Erfüllte Zeit

24. 11. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Vom Weltgericht" (Matthäus 25, 31 - 46)

Kommentar: Bischof Klaus Küng

 

 

Maximos der Bekenner

 

 

Bischof Klaus Küng

Die Evangeliumsstelle, die wir soeben vernommen haben, steht mit dem Glaubenssatz aus dem Credo in Zusammenhang: "Er wird kommen, Gericht zu halten über Lebende und Tote." Es ist ein fester Bestandteil christlicher Glaubensüberzeugung, dass am Ende der Welt alle Menschen vor Christus, der in Herrlichkeit kommen wird, erscheinen und über ihr Leben Rechenschaft ablegen müssen. Ausschlaggebend für die Beurteilung, ob ein Leben gelungen ist, wird die Liebe sein, das heißt, je nachdem, ob jemand ein liebender Mensch gewesen ist oder nicht, wird er in die Freude des Herrn eingehen.

 

Manchmal denke ich an ein Gespräch, das schon viele Jahre zurückliegt. Ein Mann - er war nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt - war mir durch die Telefonseelsorge zugewiesen worden. Er sagte zu mir: „Ich habe nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass mein Leben in die roten Zahlen geraten ist." Alles sei schief gegangen, erzählte er. Er habe bereits Zyankali in der Tasche. Er wolle nur noch ein abschließendes Gespräch führen, bevor er sich das Leben nehme. Ich versuchte ihm dann auf alle möglichen Weisen klar zu machen, dass es auch noch andere Werte gibt als Erfolg. „Auf die Liebe kommt es an. Gott liebt uns, er liebt auch Sie, selbst wenn alles oder vieles negativ verlaufen ist, selbst wenn Sie schuldig geworden sind", sagte ich zu ihm und fügte hinzu, dass Gott verzeiht, wenn wir unsere Fehler einsehen, und dass er uns zu Liebe befähigt. So versuchte ich ihm deutlich zu machen, dass jeder Mensch eine Chance hat und dass auch sein Leben fruchtbar sein kann, selbst für den Fall, dass er tatsächlich eingesperrt würde, wovor er sich fürchtete. Ich habe danach nie mehr etwas von diesem Mann gehört und weiß nicht, wie es ihm ergangen ist.

Das Gleichnis vom jüngsten Gericht macht uns jedenfalls bewusst, dass es auf die Liebe ankommt, und dass wir die Gelegenheiten zu lieben nützen müssen. An einer anderen Stelle der Heiligen Schrift heißt es, dass Liebe viele Sünden zudeckt. Sie ist also der Weg zu Gott.

 

Die Evangeliumsstelle, die heute, am Christkönigssonntag verkündet wird, verweist aber auch noch auf etwas anderes: Dieser König, von dem hier die Rede ist, Christus, ist in geheimnisvoller Weise immer und überall gegenwärtig, auch jetzt. Vom jetzigen Papst wird erzählt, dass er einmal bei einer seiner Reisen in ein Land der Dritten Welt zum Entsetzen seiner Begleitung ein aussätziges Kind spontan in seine Arme genommen und ohne jede Vorsicht mitten in das von der Krankheit völlig entstellte Gesicht geküsst hat verbunden mit dem liebevollen Ausruf: "Du bist Christus!"

 

Das Gleichnis vom Weltgericht besagt, dass in jedem Menschen etwas sehr Kostbares - im Grunde genommen Christus selbst - enthalten ist, entsprechend den Worten Jesu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Heilige haben in den Armen und Kranken Christus gesehen und sich ihnen auch deshalb mit großer Liebe zugewandt.

 

Das ist eine wichtige Lehre für unsere Zeit, in der man dazu neigt, den Wert des Lebens an der Leistung oder am Wohlergehen zu messen. In Wirklichkeit kommt es - ich wiederhole - auf die Liebe an; und jeder Mensch, auch der Schwächste und Hässlichste, trägt einen unermesslichen Schatz auf dem Grund seines Herzens. Das Gleichnis vom Weltgericht zeigt daher den Sinn unseres Lebens auf, das Ziel, für das wir erschaffen sind, und das, worauf es ankommt. Zugleich sagt es uns: Suche Christus, erkenne ihn, liebe ihn, dann brauchst du dich vor dem Weltende nicht zu fürchten.

 

 

Maximos der Bekenner

Man sagt, dass Gott und Mensch füreinander Muster sind. Gott ist um des Menschen willen in seiner Güte soweit Mensch geworden, als sich der Mensch um Gottes willen in Liebe vergöttlichen kann. Und der Mensch wird von Gott soweit zur geistlichen Erkenntnis fortgerissen, als er den von Natur aus unsichtbaren Gott durch die Tugenden offenbart.

 

Gott, der die Natur in Weisheit geschaffen und insgeheim jedem geistbegabten Wesen nach Fähigkeit die Kenntnis von ihm eingepflanzt hat, gab auch uns Menschen ein natürliches Sehnen und Verlangen nach ihm, indem er es von Natur mit der Kraft unseres Denkens verband. So können wir leichter erkennen, wie das Sehnen gestillt werden kann und wie wir ohne Irrwege das Ziel erreichen. Von Sehnsucht bewegt, werden wir angeleitet, die Wahrheit, Weisheit und Ordnung zu erforschen, die aus allem Geschaffenen hervorleuchtet, und durch sie das Ziel anzustreben, um dessentwillen wir die Sehnsucht empfangen haben.