Erfüllte Zeit

10. 11. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen" (Matthäus 25, 1 - 13)

Kommentar: Regina Polak

 

 

Hesychios der Sinait

 

 

Regina Polak

Ich verschlafe das Leben, es läuft an mir vorbei. Ich verpasse die entscheidenden Augenblicke und verliere mich stattdessen in Nebensächlichkeiten. Ich treffe die falschen Entscheidungen, obwohl ich genau weiß, was zu tun wäre. Ich glaube an Gott, habe aber kaum Zeit, mich mit ihm zu beschäftigen.

Alle diese unangenehmen Erfahrungen aktivieren diese Parabel. Wer wird daran gern erinnert? Kein Wunder, das auch diese Erzählung zunächst eher Irritation und Angst auslöst, als dass man die frohe Botschaft heraushörte.

Dazu kommt noch, dass die Parabel von den klugen und den dummen Jungfrauen eine Dimension des christlichen Glaubens anspricht, die viele Christen und Christ/innen heute vergessen haben und vielleicht auch allzu gern vergessen: Der Glaube, dass wir irgendwann in einer unbestimmten Zukunft unmittelbar vor dem Antlitz Gottes stehen, mit allem, was wir getan und nicht getan haben, mit allem, was und wer wir sind. Mit den Augen der Liebe und der Hoffnung könnte das eigentlich Grund zur Freude sein. Die angstvolle Reaktion lässt aber eher darauf schließen, dass da etwas in unserem Gottesverhältnis vielleicht doch nicht so ganz stimmt.

Das ist nun nicht in erster Linie moralisch gemeint: so als müssten wir uns jetzt total anstrengen, ein moralisch perfektes Leben zu führen und hinge alles von unserer Perfektion ab, sich der Gottesliebe als würdig zu erweisen. Solches moralische Verhalten ist eine Folge dessen, worum es in der Erzählung allem voran geht: Sich für Gott zu entscheiden. Eine Lebensform zu wählen, die auf Gott setzt, seine Gegenwart und Wirksamkeit hier und heute wahr- und annimmt, was weniger angestrengte Eigenmächtigkeit und tatkräftige Entschlüsse bedeutet, als vielmehr sich von Gott finden und lieben zu lassen, sich auf Gott einzulassen.

Solche Wahl kann nicht durch noch so korrektes Leben ersetzt werden. Solche Wahl ist zuallererst eine Frage des Herzens: Gottes Liebe an mein Herz rühren lassen. Zu lieben und zu glauben, dass er mich auch und zuerst geliebt hat. Noch vor allem, was ich getan oder nicht getan habe. Wer wagt es, das zu glauben? Wenn man so auf das eigene Leben mit seinen Halbheiten, Unzulänglichkeiten, mit seinen Irrtümern und seiner Schuld sieht. Wenn schon so wenige Menschen mich wirklich lieben. Wenn ich mich schon selbst kaum aushalte. Wie sollte dann Gott das tun?

Der Anspruch, diese Entscheidung zu fällen, ist hoch. Es geht um alles oder nichts. Es bedeutet nicht, mit der Liebe Gottes so zu rechnen, dass man nun eigentlich nichts mehr tun muss. Wer mit der Liebe des anderen rechnet, liebt nicht. Er verweigert vielmehr die Hingabe. Das ist zwischen Menschen so, das ist auch so in der Beziehung zu Gott.

Die Parabel spricht hier klare Worte: Sich auf den Bräutigam zu freuen, genügt nicht. Kein Bräutigam würde sich freuen, wenn die Braut die Hochzeit verschläft. Unvorbereitet zu kommen ist nicht eben Ausdruck aufrichtiger Liebe. Die klugen, die sich vorbereiten, sind glaubwürdiger. Sie lassen sich abholen und laufen ihm mit brennenden Lichtern entgegen.

Wir können uns vorbereiten. Wir sind dabei weder allein noch völlig ahnungslos, wie das gehen soll. In Jesus wird der Weg sichtbar: Es ist der Weg der Gottes- und Nächstenliebe. Vor uns steht die Verheißung auf ein großes Festmahl, auf eine heilige Hochzeit, auf das Gelobte Land. Mit uns ist ein Gott, der sich immer wieder neu und überraschend zeigt, immer aber treu zur Seite stehen will. Neben uns sind Mitmenschen, die mit uns den Weg suchen, die uns helfen und denen wir helfen können. Hinter uns ist eine lange Tradition mit Glaubenserfahrungen, die uns erzählen, was mit Gott möglich ist. Wer hier Druck heraushört, ist angehalten zu schauen, woher dieser Druck kommt. Aus Gott ist er nicht. Das heißt nicht, dass solche Vorbereitung nicht auch anstrengend wäre, aber sie ist es nicht ausschließlich. Die Anstrengung schwindet in dem Maß, wie die Liebe wächst.

Zum zweiten: Es geht um alles oder nichts, Leben oder Tod. Das ist bedrohliches Glück, das uns auch Angst machen kann. Sich unverdienter Weise lieben zu lassen, will auch ausgehalten werden. Wie sollte eine solche Entscheidung einfach getroffen werden können? Die Schrift, der Kontext dieser Parabel, erzählt uns daher, dass wir von Gott her alle Zeit haben, die wir brauchen, um zurückzulieben. Bis zum Ende der Zeiten. Und Christ/innen können darauf vertrauen, dass Jesus in der entscheidenden Stunde, wenn die Türen zum Hochzeitsmahl aufgehen, ihr Fürsprecher ist.

 

 

Hesychios der Sinait

 

Das Wachen über den Geist kann mit Recht genannt werden: Licht erzeugend, Blitz erzeugend, Licht spendend und Feuer tragend. Denn es übertrifft die meisten Tugenden, selbst unermessliche und auch leibliche. Daher und wegen des strahlenden Lichtes, das sie erzeugt, muss diese Tugend mit kostbaren Namen benannt werden. Alle, die von Liebe zu ihr ergriffen sind, können durch Jesus Christus aus sündigen und unnützen, schlechten, unwissenden, unreinen, ungerechten zu gerechten, rechtschaffenen, reinen, heiligen, weisen Menschen werden. Es ist ihnen auch vergönnt, Geheimnisse zu schauen; und wenn sie Schauende geworden sind, dann schweben sie im reinen, unendlichen Lichte; unbeschreiblich werden sie von ihm angerührt, sie wohnen und leben in ihm. Sie haben verkostet, wie gütig der Herr ist, auf dass in diesen Vorboten die Worte des göttlichen David erfüllt werden: „Ja, die Gerechten werden deinen Namen lobpreisen, die Redlichen dürfen wohnen vor deinem Angesicht“ (Ps 140,14). Denn sie allein rufen aufrichtig und vertrauensvoll zu Gott; aus ihrer Liebe sprechen sie ständig mit ihm.