Erfüllte Zeit

01. 11. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Rede von der wahren Gerechtigkeit" (Matthäus 23, 1 - 12)

Kommentar: Gustav Schörghofer SJ

 

 

Ein Text von Makarios

 

 

Gustav Schörghofer SJ

Aus meiner Kindheit ist mir ein Bild in Erinnerung geblieben, einem Traum gleich:

 

Es ist, als ginge ich durch ein Tal im Gebirge. So weit, bis schließlich die Felswände sich ganz um mich geschlossen haben. An den Rückweg ist nicht zu denken und vor mir macht eine unzugängliche Wand jedes Weiterkommen unmöglich. Ich bin mit mir allein, ausweglos. Da zeigt sich verborgen im Gebüsch am Fuß des Felsens ein Tor, wie die Öffnung einer Höhle. Ich gehe ins Dunkel, taste mich vor. Und nach kurzem gelange ich ins Freie. Ich stehe in einem Garten. Alles blüht, alles singt.

 

Am Ende der Seligpreisungen stehen Freude und Jubel. Sie zeigen den Weg dorthin. Es ist kein Weg, der aus der Welt hinausführt, in ein körperloses Jenseits des Geistes. Die Seligpreisungen führen mich in die Welt hinein. Sie führen mich in die Tiefe meiner Existenz. Wo an einen Rückweg nicht mehr zu denken ist. Wo jedes Weiterkommen unmöglich ist und ich ganz auf mich selbst geworfen bin. Dort zeigen mir die Seligpreisungen, diese acht Aufrufe und Zurufe, einen Weg.

 

Sie sind in eine Erfahrung der Machtlosigkeit hinein gesprochen. Wo alle Güter verloren sind. Wo wir alles verloren haben, was dem Leben einen äußeren und auch einen inneren Halt gibt. Wo wir arm geworden sind. Es gibt diese Situationen. Jeder erfährt sie. Und im Grund begleiten sie uns ständig. Im Grunde begleitet uns auch die Erfahrung tiefer Traurigkeit. Es genügt schon die Zeitung aufzuschlagen, um zu wissen, dass Wohlgelauntheit und Lachen der Erfolgreichen den Gegebenheiten der Welt nicht entsprechen. Wir wissen ja um die Not der Menschen, wir sehen das Elend so vieler, wir erfahren die Machtlosigkeit der Guten. Und es ist uns mehr zum Weinen als zum Lachen zumute, wenn wir nur den Mut haben, uns auf diese Welt einzulassen. In der Tiefe unserer Existenz, dort, wo die laute Selbstsicherheit der Mächtigen längst verhallt ist, begegnen wir auch den Sanften, den Demütigen, den Freundlichen. Sie waren immer da, wurden nur nicht wahrgenommen von uns. Nun helfen sie uns, den Demütigen, Sanften, Freundlichen in uns selber entdecken. Wo die überlegene Gewissheit derer, die die Dinge schon in Ordnung bringen, ein Ende hat, dort begegnen wir auch denen, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Sie helfen uns, diesen Hunger und Durst in uns selber zu entdecken. Und weil wir wissen, dass wir bei allem Mühen Gerechtigkeit nicht aus uns schaffen können, wissen wir uns ganz der Gnade anvertraut. Der Gnade, die eine Bürde ist, die uns in die Verantwortung für andere ruft.

 

„Ich meine die GNADENBÜRDE als Brücke zu deinen Brüdern.“ Dieser Satz von Friederike Mayröcker ist mir hier in den Sinn gekommen.

 

In der Tiefe unserer Existenz, dort, wo diese vier ersten Zurufe der Seligpreisungen uns hingeführt haben, erahnen wir bereits, was diese Gnadenbürde vermag. Sie weist uns den Reichtum der Nähe Gottes in all unserer Armut, sie ist uns Trost in der Trauer, sie eröffnet weiten Raum gerade dort, wo Machtwillkür und Gewalttätigkeit uns in die Enge treiben, sie schenkt uns Fülle mitten in aller Not und Bedrängnis.

 

Vier weitere Zurufe der Seligpreisungen gelten den Barmherzigen, denen, die ein reines Herz haben, den Friedensstiftern und den Verfolgten. Auch sie führen in die Tiefe, drücken mich hinein in den Grund meines Herzens. Erst der Barmherzige weiß, dass sein Leben ganz der Barmherzigkeit anderer anvertraut ist. Wer mit sich und seinem Gott im reinen ist, erst der sieht den ungeheuren Abstand zwischen Gott und Mensch. Wer mit aller Kraft und Phantasie dem Frieden Raum zu schaffen sucht, der weiß, wie wenig er vermag ohne das Entgegenkommen eines anderen. Und wer sich der Willkür anderer, der Verfolgung ausgeliefert weiß, dem kann sich inmitten aller Unsicherheit eine andere Heimat zu erkennen geben. Ich muss auf den Grund meines Herzens kommen, um zu ahnen was das ist, die Gnade. Ich muss mich in die Tiefe meiner Existenz führen lassen, um einen Weg zu finden, der mich über mich und die Möglichkeiten meiner Welt hinausführt. „Ich meine die GNADENBÜRDE als Brücke zu meinen Brüdern.“

 

Die Seligpreisungen bürden mir etwas auf. Sie zeigen mir die Gnade, die Brücke zu meinen Brüdern, zu meinen Schwestern. Sie zeigen mir, dass ich nicht alleine ankommen kann bei meinem Gott. Sondern nur gemeinsam mit ihnen, meinen Brüdern und Schwestern, gemeinsam mit all den anderen.

 

Vom Religionsunterricht meiner Schulzeit ist mir kaum etwas in Erinnerung geblieben. Doch einige Erzählungen aus dem Alten Testament sind mir seit damals vertraut. Und die Seligpreisungen. Unser Lehrer hat darauf bestanden, dass wir sie auswendig lernen. Manchmal vergesse ich sie. Dann tauchen sie wieder auf. Sie sind für mich Zurufe, die mich auf die Probe stellen. Wage ich ihnen zu folgen? Ich habe entdeckt, dass sie mich nicht von mir wegführen. Sie führen mich hinein in die Mitte meines Lebens. Sie führen mich dorthin, wo mein Leben das Leben der anderen berührt. „Unser Herz ist tief. Aber wenn wir nicht hineingedrückt werden, gehen wir nie bis auf den Grund. Und doch, man muss auf dem Grund gewesen sein, darum handelt sich’s.“ Mit diesen Worten hat Axel Corti die letzte Aufnahme seiner Sendereihe „Der Schalldämpfer“ beendet, kurz vor seinem Tod.

 

Wie weit ich mich auch im Getriebe des Alltags von mir selbst entferne, ich kann immer wieder zu mir selbst zurückkehren. Die Seligpreisungen zeigen einen Weg. Ich muss mich nur bei der Hand nehmen lassen. Sie führen mich in die Tiefe meiner Existenz und zeigen den Zugang zu einem weiten Land. Wo ich mich selbst finde, in Gemeinschaft mit all den anderen: mit denen, die mir lieb sind – und auch mit denen, die mir nicht lieb sind.     

 

 

Ein Text von Makarios

 

All dies Wirken des Heiligen Geistes entspricht einer hohen, der Vollkommenheit sehr nahen Stufe. Denn die mannigfaltigen Tröstungen der Gnade wirken durch den heiligen Geist in solchen Menschen unterschiedlich, aber unaufhörlich, indem eine geistliche Wirkkraft auf eine andere folgt. Wenn jemand zur geistlichen Vollkommenheit gelangt, von allen Leidenschaften gänzlich gereinigt, mit dem Heiligen Geist, dem Tröster, in unbeschreiblicher Verbindung geeint und vermischt ist, und die Seele durch die Einung mit dem Heiligen Geist selbst geistlich werden darf, - dann wird dieser Mensch ganz Licht, ganz Freud, ganz Ruhe, ganz Jubel, ganz Liebe, ganz Erbarmen, ganz Güte und Freundlichkeit. Er ist von den Vollkommenheiten der Kraft des Heiligen Geistes gleichsam verschlungen worden, wie ein Stein in den Meerestiefen rings von Wasser umgeben ist. So mit dem Heiligen Geist völlig verbunden, werden solche Menschen Christus selbst ähnlich. Sie tragen in sich die unveränderlichen Vollkommenheiten des Heiligen Geistes und offenbaren allen seine Früchte. Da sie durch den Heiligen Geist innerlich unbefleckt und herzensrein gemacht worden sind, können sie äußerlich nicht die Früchte des Bösen hervorbringen; immer und in allem werden die Früchte des Heiligen Geistes an ihnen aufscheinen. Dies ist das Fortschreiten zur geistlichen Vollkommenheit, zur Fülle Christi, die zu erreichen uns der Apostel ermahnt, wenn er sagt: „auf dass ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Christi hin“ (vgl. Eph 3,19) und auch: „bis wir hingelangen zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß der Fülle Christi“ (Eph 4,13). (90)