Erfüllte Zeit

01. 12. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Vom Kommen des Menschensohnes" (Markus 13, 24 - 37)

Kommentar: Abt Georg Wilfinger

 

 

Aus einem Manichäischen Hymnus an Jesus

 

 

Abt Georg Wilfinger

Der Evangelist Markus überliefert im 13. Kapitel eine sogenannte „Endzeitrede.“ Sie soll den Glauben stärken und Orientierung vermitteln. Einen Abschnitt davon hören wir im heutigen Evangelium zum 1. Adventsonntag.

Im 1. Teil werden vorwiegend alttestamentliche Bilder aufgegriffen: Die Wiederkunft des Menschensohnes bedeutet nicht Gericht, sondern Anbruch einer neuen Zeit, die geprägt ist von der Zusammenführung der Auserwählten. Diese Zeit ist bereits angebrochen. Es gilt deshalb treu und wachsam zu sein. Diese Aufforderung des 2. Teils der Rede spielt bereits auf die Ereignisse auf dem Ölberg an, wo es den Jüngern nicht gelungen ist, wach zu bleiben. Gleich danach setzt nämlich mit dem 14. Kapitel des Markus Evangeliums die Leidensgeschichte Jesu ein.

So könnte man nach dem heutigen Evangelium die erste Kerze am Adventkranz in diesem Jahr nennen: die Kerze der Wachsamkeit – „Wacht“. Es gibt den Vorwurf, wir Christen hätten die wichtigsten Probleme der Neuzeit verschlafen. Und da weckt der Ruf des Evangeliums aus unserem Schlaf der Müdigkeit, der inneren Leere, der Bequemlichkeit, der Lauheit und Oberflächlichkeit.

Dieses „Wachet“ wiederholt sich in vielen Varianten der Bibel: „Seid nüchtern und wachsam“, sagt Jesus am Ölberg in der unmittelbaren Stunde der Nacht, die über ihn hereinbrechen wird. „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ heißt ein Adventlied, wo man sich in diese Wachsamkeit des Advents hineinsingt. Wachet! Es gibt keine Zeit des Kalenderjahres, in der das Bedürfnis nach Vertiefung des Alltags so stark ist wie in der Adventszeit. Zur Ruhe kommen ist ein fester Wert geworden, auch für die Öffentlichkeit. Ausgerechnet in der Zeit, in der eine unruhige und hektische Betriebsamkeit auf das Weihnachtsfest zustrebt, genau da greift, was dieses Fest beinhaltet. Sammlung, Aufmerksamkeit für die Werte, der Mitmenschlichkeit und der Familie, Zuwendung zum Nächsten und tastende Öffnung nach dem, was im religiösen Erleben die Beziehungen zu Gott hin ermöglicht.

Über diese Aufmerksamkeit hinaus müssen wir uns aber vom Evangelium fragen lassen, ob die Wachsamkeit des Christen aus der Kirche ausgezogen ist oder ob sie in jedem Advent neu bereit ist, vom Schlaf aufzustehen. Hat sie die Aufmerksamkeit des Journalisten, der die Ereignisse nicht nur beobachtet, sondern auch kommentieren will?

Hat sie die Mahnbereitschaft der Demonstranten, die wissen, es ist in ihrem Anliegen fünf Minuten vor zwölf? Ist die besondere Wachsamkeit der Jünger, die Jesus verlangt: die Zeichen der Zeit zu erkennen, offen zu sein für sein Kommen.

So werden wir gefragt, ob die Gefühle vor Weihnachten eine Bereitschaft des Herzens für sein Kommen, seine Gegenwart sind oder eher die Verschleierung und Vernebelung durch Äußerlichkeiten. Nehmen wir ernst, was Paulus seiner Gemeinde in Rom zuruft: „Bedenkt, jetzt ist die Zeit gekommen, die uns nötigt, vom Schlaf aufzustehen oder sind die vielen Kerzen des Advents romantische Verklärung, im Gefühl stecken gebliebene Sentimentalität? Man könnte eine dreifache Wachsamkeit anführen:

Es ist die Wachsamkeit des trotz allem glaubenden Christen, wenn die Nacht am tiefsten ist, die Beziehung zu Gott abhanden gekommen ist, die Wachsamkeit des Glaubens. Der trotz allem nach Gott suchende Mensch ist offen für seine Gegenwart inmitten des Alltags.

Eine zweite Wachsamkeit ist die Wachsamkeit der Liebe: Seid wachsam! Lasst euch von der Hektik nicht zermürben. Glaubt an diese Liebe. Verfallt nicht dem Durchsetzungswillen jener, die von der Liebe so weit entfernt sind wie die Dunkelheit vom Licht. Jedes kleine Licht der Liebe, die fähig ist, das eigene Herz in Bewegung zu setzen und das Herz des anderen zu ergreifen, ist wichtig in dieser Stunden zwischen Dunkelheit und Licht, zwischen Tag und Nacht.

Und dann kommt noch die dritte Wachsamkeit, die der Hoffnung: Sie macht sich breit zu einem neuen Beginn; Sie traut seiner Gegenwart, wie sie dem Licht gegen die Dunkelheit traut. Sie schmiedet Pläne. Sie traut dem „Wacht auf“, sie traut der Stimme, die dieses „Wachet auf“ uns zuruft.

 

 

Aus einem Manichäischen Hymnus an Jesus

Jesus!

Wir stehen hier alle in einem Glauben.

Wir strecken die Hand aus, dich anzurufen.

Wir richten die Hand aus, dich anzurufen.

Wir richten unser Auge auf dich, auf deine Gestalt.

Wir öffnen den Mund und rufen dich an.

 

Du bist ganz Leben, du bist der Glanz des Kommenden,

komm nun und bringe Heil, du Bringer der Freiheit,

du Helfer der Zarten und Überwinder der Angreifenden,

Erlöser der Gebundenen und Arzt der Verletzten,

Erwecker der Schlafenden,

der du die Toten zum Leben bringst.

Komm und bringe Heil, du Vater,

der uns Schutz und festes Vertrauen gibt.

 

Wir preisen deinen Namen, der ganz Licht ist,

deine Größe, die ganz Freiheit ist.

Du bist es in Ewigkeit.