Erfüllte Zeit

08. 12. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Verheißung der Geburt Jesu"

(Lukas 1, 26 - 38)

Kommentar: Abt Georg Wilfinger

 

Simone Weil

 

 

Abt Georg Wilfinger

 2. Adventsonntag und zugleich das „Fest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“, „Maria Empfängnis“, ein Marienfest, das für viele von uns schwer oder überhaupt nicht verständlich ist. Und doch lädt es uns jetzt im Advent dazu ein, darüber nachzudenken, dass es Gott ist, der von Beginn unseres Lebens an uns begleitet. Wie wir ihm Raum geben, ihn empfangen und aufnehmen, darin ist uns Maria Vorbild, nicht nur an diesem Fest.

Maria war ein junges, liebenswürdiges Mädchen. Aufgewachsen in der kleinen Stadt Nazareth. Sie war dem Zimmermann Josef zugesprochen worden. Sie konnte wie die meisten ihrer Zeitgenossen den Verlauf ihres Lebens schon ziemlich zuverlässig vorherzeichnen: Heirat, Einzug in die Zimmermannswerkstadt; Kinder, Familie; Wenn alles gut geht, ein gesundes und ruhiges Alter ihrer Nachkommen. Ihr Lebenswerk würde sein, ihrem Mann eine gute Frau zu sein und einigen Kindern das Wunder des Lebens zu schenken.

Und dann kommt alles ganz anders: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“, sagte der zu ihr gesandte Engel Gabriel. Maria erschrak über diese Anrede, heißt es. Und dazu hatte sie wohl auch allen Grund, denn dieser Satz eröffnete eine Ankündigung, die ihr Leben völlig verändern sollte. „Der Herr ist mit dir“, ist eine Zusage, ein Wort, das Hoffnung vermitteln soll, das aber durchaus auch als Drohung verstanden werden kann, denn es hat Folgen, wenn Gott bei mir ist und an mich denkt.

Und so ist es auch. Bisher hat Maria den gesellschaftlichen Konventionen entsprechend zumindest teilweise ihr Leben in der Hand gehabt und konnte es gestalten, aber mit dieser Begegnung wird es ihr aus der Hand genommen. „Du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären... er wird groß sein und Sohn des Höchstens genannt werden“. Die Bibel erzählt eine Fülle von Propheten – und Erlösergeburten, die alle ganz ähnlich beginnen wie diese Begegnung hier.

Und so können wir ihre Antwort auch in dem Sinne verstehen, dass sie gehofft hat, das noch einmal abzuwenden, was sie kommen sieht: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Das kann doch gar nicht funktionieren, da musst du dich geirrt haben. Aber der Engel lässt sich nicht beirren: „Der Hl. Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“

Was Gott da von Maria verlangt, ist etwas Ungeheuerliches. Gott verlangt von Maria einen Blankoscheck. Sie soll sich ihm ausliefern. Was für Zweifel mögen in Maria wohl aufgestiegen sein? Welche Einwände mag sie wohl gehabt haben? Der kann doch nicht plötzlich in mein Leben hereinplatzen und alles durcheinanderbringen?! Was mache ich mit meinem Verlobten? Was wird aus diesem Kind werden? Welche Schreiereien und Unannehmlichkeiten werden damit verbunden sein, die Mutter eines Propheten zu sein, der womöglich Jünger um sich sammelt, der womöglich die Römer gegen sich aufbringt? Der bestimmt über mein Leben, ohne mich gefragt zu haben.

Was auch immer ihre Fragen sein mögen, die Szene schließt mit ihrer Zusage: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Maria horchte hin, hörte sehr genau und bejahte dann dieses Gehörte. Sie spürte Gottes Kraft, die dann ihr Leben lang begleitete.

Haben wir nicht sehr oft das Hinhorchen, das aufmerksame Hören verlernt? Zu viel dringt Tag für Tag auf uns ein, wir können es oft nicht mehr verarbeiten. Wir wollen alles wissen und es gelingt uns doch nicht. Was nehmen wir wirklich in uns auf, was merken wir uns, bleibt in unserer Erinnerung? Sind es auch die angenehmen, schönen, liebevollen Ereignisse des Lebens oder erdrückt uns so manches Hartes, Schwieriges?

Mit Gott zu leben kann heißen, mich von Gott Weg führe zu lassen, die ich nicht geplant habe, Wege, die weit schwieriger sind als die, die ich mir erträumt habe. Mit Gott leben, das heißt ihm vertrauen, dass er für mich einen guten Weg sieht und mein Ja zu ihm wertschätzt.

Und das andere ist der Hl. Geist, der über Maria kommen soll. Marias Aufgabe ist es, in diesem Geist ihr alltägliches Leben zu führen. Alles andere wir sich dann von selbst geben.

Zu unserem Leben: Ein Misserfolg kann für mich ein Rückschlag sein auf dem Weg zu meinem Lebenswerk, es kann darin auch ein Anruf Gottes liegen. Zeiten der Krankheit und der Schwäche können ebenfalls meinen Lebensplan durcheinander werfen und eine Katastrophe sein. Sie können aber auch ein Teil eines Ganzen sein, das zwar anders aussieht, als ich es mir gedacht habe, das aber bei Gott einen Sinn hat. Menschen, die mir an die Site gegeben sind, können nützlich oder schädlich sein für meine Pläne, können mir sympathisch oder unsympathisch sein, sie können aber auch Menschen sein, durch die Gott zu mir spricht.

Um das zu erkennen, braucht es die Haltung Marias: die Offenheit auf Gott hin, das Vertrauen, dass er einen guten Weg für mich weiß, und das Bemühen um diesen Geist, ohne den ich die Zeichen Gottes nicht erkennen kann.

Das wünsche ich uns allen für diesen Advent.

 

 

Simone Weil

 Wir haben die Unterscheidung zwischen der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe erfunden. Und man begreift auch leicht, warum. Unser Begriff der Gerechtigkeit entbindet den Besitzenden von der Verpflichtung zu geben. Gibt er trotzdem, so glaubt er berechtigten Anlass zur Selbstzufriedenheit zu haben. Er meint, ein gutes Werk getan zu haben. Und je nach der Auffassung, die der Empfänger von diesem Begriff hat, fühlt er sich entweder jeder Erkenntlichkeit enthoben oder zu niedrigen Dankesbezeugungen genötigt.

Einzig die unbedingte Gleichsetzung der Gerechtigkeit mit der Liebe ermöglicht zugleich sowohl das Mitleid und die Dankbarkeit wie auch die Ehrfurcht vor der Würde des Unglücks in dem Unglücklichen bei ihm selbst und bei den anderen.