen zeitgeschichtlichen Hintergrund zu dieser Stelle. Zur Zeit Jesu war der Zensus, die römische Kopf- und Grundsteuer, auch in Judäa und Samaria eingeführt. Die jüdischen Frommen, vor allem die Zeloten, sahen in der Steuerzahlung einen Verrat an Gott. Der römische Silber-Denar trug damals ein Bild des Kaisers Tiberius (14-37 n. Chr.) und - auf der anderen Seite - die Aufschrift: "Tiberius, Caesar, des göttlichen Augustus Sohn, Augustus".

Die Szene ist kurz und eindrücklich. Die Pharisäer, zusammen mit den Herodianern - beide haben sich mit der römischen Besatzungsmacht arrangiert - wollen Jesus eine Falle stellen. Wörtlich heißt es: "ihm mit einem Wort eine Schlinge legen", jede Antwort ist gefährlich und kann Jesus den Kopf kosten. Sie nennen Jesus "Lehrer", er nennt sie "Blender". Sie kommen in äußerlich freundlichem Tonfall, die wertschätzenden einleitenden Worte an Jesus klingen übertrieben. Jesu Wahrhaftigkeit steht in Widerspruch zur falschen Absicht, die verdeckt in der Frage des gewohnten Lehrgespräches artikuliert wird: Ist es erlaubt....? Beim Lehrgespräch ist die Tora der Maßstab für die Bewertung der Frage. Dann aber - die Antwort Jesu verändert die Frage. Es scheint nicht mehr darum zu gehen, was des Kaisers ist, sondern was Gottes ist. Gebt ihr Gott, was Gott gehört! Unter dem Anspruch Jesu, dass die Botschaft vom Reich Gottes alles umfasst, bleibt die Frage schockierend: Gebt ihr Gott, was Gott gehört?

Es ist aber auch ein ironischer Tonfall in dieser Perikope. Die Pharisäer fragen den armen Wanderprediger nach dem Steuernzahlen. Er selbst hat gar keine Münze, die Frage nach dem Zeigen der Steuermünze deckt die Fragenden auf, sie haben solche Münzen bei sich, sie haben sich arrangiert, für sie ist die Frage, die sie stellen, schon mit Ja beantwortet. Und fast klingt es so, als wäre Jesus das ganze Thema ziemlich egal: Er lässt sich die Münze zeigen, fragt, was drauf ist, und sagt, als hätte alles nichts mit ihm zu tun: Dann gebt es auch ihm, wenn sein Bild drauf ist. Ironisch empfiehlt Jesus den Pharisäern, das zu tun, was sie sowieso schon tun. Dann aber fügt Jesus einen nicht-gefragten Aspekt hinzu: "Gebt Gott das Gottes."

Bei der heutigen Stelle geht es - denke ich - nicht zuerst um die Frage nach den Steuern und dem Verhältnis zum Staat, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung Jesu mit den herrschenden Gruppen, und darum, dass sie Jesus aus dem Weg schaffen wollten und dass ihnen das nicht gelungen ist. Ja mehr noch - dass Jesus sie vorführt, in ihrer Anpassung an die Welt und an die Besatzungsmacht, dass er ihre bösen Absichten aufgedeckt und nicht mitspielt bei den geheuchelt freundlichen Worten. Jesus führt vor, wie er verdeckte Kommunikation durchschaut und zuspitzen kann, wie er unerwartet reagiert. Er steigt nicht ein auf Ärger und Kränkung, sondern findet eine Reaktion, die die Szene verändert. Immer wieder verblüfft Jesus mit solchem Verhalten.

 

Lange Jahrhunderte wurde diese Bibelstelle als Antwort auf die Frage verstanden, wie sich Christinnen und Christen dem Staat gegenüber verhalten sollen. In der frühen Kirche finden wir die Meinung, dass der Gehorsam gegenüber Gott den Gehorsam dem Staat gegenüber weit übersteigt. Seit der Neuzeit, wird Weltliches und Geistliches auf dem Hintergrund dieser Bibelstelle getrennt. In der reformierten Tradition ist der Text wichtig, in der Zwei-Reiche-Lehre wurde lange der Gehorsam gegenüber dem Staat mit diesem Bibeltext verbunden. Doch - wie gesagt - das scheint nicht der Kern der Perikope zu sein.

 

Jesus kommt uns hier mit einem - ich denke - viel radikaleren Aspekt entgegen: Ihr könnt dem Cäsar Geld geben, aber vergesst nicht: Gott ist der Herr. Es gibt also keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen "was des Kaisers ist und was Gottes ist". Denn den Fragern stellt sich die Frage, ob sie das, was Gottes ist, auch Gott geben - nämlich alles. Gott ist Schöpfer, alles kommt und geht in Gottes Hand. Also - was sollen solche faulen Kompromisse, als könnten wir die Welt teilen in weltlich und geistlich, in wochentags und sonntags, in Arbeitswelt und Familie. Hier Ausbeutung, da christliche Nächstenliebe, hier fromme Rede, da Unterdrückung und Gewalt. Das Wort Jesu erinnert an prophetische Worte, die keinen Zweifel daran lassen: Es geht nicht an, uns selbst zu spalten, entweder wir wenden uns Gott zu, dann versuchen wir in allen Situationen nach seinem Wort zu handeln. Oder nochmals anders gesagt: Ich kann nicht Jesus im Gebet nachfolgen, in meinen Taten aber nicht. "Gebt Gott, was Gottes ist: Alles. Richtet euch an Gott aus, handelt wie Jesus, bringt den Gefangenen Befreiung, den Hungernden Brot, den Kranken Heilung, vergebt, wo das Wort Vergebung schon lächerlich und zynisch klingt... Gib dich ganz Gott, richte dich an Gottes Wort aus, immer wieder neu. Dann bist du nicht in Gefahr, die Welt zu spalten, hier weltlich - da geistlich-religiös, hier wochentags, da sonntags.

Und wohl nicht zufällig - der Abschnitt insgesamt endet mit der Frage nach dem größten Gebot: Gott zu lieben aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft und den Nächsten sowie mich selbst - darin ist die ganze Tora zusammengefasst. Damit ist alles ausgesagt, daran ist alles zu messen.

 

 

Hugo M. Enomiya-Lassalle

 

Absolutheitsanspruch des Christentums - nein, Absolutheitsanspruch in Bezug auf Christus - ja. Ich muss zugeben, dass ich den Sinn des ersten Anspruchs nicht ganz verstehe. Doch geht es wohl um die Frage, ob alles richtig ist, was etwa die traditionelle Theologie der Kirche lehrt. Dieser Sinn von Absolutheit ist nicht zu halten; soweit er je vertreten wurde, sind wir darüber hinaus. Theologie ist nicht Offenbarung. Das Christentum gründet auf der Offenbarung, und das ist der große Unterschied zu den anderen Religionen. Genauer gesprochen, handelt es sich nicht um den Unterschied, dass unser Christentum auf der Offenbarung durch Christus beruhe, der Buddhismus hingegen auf der Offenbarung Buddhas. Keineswegs. Beim Buddhismus und beim Hinduismus kommt alles auf die persönliche Erfahrung an; Glaube reicht dafür nicht aus. Das ist eine ganz andere Einschätzung des Glaubens als im Christentum, das alles auf den Glauben an die Offenbarung gründet.

Ein Zen-Meister drückte sich folgendermaßen aus: Da Sie Ihren Christus nicht aufgeben können, müssen Sie selbstverständlich eine christliche Erleuchtung bekommen, genau so wie ich, der ich meinen Buddhismus nicht aufgeben kann, eine buddhistische Erleuchtung (Satori) bekommen muss. Weil es sich also um verschiedene Auslegungen desselben Grunderlebnisses handelt, kann man sogar sagen, dass die christliche präsentia Dei in der Erfahrung des Buddhisten verborgen enthalten ist. Der Christ aber entfaltet die Seinserfahrung als solche bis zur Erfahrung der letzten Ursache des Seins hin. Letztlich müssen sich die Denkungsweisen von Ost und West gegenseitig ergänzen. Im Westen herrscht mehr das Bewusste, im Osten mehr das Unbewusste vor. Beide Bereiche sind zu integrieren, damit eine volle Persönlichkeit entsteht.

Das Satori-Erlebnis kann auch christlich geprägt sein; dann geht es auf die ganze Erfahrung des Seins bis zur Begegnung mit Gott hin. Im Zentrum dieser Erfahrung steht nicht das passive Verschlungensein von einem Erlebnis, sondern der aktive, wagemutige und entscheidende Einsatz der Selbstverwirklichung.