Erfüllte Zeit

27. 10. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Frage nach dem wichtigsten Gebot" (Matthäus 22, 34 - 40)

Kommentar: Propst Maximilian Fürnsinn

 

Ein Text von Hesychios der Sinaite

 

"Das jüdische Museum der Stadt Wien"

Ein Beitrag von Maria Harmer

 

 

 

Propst Maximilian Fürnsinn

Kein Wort ist missverständlicher als das Wort „Liebe“. Es sagt alles und nichts. Die Bandbreite menschlicher Erfahrungen mit Liebe ist groß.

Ist Liebe so eine Art „Weichspüler“ fürs Leben?

Ist sie eine Art „Verschnulzung“ harter Realität?

Ist sie eine Love-story-ähnliche Attitüde

Und kann man mit Liebe nicht alles rechtfertigen?

Wenn etwa zwei junge Leute ohne Trauschein zusammenleben – aber sich ständig damit rechtfertigen, dass sie sich ohnehin lieben. „Liebe“ als Freibrief. Der hl. Augustinus hat dazu ungewollt ein Wort geprägt, das Liebe für alles herhalten lässt. Nämlich den oft missverstandenen Satz: „Liebe und tu, was du willst!“ – Mit dem Wort „Liebe muss man sehr sorgfältig umgehen.

 

Jesus hat die Liebe als die Lebensgrundlage schlechthin gesehen und das Doppelgebot der Liebe – die Gottesliebe und die Nächstenliebe – zum Zentrum des Christentums gemacht. Daran hängt alles, was Gott von den Menschen und für die Menschen will – „das ganze Gesetz samt den Propheten“, sagt ER. Alle Gebote und Gesetze des religiösen, des gemeinschaftlichen, des zwischenmenschlichen und des persönlichen Lebens haben Liebe als Mitte und Zentrum. Die Liebe ist das, was Gott schenkt. Sie öffnet das Herz. Sie schafft die anderen Gebote nicht ab, sondern erfüllt sie. Liebe und Gesetz sind deshalb für Jesus kein Widerspruch. 

 

In dieser Auffassung über Liebe unterscheiden sich Christen und Juden nicht. Deshalb ist das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe für Christen und Juden gleich. Es kommt von dem einen Gott der Christen und Juden, der Liebe und Freiheit schenkt.

Um es nochmals pointiert zu sagen: Jesu Gesetz ist die Liebe! Die eigentliche Dynamik des Lebens, des Zusammenlebens und der Gottesbeziehung ist die Liebe.

Wer nun die Liebe zum Zentrum des Lebens macht, hat bereits eine religiöse Vorentscheidung getroffen. Denn Liebe ist nicht teilbar: nicht die Liebe zu mir selbst, zum Nächsten und zu Gott. In der Liebe berühren wir das alles und immer alles zugleich. In der Liebe ist der Mensch nicht ohne Gott und Gott nicht ohne die Menschen.

 

Das klammern wir heute vielfach aus. Denken Sie nur an den Bereich der Ethik. Viele meinen heute eine Ethik ohne Liebe schaffen zu können - nur auf Vernunft und Einsicht aufgebaut. Diese Vernunftethik schließt den Bezug auf Liebe - und damit auf Gott - aus. Da wird dann z.B. in der Genforschung alles bloß zum Material. Denn wer nicht liebt, wer nur vernünftig ist, sieht den Menschen nicht, er sieht nur Etwas aber nicht das Du. – Wer nur nach der Vernunft eine Wirtschaftsordnung schafft, der wird an „kalten Zielen“ festhalten - am Kapital, am Profit, am Erfolg - aber den Menschen nicht sehen. Er sieht nur Etwas, nicht das Du.

Die Vernunft allein reicht für Ethik nicht aus. Es braucht Liebe und die schließt Gott ein.

Diesen Zusammenhang von Gott und Liebe möchte ich nochmals vertiefen. Denn Gott ist die Liebe. Liebe ist kein neutrales Schmiermittel unseres Lebens, sondern die Kraft, Macht und Dynamik, die Gott uns in der Begegnung mit IHM schenkt. Unsere Liebe haben wir aus Gott.

Ich erwähne in diesem Zusammenhang ein paar eindeutige Bibel- und Jesusworte: Etwa:

„Gott hat uns zuerst geliebt ....“, oder: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“, oder: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“

Durch solche Worte wird Liebe im Sinne Christi präzisiert: Den Nächsten lieben heißt, das weitergeben, was man selbst an Liebe von Gott erfahren hat. Das ist letztlich die Liebe.

 

So versteht auch das Judentum Liebe. Es besitzt als Maßstab im Zusammenleben jene Liebe und Freiheit, die es von Gott beim Exodus aus der Knechtschaft Ägyptens erfahren hat. Dieses göttliche Geschenk der Befreiung, der Erwählung und der Liebe – ist das Maß der Liebe für die Gestaltung des Zusammenlebens im Judentum geworden: Miteinander so, wie Gott zu uns!

 

Unser christlicher Maßstab für Liebe ist die Liebe des gekreuzigten Christus, durch den der Vater uns alles schenkt – maßlose Liebe ohne Grenzen – Liebe, die bis zum äußersten geht. Das ist unser Exodus, unsere Befreiung. Die Liebe des auferstandenen Christus ist die Liebe, die wir einander schenken dürfen: Miteinander so, wie Gott durch Christus zu uns.

 

 

"Das jüdische Museum der Stadt Wien"

In Wien wurde vor mehr als 100 Jahren, 1895, das erste jüdische Museum der Welt gegründet. Im Jahr 1938 wurde es von den Nationalsozialisten geschossen, das Inventar beschlagnahmt.

„Erinnerung ist das Schlüsselwort, das Vergangenheit und Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verbindet“, sagte Elie Wiesel einmal.

Seit 9 Jahren haben Österreicher und Touristen wieder die Möglichkeit, jüdische Kultur und Tradition museumsdidaktisch aufbereitet kennen zu lernen und sich mit der Geschichte und dem Schicksal der Wiener Juden auseinander zu setzen.

Gestaltung: Maria Harmer

 

Palais Eskeles

Dorotheergasse 1, 1010 Wien

Tel. 01 / 535 04 31

Fax: 01 / 535 04 24

e-mail: info@jmw.at

 

Öffnungszeiten:

So - Fr: 10 - 18 Uhr

Do: 10 - 20 Uhr

Ständige Sammlung:

Jüdisches Leben und Religion – Vom Brautgürtel bis zum Toramantel

Jüdisches Wien – eine Annäherung in 21 Hologrammen

Schaudepot – Von der blühenden Gemeinde bis zur Zerstörung Museumsarchiv – Von der Heiratsurkunde bis zum Tagebuch

Bookshop Singer

Café Teitelbaum

Aktuelle Wechselausstellung:

Musik und Dichtung

Handschriften der Sammlungen Stefan Zweig und Martin Bodmer

23.10.2002 – 6.1.2003

 

Bibliothek:

Seitenstettengasse 4

1010 Wien

Öffnungszeiten: Mo – Do: 10 - 16 Uhr

 

KINDERPROGRAMM

Führungen von Schulklassen u. pädagogische Programme

Tel. 01 / 535 04 31 DW 311 oder 312

e-mail: kids.school@jmw.at

 

Angebote (Auswahl):

Feste feiern, wie sie fallen

Jüdischer Alltag und Feste im Lebenslauf

Tagebuch und Wienerlied

Kladovo – eine Flucht nach Palästina

Veranstaltungen für Kinder

 

 

Ein Text von Hesychios der Sinaite

8. oder 9. Jahrhundert

Wir sollten möglichst immer an den Tod denken; denn so werden wir frei von allen Sorgen und Eitelkeiten; die Wachsamkeit des Geistes, das beharrliche Gebet, Loslösung vom Leibe und Hass auf die Sünde werden dann möglich. So ist das Gedenken an den Tod der Ursprung fast aller Tugenden. Daher sollten wir es möglichst so gebrauchen wie unser Atmen.

Wenn das Herz ganz von allen täuschenden Bildern befreit ist, dann erzeugt es göttliche, geheimnisvolle Vorstellungen, die sich in ihm tummeln, wie Fische und Delphine im ruhigen Meer springen. Das Meer wird vom sanften Wind angeweht, die Tiefe des Herzens aber vom Heiligen Geist. Es steht geschrieben; „Weil ihr nun aber tatsächlich Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz gesandt, der da ruft: Abba Vater!“