Erfüllte Zeit

17. 11. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Das Gleichnis vom anvertrauten Geld" (Matthäus 25, 14 - 30)

Kommentar: Regina Polak

 

Text von Anselm Grün

 

"Was glauben Sie?" -

Der Architekt Gustav Peichl

 

Seit 1954 zeichnet er für die Tageszeitung „Die Presse“, seit 1968 für die „Süddeutsche Zeitung“. Den meisten Menschen ist Gustav Peichl aus seinem Nebenberuf als Karikaturist bekannt. Auf über 7000 Zeichnungen schätzt man das Oevre des unter dem Pseudonym Ironimus international angesehenen Architekten.

Nicht nur mit den ORF-Landesstudios schuf er Meilensteine einer von der Fachkritik einhellig als „faszinierend zweckmäßig“ beurteilten funktionalen  Architektur.

Zahlreiche Bauten in Deutschland und Österreich  - zuletzt das neue Probengebäude für die Münchner Kammerspiele – tragen Gustav Peichls Handschrift. Zahlreiche Auszeichnungen und internationale Preise wurden ihm – dem Vater von zwei Söhnen und einer Tochter – zuteil.

Johannes Kaup hat ihn für die Reihe „Was glauben Sie?“ gefragt, welche Werte ihn in seinem Leben prägen.

 

 

Regina Polak

Zum einen: Ein Talent ist gar nicht so wenig: 6000 Drachmen sind ein kleines Vermögen, da kann man schon etwas damit anfangen.

Zum anderen: Hätte unser Freund, der sein Talent angeblich aus Angst eingräbt, wirklich Angst, hätte er getan, was sein Herr von ihm will: nämlich mit diesem Geld gewirtschaftet und das Vermögen des Herrn vermehrt. In Wahrheit ist er nämlich schlicht und ergreifend beleidigt, trotzig und stur und gibt seinem Herrn die Schuld: Du bist streng und hartherzig, ich kann nichts dafür.

Eine solche Deutung ist vielleicht nicht unmittelbar einsichtig. In unserem heutigen Kontext ist dieses Gleichnis nämlich sehr missverständlich. In einem Wirtschaftssystem, das Wirtschaften kurzsichtig und einfältig mit Gewinnmehrung und Konkurrenz als angeblich unverzichtbarer Grundlage gleichsetzt, könnte man leicht den Eindruck bekommen, der Herr sei ein böser Kapitalist, der seine Arbeiter bloß zu eigenen Zwecken ausnützt. Die Kritik des scheinbar benachteiligten Arbeiters am Herrn wäre demnach mehr als gerechtfertigt.

Doch darum geht es hier nicht. Hier wird erzählt, dass Arbeiter eine Aufgabe bekommen und ihnen dafür gar nicht mal so wenig Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Wie sie ihre Arbeit erledigen, bleibt ihnen überlassen. Natürlich kann man die Zeit dann damit verbringen, zu hadern, warum die anderen so viel mehr bekommen, wieso es Herren und Arbeiter gibt und dass der Herr sich dann auch noch als so hart erweist, wie es ihm der dritte Arbeiter zuschreibt. Lebensförderlich ist solches Hadern freilich nicht.

Das heißt nun nicht, dass man an ungerechten Wirtschafts- und Machtverhältnissen nicht rühren dürfe, sich nicht wehren darf gegen Benachteiligung und Armut. Im Gegenteil. Gerade das Matthäusevangelium ist jenes Evangelium, das sehr viel Wert legt auf eine gerechte, menschenwürdige Praxis, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht. Aber diese Fragen stehen hier nicht im Zentrum der Überlegung.

Hier ist anderes wichtig: Der Herr will, dass alle seine Arbeiter etwas machen aus dem, was sie haben – jeder nach seinem Vermögen. Wer das nicht tut, richtet sich selbst, denn das wenige, das er hat, wird ihm dann auch noch genommen. Nicht von Gott, sondern durch eigenes Verhalten.

Das klingt sehr hart und streng und lässt vielleicht bei so manchem die Frage aufkommen: Was ist denn das für ein Gott?

Ich höre, dass sich hier ein Gott kundtut, der möchte, dass Menschen erwachsen und selbständig sind. Menschen, die die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Niemand braucht sich fürchten, dass er von Gott her zu kurz kommt. Der Gott, den Jesus mit diesem Gleichnis sichtbar werden lässt, ist einer, der den Menschen genau aus jener Angst herausreißen will, die der dritte Arbeiter als Grund seiner Handlungslähmung angibt.

Es ist dieselbe Angst, die uns beim Lesen des Gleichnisses vielleicht ausschließlich auf diesen dritten Arbeiter starren lässt: Und was, wenn´s mir so ergeht? Wie kann ich dem entkommen? Genau dieser fixierte Blick auf das, was Angst macht, kann dann dazu führen, dass das Befürchtete eintritt. Es ist dieselbe Angst, die stur und trotzig macht – denn Trotz und Sturheit machen die Angst erträglicher. Man kann sich dann wieder so fühlen, als hätte man die Fäden in der Hand.

Was kann hier die spirituelle, die frohe Botschaft sein?

Zum einen: Sich der Angst stellen, die dieses Gleichnis auslöst. Es ist die allzumenschliche und begründete Angst vor dem Zu kurz kommen, vor dem Scheitern und möglicher Strafe. Solche Angst lässt sich, solange wir leben, niemals restlos beseitigen, sie gehört zum menschlich sein. Sie wurzelt in unserer Endlichkeit – auch im Glauben.

Dann aber: Den Blick auf die beiden anderen Arbeiter lenken und wahrnehmen, wie es denen ergeht, die sich mit Gott auf das Wagnis des Lebens einlassen. Die ihre Aufgabe, mit dem was ihnen an Vermögen, an Talenten zu Verfügung steht, erfüllen und dafür reichlichen Lohn haben. Solcher Lohn kann durchaus eine materielle Dimension haben. Wo Menschen ihre Talente im Geist Gottes einsetzen, werden auch die irdischen, konkreten Lebensverhältnisse für alle gerechter und besser. Denn ein gottvolles Wirtschaften führt immer dazu, den eigenen Ertrag mit jenen zu teilen, die weniger haben. Der Lohn hat vor allem aber eine spirituelle Dimension:  Man kann erfahren, wie Gott die eigenen Gaben mehrt und immer mit dabei ist. Auch und gerade dann, wenn einem die Kraft ausgeht, die Ressourcen zur Neige gehen oder man gescheitert ist. Davon erzählt die ganze Heilige Schrift, die man als den Kontext dieses Gleichnisses immer im Blick haben kann.

 

 

Anselm Grün

Die frühen Mönche raten nicht dazu, die Leidenschaften abzuschneiden. Denn wer sie unterdrückt und abtötet, dem fehlen wichtige Lebensenergien, ohne die das Leben blass wird. Ohne Leidenschaften geht keine Kraft von uns aus. Unser Leben wird langweilig. Leider haben viele Christen vor lauter fixiert sein auf ihre Fehlerlosigkeit wichtige Kräfte in sich übersprungen, so dass sie sich – vor allem durch Langweiligkeit auszeichnen.

 

Evagrius, der Mönchslehrer, gibt dem Mönch den Ratschlag, sich mit den Leidenschaften vertraut zu machen. Er soll sie kennen lernen. Aber er soll aktiv mit ihnen umgehen und sich nicht von ihnen beherrschen lassen.

Interessanterweise kommt das deutsche Wort Leidenschaft von „leiden“. Und das bedeutete früher: gehen, fahren, reisen. Wer fährt, der macht Erfahrung, der macht etwas durch, der erleidet etwas. Und so nahm das Wort „leiden“ immer mehr die Bedeutung an von: dulden, Schmerz empfinden. Leidenschaft hat also mit Erfahrung zu tun. Wer sie abschneidet, verliert an Erfahrung. Wer sich auf sie einlässt, der wird erfahren, der erlebt Neues und Ungeahntes. Aber wie jede Reise auch beschwerlich sein kann, so auch der Umgang mit den Leidenschaften. Es ist immer eine Gratwanderung.

Und allzu leicht kann eine Leidenschaft stärker werden, als uns gut tut. Dann bestimmt sie uns, anstatt dass wir mit Leidenschaft das Leben angehen.

Jeder und jede Heilige war von einer großen Leidenschaft für Gott bestimmt. Künstler widmen sich leidenschaftlich ihrem Werk. Die Wissenschaftlerin wird von der Leidenschaft zu kreativen Lösungen motiviert. Jedes große Werk – da hat Hegel recht – braucht die Leidenschaft. Wir können die positive Kraft der Leidenschaft wieder für unsere Spiritualität entdecken. Nur dann wird von uns Christen etwas ausgehen, was auch andere Menschen fasziniert und was diese Welt verwandelt. Es ist ein lebenslanger Prozess, mit den Leidenschaften so umzugehen, dass sie zu unserem Weg zu Gott und zu den Menschen als positive Kraft gehören und dass sie uns nicht beherrschen, sondern antreiben zum Leben – und letztlich zu Gott hin treiben.

 

 

Buchtipps:

 

Gabriele Harlieb, Christoph Quarch, Bernardin Schellenberger (Hg.) "Spirituell leben. 115 Inspirationen - von Achtsamkeit bis Zufall", Verlag Herder

 

Bischof Alois Schwarz "Sorgt euch also nicht um morgen", Styria-Verlag